Kapitel 1 - Annalena

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Ich versuche schon seit Stunden mich zu erinnern was letzte Nacht nur passiert war. Aber es fällt mir einfach nicht mehr ein. Und nun bleibt auch gar keine Zeit mehr darüber nachzudenken.

Der Bus fährt geradewegs auf den großen Parkplatz ein, an dem unser heutiger Termin stattfindet.
Das Bremsen des Busses reißt mich mit einem Mal aus meinen Gedanken.

K: „Annalena, bist du soweit? Annalena?"
Ich schüttele meinen Kopf leicht um wieder zu mir zu kommen. Dann blicke ich langsam rauf zu Katrin und schaue sie einen Moment verwirrt an.

A: „Ja! ... ja! Ich bin soweit. Klar." Während diesen Worten versuche ich meine Gedanken weiter zu sammeln und erhebe mich aus dem bequemen dunkelgrünen Sitz. Mit meinen Handflächen fahre ich mir einige Male über meine Bluse und nicke der anderen brünetten Frau zu.
A: „Wir können!"

Gemeinsam gehen wir auf den großen Platz, in dessen Mitte eine kleine überdachte Bühne aufgebaut ist. Drumherum steht schon eine Menge voller Menschen. Jung und Alt ist zusammengekommen um uns zuzuhören, um uns Fragen zu stellen und um mehr über uns grüne Partei zu erfahren.

Selbstbewusst gehe ich die zwei Stufen zur Bühne hinauf und begrüße die Menge.
Vor solchen Auftritten habe ich meist keine Angst mehr. Ich weiß von was ich da rede und ich freue mich jedes Mal mit den Menschen in Kontakt zu treten.
Das Reden halten bin ich als Politikerin ja gewohnt und auch die skeptischen Fragen der Anwesenden, kenne ich aus dem Bundestag nur zu gut.

Nachdem ich meine Rede gehalten habe tritt Katrin auf die Bühne und ich setze mich auf einen Stuhl am Rand, um meiner Kollegin zuzuhören.
Meine Gedanken schweifen kurz ab, als ich an den Abend zuvor zurück denke. Doch die Bilder sind noch immer verschwommen. Das einzige was stets präsent ist, ist ein komisches Kribbeln in meinem Bauch.

Die 55-jährige ist gerade fertig mit ihrer Rede, da beginnen auch schon wilde Zwischenrufe von allem Seiten.
Ich erhebe mich von meinem Stuhl und stelle mich zusammen mit meiner Kollegin den kritischen Fragen der Menge.

****

Erschöpft falle ich in den gemütlichen Doppelsitz des Busses, werfe meinen Kopf auf die Kopflehne und starre auf die graue Decke des Innenraums.
K: „Wein?"
Die warme Stimme meiner Kollegin klingt wie Musik in meinen Ohren.
A: „Du weißt was ich brauche."
Der Blick der 55-jährigen verändert sich schlagartig. Ich kann nichtmal richtig beschreiben wie sie schaut. Irgendwie frech, belustigt und sie kann mir kaum noch in die Augen sehen.

Nach ein paar Schlucken Wein stelle ich das Glas in die kleine Halterung vor meinem Sitzplatz.
A: „Das mag jetzt komisch klingen, aber ich versuche mich schon die ganze Zeit zu erinnern was wir gestern Abend nach der Bar gemacht haben. Ich kann mich nur erinnern, dass ich ein Glas Wein zu viel hatte. Zumindest habe ich das heute Morgen an meinem kleinen Kater gemerkt."

Ich schaue Katrin weiter fragend an und sie scheint in ihrem Kopf angestrengt nach einer Antwort zu suchen.
K: „Du... du weißt wirklich nichts mehr oder?"

Ich schüttele ratlos meinen Kopf und gucke sie weiter erwartungsvoll an
K: „Nun ja. Du hast mir gestern einiges über deine Ehe erzählt. Auch darüber, dass es grad nicht so prickelnd läuft. Und dass ihr schon über Scheidung geredet habt. Wir hatten daraufhin wohl einfach zu viel Wein. Deshalb kannst du dich wahrscheinlich nicht erinnern."
Allein der Gedanke daran, dass ich meiner Kollegin alle Geschichten meiner gescheiterten Ehe anvertraut habe, lässt mich vor Scham zusammenzucken. Aber da ist noch irgendwas, was sie mir noch nicht erzählt hat. Das spüre ich ganz deutlich.
A: „Tut mir Leid, dass ich dich mit meinen Privatsachen bombardiert habe gestern Abend. Habe ich sonst noch irgendwas peinliches erzählt oder gemacht?"

Doch von der Frau gegenüber folgt vorerst keine Antwort. Sie scheint schon wieder nach Worten zu ringen.
K: „N... Nein. Und du musst dich auch nicht entschuldigen. Wirklich!"

Ich schaue ihr noch weitere Sekunden in die Augen und werde das Gefühl nicht los, dass sie mir noch etwas verschweigt. Wahrscheinlich bin ich auch einfach nur paranoid und sollte diesmal früher ins Bett gehen.

Kurzerhand stehe ich auf und setze mich in Bewegung in Richtung der Schlafkojen.
Als ich in dem engen Gang dicht an Katrin vorbeilaufe, schießen mir verschwommene Bilder in den Kopf. Mit jeder Sekunde, die ich in Zeitlupe an ihr vorbeilaufe, setzen sich die Bilder immer mehr zusammen. Ich weiß gerade nichtmal mehr was Realität oder nicht ist.
Ich sehe ihre Lippen dicht vor meinen. Sie kommen mir, mit jedem Bild im Kopf, immer näher, bis sich unsere Münder schließlich sanft berühren.

Ich kneife meine Augen fest zusammen und öffne sie rasch wieder. Neben mir steht noch immer meine Kollegin, aber sie hat ganz sicher nicht ihre Lippen auf meinen. Sie schaut mich eher etwas verdutzt und fragend an.
Was waren das gerade für Bilder in meinem Kopf. Wohl kaum die fehlenden Erinnerungen von gestern Abend. Oder?

Mit dieser Frage in meinem Kopf gehe ich weiter zu dem Schlafabteil, doch bevor ich darin verschwinde, drehe ich mich ein letztes Mal zu Katrin um und auch sie schaut mich an.

Sofort schießt mir ein Gedanke in meinen Kopf.
Oder ist genau das doch gestern passiert?

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