Kapitel 1

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Als sich das große Tor der Grimoire-Akademie hinter mir schloss, winkte ich noch ein bisschen meiner Mutter zu, die das Fenster des Autos wieder hochkurbelte und davonfuhr. Ich hatte dieses Gelände wirklich vermisst. Vor einem Jahr hatte ich begonnen, hier zu studieren. Offiziell lautete der Name meines Studienganges "Rhythmischer Tanz", inoffiziell wurden wir zu Heilern ausgebildet. Wir alle wurden mit der Fähigkeit geboren, einen Teil unserer Aetherenergie nutzen zu können. Ob wir das zur Heilung oder zum Schaden anderer taten, war unsere Entscheidung, aber deshalb war ich hier. Mein Jahrgang bestand aus 10 Studenten. Wir kamen alle aus dem Norden oder Osten, da die Akademie die Einzige ihrer Art nördlich des Großen Flusses war.

Die Sonne warf ihre warmen Spätsommerstrahlen durch die zarte Wolkendecke, während ich meinen Koffer über den Hof in Richtung des rechten Flügels zog. Die Schlafsäle der Studenten der zweiten Jahre befanden sich im ersten Stock und als ich mein Zimmer gefunden hatte, freute ich mich sehr. Nicht nur befand es sich direkt neben meiner besten Freundin Rue, sondern es hatte einen wunderbaren Ausblick auf das Heckenlabyrinth im Garten. Ich mochte es wirklich sehr, immerhin veränderte es sich jeden Tag je nach Laune. Nachdem ich meinen Koffer erst einmal in einer Ecke geparkt hatte, inspizierte ich das kleine Badezimmer, das ich mir mit Rue und den zwei anderen Studenten gegenüber teilen sollte. Ihre Sachen erkannte ich gleich, denn sie kennzeichnete ihre Gegenstände immer mit ihrem Familienwappen, einem Fuchs in einem Lorbeerkranz vor einem Schild. Die Dusche hatte dieses Mal sogar eine Badewanne. Ich warf einen schnellen Blick in den Spiegel. Mein rötlich-braunes Haar hing mir mal wieder ein wenig ins Gesicht, also wischte ich es beiseite und enthüllte dabei meine etwas spitzeren Ohren. Diese hatte ich von meiner Großmutter geerbt. Sie war eine Hochelfe, die sich dazu entschlossen hatte, einen Menschen zu heiraten. Aus dieser Beziehung waren meine Mutter Valerie und meine drei Onkel entstanden. Meine Lebensspanne würde wahrscheinlich verlängert sein, wenn auch nicht so stark wie die anderer Elfen oder Halbelfen. Von meiner Mutter hatte ich auch meine rehbraunen Augen geerbt. Alle Frauen von ihrer Seite hatten diese Augenfarbe und ich setzte diese Tradition fort. Von meinem Vater hatte ich meine Haarfarbe geerbt. Von ihm hatte ich allerdings schon seit Jahren nichts mehr gehört. Er arbeitete für die Regierung und hatte seine Familie damals verlassen, damit wir sicher sind. Ich war mir nie ganz sicher, was er eigentlich tat, aber immerhin kam er uns etwa zweimal im Monat besuchen.

Als ich das Badezimmer verließ, kollidierte ich fast mit einem Mann. Ich stolperte, wurde jedoch von ihm aufgefangen. "Holla, nicht so schnell, junge Dame." Er sprach mit einem leichten, hochelfischen Akzent und mir wurde recht schnell bewusst, um wen es sich handelte. Sobald ich dann wieder auf meinen Füßen stand, erkannte ich auch meinen Professor wieder. Solarian Caelum unterrichtete die höheren Jahrgänge und war ein führendes Mitglied im Rat der Akademie. Noch dazu stand ich ein wenig auf ihn. Sein scharfkantiges Gesicht spiegelte gerade jedoch Sorge wieder. "Hast du dich verletzt?", fragte er und betrachtete mich dabei mit einem prüfenden Blick in den graublauen Augen. "Ich, äh, nein. Mir geht's gut. Entschuldigung!" Ich verhaspelte mich etwas, riss mich dann aber am Riemen und strich eilig meine Bluse glatt. "Gut. Wir möchten ja nicht, dass dir etwas vor Studienbeginn passiert." Er verschränkte die Arme hinter seinem Rücken, bevor den Kopf neigte und sich von mir abwandte. Mein Herz raste in meiner Brust. Anscheinend fand ich ihn immer noch heiß. Aber ich hatte noch zu tun. Ich kehrte in mein Zimmer zurück, um nun endlich meinen Koffer auszupacken. Meine Kleidung räumte ich ordentlich in den dafür vorhergesehenen Schrank. Als ich mein Seidenkleid herausnahm, musste ich lächeln. Der goldene Farbton schimmerte wirklich schön in der Nachmittagssonne. Ich liebte dieses Kleid. Es war mein Erstes gewesen und ich trug es immer bei öffentlichen Präsentationen. Sorgsam hängte ich es auf einen Bügel, damit es nicht verknitterte. Meine Gedanken drifteten ein wenig ab. Letztes Jahr hatten wir zeitweise Professor Caelum im Unterricht gehabt. Ich erinnerte mich gerne an die Stunde, in der er mit uns Tango tanzte und mich als Beispiel nahm. Seine Berührungen waren federleicht aber gleichzeitig auffordernd gewesen und hatten mich in emotionale Höhen gebracht. Leider war die kranke Professorin schnell wieder zurückgekehrt, weshalb alles wieder den normalen Rhythmus bekommen hatte. Noch ein paar Tage danach hatte er mich gegrüßt und auf den Fluren angelächelt. Auch das gefiel mir sehr. Ich mochte ihn einfach gern.

Schicksal auf 4 PfotenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt