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Am nächsten Tag war Tante Michelle schon bei der Arbeit als ich aufwachte. Schlaftrunken tappste ich die vielen Stufen bis in die Küche hinunter. Ich setzte mich auf einen der Barhocker, denn an der Theke hatte James scheinbar schon Frühstück für mich vorbereitet. Als ich gerade herzhaft in mein Marmeladentoast biss, kam der Butler herein. "Guten Morgen",sagte er. "Morgen", erwiderte ich mit vollem Mund. "Michelle lässt ausrichten, dass du bitte auf dem Gelände bleiben sollst, wenn du dich noch nicht auskennst und nimm bitte dein Handy mit. Man weiss nie was passiert. Im Übrigen sind hinter dem Haus Pferde, wenn du möchtest kann ich dir Unterricht geben. Falls du noch irgendwelche Fragen hast, sei nicht schüchtern, du kannst mich jederzeit fragen." Ich musste mich bemühen nicht zu grinsen, denn dann wäre bestimmt die Hälfte meines Toasts zurück auf den Teller gefallen. Der Text klang wie auswendig gelernt und obwohl mir das gestern noch nicht aufgefallen war, schien James noch sehr jung zu sein. Ich schluckte hinunter. "Danke, aber ich kann schon reiten." - "Ich komme trotzdem mit, schließlich muss dir ja jemand die Pferde zeigen und beim Satteln helfen" - "Ich brauche keine Hilfe" James lächelte "Tja aber dafür werde ich bezahlt und ich muss tun was deine Tante sagt" Das Lächeln hatte etwas spitzbübisches und langsam wurde er mir sogar sympathisch. Es schien als hätte er seine steife Art abgelegt, die er gestern noch gehabt hatte. Ich zuckte mit den Schultern "Da habe ich nichts dagegen. Wie alt bist du eigentlich?" Er zögerte einen Moment "Offiziell bin ich Achtzehn" - "Und inoffiziell?", fragte ich und nahm noch einen Bissen von meinem Toast. "Kannst du ein Geheimnis für dich behalten. Ich nickte. "Also... eigentlich bin ich erst sechzehn." Ich starrte ihn erschrocken an und verschluckte mich an meinem Toast. Hustend schnappte ich mir ein Glas Wasser und stürzte es in einem Zug hinunter. "Sechzehn?!",japste ich, als ich wieder reden konnte. "Aber dann darfst du doch eigentlich noch garnicht Auto fahren... oder arbeiten?" - "Jaaa, schon aber ... das ist alles etwas kompliziert..." - "Warum erzählst du mir das überhaupt?" Er zuckte mit den Schultern. "Du hättest es sowieso rausgefunden und wir sehen uns ja jetzt täglich" - "Najaa..." Ich war sprachlos. Ob den Iren im Blut lag, dass sie sich sofort jedem anvertrauten? Wer

weiss...

Ich hatte eine Menge Spass. Meine Tante besaß zwei Connemara Ponys, Starlet und Leyla und einen dunkelbraunen Araber namens Harold. Ich hatte mich für Leyla entschieden und war, nachdem James mir ein Lunchpaket gemacht hatte, den ganzen Tag auf ihrem Rücken ubterwegs gewesen, das Grundstück meiner Tante zu erkunden. Soweit ich das bisher gesehen hatte, war es ungefähr so groß wie Disneyland , wurde von drei Straßen gekreuzt und war ansonsten voller Wäldchen, niedlichen Bächen und idyllischen Blumenwiesen. Lustigerweise wurde alles von einem unscheinbaren Mäuerchen begrenzt, über dessen Grenzen hinaus ich mich nicht bewegen durfte, was aber auch kein großes Drama war, da ich hier ja alles hatte was ich brauchte. Am Abend fiel ich erschöpft ins Bett, und wachte nur einmal gegen Elf auf, als meine Tante von der Arbeit kam. Die nächsten Tage sah ich sie überhaupt sehr selten bis garnicht und verbrachte die meiste Zeit mit James und den Pferden.

Also saß ich Samstag früh im Wohnzimmer und zappte gelangweilt durch die Kanäle. Michelle hatte zwar extra für mich Deutschsprachige bestellt, doch da ich versuchte mein Englisch zu verbessern, kuckte ich nur die Heimischen. Ich verstand fast nichts, weil die Schauspieler alle viel schneller als James oder mein Tante redeten, aber ich zwang mich eisern weiterzugucken. Was sollte ich auch sonst machen? Draußen regnete es, außerdem hatte ich unheimlich Muskelkater und keine Lust auf irgendetwas. Ich hatte nicht einmal Freunde mit denen ich telefonieren konnte... Obwohl was war mit Jayden? Er wollte mich doch anrufen. Warum hatte er es noch nicht getan? Plötzlich fiel mir siedend heiß der Grund ein und ich musste über meine eigene Dummheit den Kopf schütteln. Ich hatte ihm meine alte Handynummer gegeben. Die ungültige Handynummer. Die, die auch meine Mutter besaß... Egal. Ich sollte mich lieber darauf konzentrieren seine Nummer zu finden. Nachdem ich den Fernseher ausgeschaltet hatte, flitzte ich hoch in mein zimmer und kramte die alte Tasche aus meinem Schrank. Zum Glück hatte ich sie noch nicht weggeworfen, was ich eigentlich vorgehabt hatte, da ich jetzt eigentlich genug hatte. Ich zog einen verknüllten Zettel aus dem hintersten Fach. Es war der mit Jaydens Nummer. Ich entzifferte die eilig mit Bleistift hingekritzelten Zahlen nur mühsam, aber es gelang mir und tippte sie in mein Handy ein. Undgeduldig wartete ich das Freizeichen ab, bis sich auf der anderen Seite etwas rührte: "Ja?"-"Jayden! Bist dus?" - "Ja" Er lachte "Ich dachte du möchtest nichts mehr mit mir zu tun haben, weil du mir eine ungültige Nummer gegeben hast" - "Tut mir Leid, ich hab sie verwechselt, aber zum Glück hab ich mir deine aufgeschrieben" Wir unterhielten uns noch einige Zeit, er erzählte dass ihn sein Vater freudig aufgenommen habe, er ihn sich jetzt jedoch mit dessen neuen Freundin und deren Tochter teilen musste.

Der Arme. Ich sagte ihm, wie langweilig mir war, da ich meine Tante ja kaum zu Gesicht bekam. Er überlegte kurz: "Wollen wir uns vielleicht treffen? Wie wärs mit Galway? Da musst du nur eine halbe Stunde hinfahren und ich kenne mich da halbwegs aus." -" Klar,das wäre toll!" Ich warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach halb Eins. "Um Zwei?"-"Ja, ich sende dir eine sms mit der Anschrift, wo wir uns treffen. Ich freu mich, bis dann, Rosalie" Ich sagte James Bescheid, dann machte ich mich fertig. Es machte mir richtig Spass, mich durch das Ankleidezimmer zu wühlen, wenn es auch anstrengend war. Schließlich entschied ich mich schlicht für Leggins, ein weites Top, Jeansjacke und Vans. Nachdem ich fertig geschminkt war, holte ich mir noch einige Accesoires und eine Longchamp aus dem Schrank. Ich schmiss Handy, Schlüssel und Portmonnaie hinein und polterte dann die Treppen hinunter. Vor der Einfahrt wartete James schon. Doch dieses Mal nicht in der Limo, sondern einem weissem Mercedes Cabroilet mit geschlossenem Verdeck. Ich stieg ein und grinste: "Heute mal ganz bescheiden" James zuckte die Achseln "Wir wollen ja nicht auffallen". Mit einem leisen Schnurren sprang der Motor an und wir fuhren los.

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