Kapitel 1.2

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„Relius! Na endlich. Der Mann wird langsam echt unruhig. Er sitzt in deinem Büro", sagte Lou, die zielstrebig auf Aurelius zusteuerte.
„Hallo Lou. Wie lange ist er denn schon da?", fragte Aurelius.
„Seit inzwischen etwa einer Stunde", antwortete sie.
Gemeinsam gingen beide zu Aurelius Büro im Obergeschoss. Auf dem Weg dorthin hatte Aurelius einen Moment lang das Gefühl, jemand würde ihn beobachten. Als er sich umdrehte, war jedoch niemand zu sehen, der ihm hätte folgen können, außer Lou. Die Eichentür des Büros war einen Spalt weit geöffnet und durch das Milchglasfenster in der Tür konnte man die Silhouette eines dunkel gekleideten Menschen erkennen, der auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch saß. Als Aurelius das Büro betrat, erhob sich der Mann von seinem Stuhl und hielt ihm seine Hand entgegen.

„Guten Tag Herr Korner, was kann ich für Sie tun?", begrüßte Aurelius ihn. Korner hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit dem alten Mann, dem Aurelius in der U-Bahn begegnet war. Auch er war sehr groß, schlank und hatte das gleiche lange Gesicht mit dem spitzen Kinn.
„Guten Tag. Es geht um die Bücherlieferung des letzten Monats. Es steht noch eine Rechnung in Höhe von 335€ aus", sagte der Mann. Er nuschelte etwas und hatte eine deutlich höhere Stimme, als es von seinem äußeren Erscheinungsbild zu erwarten gewesen wäre.

Aurelius sah Korner misstrauisch an und warf die Stirn in Falten. Dann forderte er ihn auf sich zu setzen und ging um seinen Bürotisch herum, um sich selbst auf seinem Stuhl niedersinken zu lassen.
„Um was für Bücher handelt es sich denn genau? Haben Sie die Liste dabei? Soweit ich weiß habe ich alle bestellten Bücher des letzten Monats bereits gezahlt", wollte Aurelius wissen. Er war skepisch, sehr sogar.

Korner holte seine lila-farbene Aktentasche hervor und zog mehrere Zettel mit Unterlagen der letztmonatigen Bestellungen aus einem Ordner. Er breitete die Zettel mit den Bücherlisten vor Aurelius auf den Schreibtisch aus. Auf der Liste standen vierzehn Bücher untereinander aufgelistet.

Fassungslos starrte Aurelius die Liste an. Er kannte keines dieser Bücher. „Was bitte schön, sollen das für Bücher sein? Die hat hier niemand bestellt. Lou", rief er seiner Mitarbeiterin aufgebracht hinterher. Aber Lou war bereits die Treppe hinab verschwunden. Aurelius wollte aufstehen um ihr hinterher zu rennen, als Korner ihn am Arm zurückhielt.
„Ich habe nie behauptet, dass irgendjemand diese Bücher hier bestellt hat. Sie sind lediglich hier angekommen. Ich habe mir erlaubt diese Bücher letzte Woche hier in Ihrem Büro zu deponieren. Sie werden diese Bücher noch brauchen", sagte er sanft.

Zielstrebig ging Aurelius auf sein privates Bücherregal zu und tatsächlich standen dort vierzehn neue Bücher, an dessen Platz zuvor seine Hobbit und Herr der Ringe Romane gestanden hatten.
„Wie kommen Sie dazu, diese Bücher einfach so hier abzustellen"
„Ich habe sie nicht einfach so abgestellt, ich habe sie ordentlich in einer Reihe in Ihr Regal gestellt", sagte Korner ruhig. Und damit hatte er Recht. Die Bücher waren sorgfältig in einer Reihe aufgestellt und nach ihrer Größe absteigend geordnet. Die Harry Potter und Herr der Ringe Bücher standen ebenfalls sorgfältig geordnet auf dem Fenstersims von Aurelius Fenster, welches fast bis zum Boden reichte.
„Was macht das für einen Unterschied?", fragte Aurelius, versuchte aber ruhig zu bleiben. „Ich habe diese Bücher nicht bestellt, also warum sollte ich sie brauchen?"

Korner schmunzelte: „Lesen Sie die Bücher, dann werden Sie vielleicht verstehen."
Er stand auf und öffnete die Bürotür. Kurz bevor er den Raum verließ drehte er sich nochmal um. „Wenn Sie die Bücher fertig gelesen haben, dann überweißen Sie mir bitte das Geld", sagte er und dann drehte er sich ab.

Perplex stand Aurelius hinter seinem Schreibtisch und noch bevor er etwas sagen konnte, hatte Korner die Bürotür von außen geschlossen. Hektisch rannte er zur Tür, öffnete sie und rief Korner den Gang entlang hinterher: „Sie können die Bücher doch nicht einfach hier stehen lassen. Und überhaupt, wohin sollte ich das Geld überhaupt überweisen, ich habe ja noch nichtmals Ihre Kontodaten." Doch sein Rufen war überflüssig. Korner war bereits nicht mehr zu sehen. Aurelius hechtete die Treppe hinunter um den seltsamen Vertreter noch zu erreichen, aber es war aussichtslos; Korner war verschwunden.

„Lou, der Mann aus meinem Büro, wo ist er langgelaufen?", fragte er seine Mitarbeiterin aufgebracht.
„Der ist hier gar nicht vorbeigekommen. Fabian, hast du den Typen hier langlaufen sehen?", fragte sie ihren Kollegen.
„Ich bin mit einer Kundin beschäftigt, deshalb hab ich auch nichts mitbekommen", antwortete Fabian genervt.

Ohne weitere Antworten abzuwarten, nahm Aurelius die Beine in die Hand und verließ das Geschäft. Er rannte ohne lange nach rechts und links zu schauen, über die Straße, wobei ihm wilde Beschimpfungen von einem Vater hinterher gerufen wurden, da er über die rote Fußgängerampel gelaufen war. „Sie spinnen wohl. Ich glaube Sie sind farbenblind. Hoffentlich haben Sie Vollidiot keine Kinder, die ihnen das nachmachen", schrie er ihm hinterher. Ein Auto, welches wegen ihm kräftig in die Eisen treten musste, hupte wild hinter ihm. Mit einer kurzen Handgeste, ohne seinen Blick vom Weg abzulenken, entschuldigte er sich bei dem wütenden Autofahrer, der inzwischen ausgestiegen war und ihm weitere Beschimpfungen an den Kopf schrie. Doch das interessierte ihn nicht. Er wollte weiter kommen, dem Mann hinterher.

Er lief hinüber zum Bahnsteig und sah gerade noch, wie Korner in die U-Straßenbahn stieg, doch die Türen schlossen sich, bevor Aurelius selbst hineinsteigen konnte. Er versuchte es an den anderen Wagons, doch es war aussichtslos. Die Bahn setzte sich in Bewegung und er hatte gerade noch genügend Zeit zur Seite zu springen, dmit sie ihn nicht mit sich riss. Er versuchte noch zu erkennen, wo die Bahn hinfuhr. Auf der Bahn stand Gütlingsdorf, also fuhr Korner dieselbe Strecke, die er selbst zuvor gefahren war, zurück nach Hause. Nach wenigen Sekunden war die Bahn nicht mehr zu sehen. Hektisch sah er auf die Anzeige, auf der alle Bahnen und ihre Abfahrtzeiten angezeigt wurden. Die nächste Fahrt nach Gütlingsdorf sollte in acht Minuten gehen. Mit genervter Miene gestand er sich ein, dass er Korner wohl nicht mehr erreichen würde, egal wie sehr er die Beine in die Hand nehmen würde, wartete aber dennoch auf die nächste Bahn nach Hause.

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Meint ihr, er holt den alten Mann doch noch ein, oder ist er auf ewig verschwunden?

Die Flucht der Drachen - Aufbruch aus TarakonaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt