Die Dunkelheit lag wie ein schweres Tuch unter Deck. Nur das spärliche Licht, das durch die Holzplanken fiel, sorgte dafür, dass man die Hand vor Augen sah. Von draußen war das leise Klatschen der Wellen zu hören, die gegen den Rumpf des mächtigen Schiffs schlugen und die Hängematten zum Schaukeln brachten.
Nolan lag mit offenen Augen in seiner Hängematte. Er hatte die Hände hinter seinem Kopf verschränkt und lauschte dem leisen Plätschern, während er das Schaukeln genoss. Fast wäre die Stille der einsamen Morgenstunden der schönste Teil des Tages gewesen, wenn nicht das Geschnarche der Anderen gewesen wäre.
Mit einem leisen Seufzen richtete Nolan sich auf und schwang die Beine aus den festen Leinen heraus. Er passte gekonnt den richtigen Moment im Schaukeln ab, um die nackten Füße auf den Boden zu stellen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.
Wenn man gezielt etwas suchte, dann war die Dunkelheit doch ziemlich finster. Nolan hatte keine Angst im Dunkeln, er glaubte weder an Geister noch an Gespenster und wenn es sie doch gab, dann rettete ihn auch das Licht nicht vor ihnen, doch es war trotzdem unpraktisch, wenn man seine Stiefel suchte.
Leise fluchend griff Nolan zweimal ins Nichts, bevor er endlich das abgenutzte Leder zu fassen bekam. Auf einem Bein hüpfend versuchte er das Gleichgewicht zu halten, während er den Fuß in die harten Stiefel zwängte.
Bei einer besonders starken Welle taumelte Nolan zur Seite und stieß promt in eine der Hängematten. Ihr Besitzer grunzte im Schlaf unwillig.
„Entschuldigung.“ Flüsterte Nolan so gut er konnte. Er konnte nicht flüstern.Aus Angst, die anderen Piraten auch zu wecken tastete er sich mit kleinen Schritten und ausgestreckten Armen durch die Hängematten, bis er an die erste Treppenstufe stieß.
Die Treppe knarrte, als Nolan die wenigen, steilen Stufen leise nach oben schlich, so laut, dass er befürchtete, die anderen würden doch auf ihn aufmerksam werden, doch bis auf das laute Atmen und Schnarchen blieb es still.Die Holztür, die am Ende der Treppe auf ihn wartete, war bereits etwas morsch und hing schief in den Angeln. Sie musste bei ihrem nächsten Hafengang ausgetauscht werden, aber bis dahin konnte es noch lange dauern.
Der König von England hatte es sich mal wieder zur Aufgabe gemacht, die Meere sicherer zu machen und dieses Mal tat er das auch mit Nachdruck.
Aus seiner fixen Idee hatte sich ein Pakt mit noch anderen Herrschern von Ländern, deren Namen der junge Pirat nicht kannte, gebildet und jetzt war es an keinem Hafen mehr wirklich sicher. Nolan wusste nicht, wie viele Piraten bereits aufgeknüpft worden waren, aber er wusste, dass er ganz sicher nicht dazu gehören wollte.
Trotzdem wünschte er sich, sie würden bald wieder in einen Hafen einlaufen, als er vergeblich an der Tür rüttelte. Schlussendlich stemmte er einen Fuß gegen den Holzrahmen, um mit beiden Händen an der Klinke zu zerren.
Plötzlich schwang die Tür so heftig auf, dass Nolan das Gleichgewicht verloren. Hilflos versuchte er noch sich zu fangen, als er rückwärts die Treppe herunter taumelte, doch vergebens.
Er prallte so heftig in eine Hängematte, dass der darin Liegende herausplumste. Es gab einen lauten Rumms, kurz war es still und Nolan glaubte schon, es sei nichts Schlimmeres passiert, dann hob der Verunglückte in der Dunkelheit den Kopf.
Nolan sah zu, dass er die Beine in die Hand nahm und flitzte schnell die Treppe herauf, um aus der Gefahrenzone zu verschwinden.
Draußen empfing ihn die kühle Luft mit offenen Armen. Nolan hielt einige Momente lang andächtig inne, die Augen geschlossen und den Kopf in den Nacken gelegt, während er die salzige, feuchte Luft tief inhalierte.
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Amar Ama - Unsterbliches Wasser
FantasyIn einer Welt voller Überlieferungen und Seemannsgarn ist, in der man kaum zwischen Realität und Mythos unterscheiden kann, entdeckt ein junger Pirat etwas zu tiefst Beunruhigendes. Als sich seine Vermutung bestätigt und eine grausame Realität offen...