Erwachen

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Heute ist der 07.08.2015 und vor genau 2 Jahren fiel mein Leben, wie ein Kartenhaus zusammen.

Ich bemerke, dass meine Wangen feucht sind und wische mir schnell meine Tränen mit dem Handrücken weg, bevor Marie, meine heutige Freundin, etwas bemerkt. Sie versucht immer mich zu verstehen, doch wissen wie es mir wirklich geht, tut sie nicht.  Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Leo zurückdenke und noch heute mache ich mir Vorwürfe. Ich hätte ihn retten können. Hätte ich mich sofort umgedreht und wäre zu ihm geschwommen, wäre ich noch rechtzeitig da gewesen. Jetzt plagen mich Albträume, in denen ich sein Gesicht langsam verblassen sehe und ich wache nachts schweißgebadet auf. Ich denke immer wieder an diesen Tag zurück, an das was passierte als ich wieder zu Bewusstsein gekommen bin.

Das erste was ich mitbekam, waren unbekannte Stimmen, die leise miteinander flüsterten. Ich öffnete die Augen und wusste erst nicht was passiert war. Ich lag in einem Krankenwagen, festgeschnallt und vor mir standen 2 Männer die mich beobachteten. Langsam erlangte ich meine Erinnerung zurück und ich fing wieder an zu schreien und mich auf der Liege hin und her zu werfen. Die beiden Männer kamen auf mich zu und versuchten mich zu beruhigen. "Alles wird wieder gut" , sagten sie doch sie verstanden nicht, dass ich gerade meinen besten Freund verloren hatte, den Menschen, auf den ich immer zählen konnte, dem ich alles anvertraut habe und der immer für mich da war. Nun hörte ich Maries Stimme, die meinen Namen rief. Wenige Sekunden später sah ich sie und sie kletterte zu mir in den Krankenwagen. Sie warf sich auf mich und fing an zu weinen. Ich versuchte etwas zu sagen, doch kein Wort wollte mir über die Lippen kommen. Ich konnte einfach nicht begreifen wie so etwas passieren konnte. Die Sanitäter, die sich während Marie bei mir war zurückgezogen hatten, kamen wieder auf uns zu und teilten uns mit, dass wir nun ins Nächstliegende Krankenhaus fahren würden. Ich nickte beiläufig ohne genau verstanden zu haben, was sie von mir wollten. Die Fahrt war wie eine Trance aus Trauer, Verzweiflung und Angst. Im Krankenhaus machten sie einige Untersuchungen mit mir und brachten mich auf ein Zimmer, welches stark nach Chemikalien roch. Meine Eltern kamen herein und meine Mutter eilte sofort auf mich zu, schloss mich in den Arm und fing an zu zittern, während mein Vater mit ernster, jedoch auch betroffener Miene auf den Fußboden starrte. Es kamen immer mehr Leute, die mir Fragen stellten, doch ich konnte nicht darüber reden, noch nicht. Nach zwei Tagen wurde ich entlassen und fuhr mit meinen Eltern nach Hause. Meine Mutter war mir während der Zeit im Krankenhaus nicht eine Sekunde von der Seite gewichen, doch mein Vater musste zur Arbeit. Zu Hause angekommen schloss ich mich in mein Zimmer ein und kam nur zu den Mahlzeiten runter, bei denen ich kein Wort sagte. Dies zog sich die nächsten zwei Monate weiter so hin, bis ich langsam wieder zurück in den Alltag glitt. Ich ging wieder zur Schule, doch redete mit niemanden über das, was passiert ist. Da die Polizei sich dem Fall angenommen hatte, erfuhr ich, dass Leo´s Leiche aus unergründlichen Gründen nicht geborgen werden konnte. Es war mir egal. Ich war damals sogar relativ glücklich darüber, denn so musste ich zu keiner Beerdigung.

Vor einer Woche jedoch, habe ich einen Brief von Leo´s Familie bekommen. Sie wollen nicht länger warten und auf ein Wunder hoffen und haben eine Gegenstandsbeerdigung für Samstag den 08.07 angesetzt. Bei einer solchen Beerdigung, legen Familie und Freunde Gegenstände in einen Sarg, die einen an Leo erinnern und dieser wird anschließend begraben. Ich habe Panik, denn alle erwarten, dass ich etwas sage. Bin ich bereit dafür? Ich wusste, dieser Tag würde kommen, doch nun sitze ich hier und überlege was ich morgen sagen könnte. Sollte ich offen vor allen darüber reden oder lieber kurz angebunden ein paar Worte stammeln?

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