Froys Blick heftete sich einige Momente lang an den zerkratzten, Salz verkrusteten Rumpf des Handelsschiffes, das sich langsam von ihm wegbewegte.
Vom Deck her drangen die Stimmen der Besatzung, sie redeten auf gehobenem Englisch miteinander. Der Meerjungmann verstand jedes Wort.
Er erkannte sogar die Stimmen, wusste dass der tiefe Bass zu dem Koch gehörte und dass die weiche Stimme die das Kapitäns war.
Nolans Stimme war auch dabei, sie zitterte, die Worte stolperten nur so aus ihm hervor. Immer wieder unterbrach Schluchzen seine Erklärungsversuche, es brach Froy das Herz.
Die weiche Stimme des Kapitäns tröstete den jungen Piraten und Froy, der schon die ganze Zeit mit den Tränen kämpfte, konnte jetzt wirklich nicht mehr an sich halten.
Es war ihm zu viel. Es war purer Zufall gewesen, dass er das Schiff seines Vaters gefunden hatte, und ihn jetzt mit seinem weinenden Freund reden zu hören, wissend dass er sie beide nie wieder sehen würde, gab ihm den Rest.
Große, salzige Tränen vermischten sich mit den ebenso salzigen Wassermassen. Oben am Himmel spotteten die hellen Sterne und der große Mond, doch als Froy untertauchte, verschwand ihr Licht.
Mit heftigen Schlägen der kräftigen Flosse beförderte der Meerjungmann sich tiefer in die unendlichen Weiten, seine Arme schlangen sich um den mageren Körper.
Hör auf zu heulen, scholt er sich selbst in Gedanken, du hast, was du wolltest, jetzt sei zufrieden damit!
Doch die Tränen wollten nicht aufhören, aus seinen Augen zu fließen.
Der Druck des Wassers um ihn herum nahm langsam zu, doch Froy schwamm weiter, immer tiefer und tiefer, bis es so dunkel um ihn herum wurde, dass selbst seine Augen kaum mehr etwas sahen.
Der Meerjungmann schwamm weiter. Er zwang seinen Körper tiefer zu tauchen, so tief, dass die Welt um ihn verstummte.
Obwohl er jetzt schon seit mehreren Jahren kein Mensch mehr war, drückte das Wasser auf sein Trommelfell, bis er sich die Nase zu hielt und den Druck ausglich.
Wenige Momente später fühlte Froy den felsigen Grund unter seinen Fingern, er ließ seinen Körper zwischen die scharfen Steine sinken und klammerte sich an sie, damit er nicht sofort wieder an die Oberfläche trieb.
Sein Körper krümmte sich in einem stummen Schrei der Verzweiflung, dann in einem lautlosen Schluchzen.
Der Meerjungmann wollte Schreien, aber er konnte nicht. Er war auf ewig zum Stummsein verdammt.
~
Zwei lilane Punkte drängten sich in sein Sichtfeld, sie kamen hartnäckig näher.
Froy blieb liegen wo er war, hielt sich weiterhin an den Steinen fest und ließ sie auch nicht los, als die Meerjungfrau mit den schwarzen Haaren so nahe war, dass sie ihn an der Schulter berühren konnte.
„Froy." Sprach sie ihn an, er blieb stumm und sah sie aus den großen Augen an. Sein Blick war von Tränen getrübt. „Komm nach Hause. Esther sucht dich."
Der Meerjungmann regte sich nicht. Er wusste, dass sein Verhalten unter aller Sau war, er wusste, dass er sich unfair verhielt, aber er konnte nicht anders.
„Komm schon." Nadja packte ihn unter den Achseln, als er sich nicht regte, und zog ihn zwischen den Felsen hervor. Ihre scharfen Kanten zerkratzten seinen Rücken, Froy ignorierte es und ließ sich an ihre Brust ziehen.
Die Meerjungfrau umschlang ihn sanft, wie er es bei Nolan gemacht hatte und er legte den Kopf an ihre Schulter, wie der Mensch es bei ihm gemacht hatte.
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Amar Ama - Unsterbliches Wasser
FantasyIn einer Welt voller Überlieferungen und Seemannsgarn ist, in der man kaum zwischen Realität und Mythos unterscheiden kann, entdeckt ein junger Pirat etwas zu tiefst Beunruhigendes. Als sich seine Vermutung bestätigt und eine grausame Realität offen...