Die Flucht in den Parkwald

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Zunächst gelang es Björn noch, die donnernden Faustschläge gegen die Tür in seinen eigenartigen Traum einzubauen, aus dem er schließlich aber doch brutal herausgerissen wurde. Brutal, wie wiederholte Schläge mit einem Vorschlaghammer, das waren die ersten Worte von Björns innerer Stimmte, die ebenso unsanft aus dem Traummodus gerissen worden war. „Polizei" und „Aufmachen" musste das wohl bedeuten, was er durch die Tür hindurch gebrüllt hörte. Obwohl ihn die helle Sonne blendete, wurde ihm schwarz vor den Augen, als hätte ihn tatsächlich gerade ein schwerer Schlag getroffen. Würden Sviet und Alexandra die Tür öffnen? frage sich seine Stimme. Oder sollte das Abgeführt werden durch die russische Polizei sein erstes großes Abenteuer in Moskau werden?, fragte sich seine Stimme in besorgtem Tonfall. War die Polizei hinter Sviet her? Waren die Raumschiffskizzen russische Top Secret Staatsgeheimnisse? Und stand er unter Verdacht, diese an ausländische Agenten zu verraten? Würde die Polizei ihm glauben, dass er nur der unschuldige und harmlose Tourist war, der er ja tatsächlich war? Oder würden sie ihn als ausländischen Agenten verdächtigen? Minutenlang schossen all diese Gedanken wie großkalibrige Geschosse komplett geräuschlos durch Björns Gehirn und hinterließen eine Gedankenverwüstung. Die gespenstische Stille in seinem Kopf machte Lärm von der Tür umso eindringlicher war. In einer Schockstarre verharrend, nahm er langsam wahr, dass die Polizei nun schon länger nicht mehr gegen die Tür geklopft hatte. Waren sie schon in die Wohnung eingebrochen und standen sie inzwischen mit gezogener Waffe im Flur? Björn entschied sich, laut „I give up" zu brüllen, das müssten die russischen Polizisten wohl verstehen. Doch er erhielt keine Antwort, hörte gar nichts. Vorsichtig öffnete er die Tür zum Flur und schlich zur Eingangstür. Durch den Türspion blickend wurde ihm klar, dass die Polizei wieder abgezogen sein musste. Ein schneller Kontrollgang durch die kleine Wohnung machte ihm klar, dass er alleine war. Waren seine beiden Gastgeber etwa von der Polizei abgeführt worden? Wohl kaum, denn diese hätte mit Sicherheit auch im Wohnzimmer nachgesehen, wenn sie in die Wohnung gekommen wären, schloss seine innere Detektivstimme messerscharf. Zurück am Schreibtisch fiel Björn auf, dass die Zugtickets nicht mehr dort lagen. Auch von der Katze fehlte jede Spur! Oder hatte sie sich nur besonders gut versteckt? Björn wusste, wie gut diese Tiere sich verstecken konnten. Jedenfalls war der Kater nicht in eine Sphinx verwandelt worden, die wäre mit Sicherheit nicht zu übersehen gewesen.

Kurzentschlossen packte Björn seine Sachen und verließ die Wohnung, die Tür dabei sorgfältig hinter sich zusperrend. Den Schlüssel warf er unten in den Postkasten, bevor er aus dem Haus trat. Sein Zug zurück nach Europa, wie seine innere Stimme immer mit ironischem Unterton sagte, ging erst in zwei Tagen. Was sollte so lange machen, wo sollte er hin? Er hielt es jedenfalls für angebracht, nicht länger in der Wohnung zu bleiben und ging einige hundert Meter in den großen Park, der gegenüber des Wohnhauses lag. Dort setzte er sich auf eine Bank und versuchte, über Whatsapp Alexandra zu erreichen, aber erhielt keine Antwort. Auf seinem Handydisplay bemerkte er jedoch, dass es schon später Vormittag und nicht mehr so früh am Morgen war, wie er gedacht hatte. Die langen Sommertage im Norden konnten die tageszeitliche Orientierung ganz schön auf die Probe stellen, erinnerte ihn seine innere Stimme. Dabei hatte er schon viele Sommermonate in Stockholm verbracht und war daran gewöhnt, am helllichten Tag aufzuwachen und dabei nicht sagen zu können, ob es 5 Uhr morgens oder 10 Uhr Vormittag war. Der immer noch stürmische Wind, der durch die alten Baumkronen pfiff, ließ die riesigen Bäume rings um ihn zu einer majestätisch langsam marschierenden Armee von Riesen werden, die nicht von der Stelle kam. Unter den Bäumen saß man wie in einem riesigen Wald, formulierte seine innere Stimme. Und nicht mitten in einer Millionenmetropole. Die großkalibrigen Gedankengeschosse hatten ein Trümmerfeld hinterlassen. Hier in der stürmischen Stille des Waldparks oder Parkwalds, Björn konnte sich für keinen der beiden Begriffe entscheiden, konnte sich sein zerfleddertes Gehirn vom Gedankendauerfeuer erholen. Langsam war der Vorkriegszustand wiederhergestellt. Immer noch keine Antwort von Alexandra auf Whatsapp, aber dennoch: Dass die Polizei nicht in die Wohnung eingebrochen war, sondern unerledigter Dinge wieder abzog, kam ihm nun doch immer eigenartiger vor, je länger er darüber nachdachte. Waren es vielleicht doch nur Kontrollore gewesen, die die ordnungsgemäße Anmeldung der Rundfunkgeräte überprüfen wollten, warf seine inzwischen wieder zu Späßen aufgelegte innere Stimme ein. Das war nur eine der mehr oder weniger wahrscheinlichen Möglichkeiten, die sein Gehirn inmitten der waldhohen Bäume ans Tageslicht beförderte. Aber wo konnten Sviet und Alexandra so früh am Sonntagmorgen hin sein? Andererseits war es dann doch nicht so früh am Morgen gewesen, musste Björn seine Gedanken korrigieren. Trotzdem: Warum hatten sie die Katze mitgenommen? Er fasste den Entschluss, doch noch einmal zurück zur Wohnung zu gehen und dort dann darauf zu warten, ob sich alles irgendwie aufklären ließe. Gerade als er den Park verließ und auf die Straße trat, fiel ihm ein, dass er den Schlüssel ja in den Postkasten geworfen hatte. „Hi Björn, are you already leaving?" hörte er Alexandras Stimme hinter sich, die sich über Björns Koffer wunderte. Überrascht und erfreut drehte er sich um und sah die Leine in Sviets Hand, an deren Ende sich der kleine, rote Kater befand. „We thought you would stay another two days", sagte Sviet, der ansonsten weniger sprach als seine Frau, zumindest dann, wenn es nicht um Raumfahrt ging. Björn stand immer noch mit offenem Mund vor ihnen wie ein 1,86 Meter großes menschliches Fragezeichen. „We are training Miro to walk on a line", antwortete Alexandra auf Björns nicht gestellte Frage.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 27, 2021 ⏰

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