Der Geruch von Donuts und Moos

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Es ist kalt. So verdammt kalt.

Wir stehen draußen auf einem Friedhof und warten auf die Sargträger, die meine arme kleine Schwester tragen. Mein ein und alles.

Es nieselt leicht und der Boden ist matschig, das Gras zertreten und die Bäume verlieren langsam ihre Blätter, nachdem sie sich verfärbt haben. Die Lieblingsjahreszeit meiner Schwester. Herbst.

Es ist kalt.

Wir tragen alle schwarz. Wir alle haben das süße Wesen meiner Schwester geliebt.

Meine Tante und mein Onkel klammern sich aneinander und sie vergräbt ihr Gesicht in seiner Schulter. Will sie etwa nicht sehen, wie mir meine Schwester genommen wird? Mama und Papa stehen da und starren in des Erdenloch. Ihnen laufen stumm Tränen hinab. Sie sehen mich nicht. Sie wollen mich nicht sehen, denn ich erinnere sie nur daran wie sie mal aussah.

Meine Großeltern schluchzen laut auf und dann sehe ich sie schon. Die schwarze Menge teilt sich und sechs Männer, darunter einige Verwandte und Freunde tragen einen weißen Sarg zu uns hinuber. Ihre Uniformen sind perfekt geglättet. Sie sehen edel aus. Auch der Sarg sieht wunderschön aus. Genau richtig für den toten Engel darin. Meine Schwester war ein Engel, so wunderbar, so fröhlich war sie, bis sie mir, uns genommen wurde.

Ihr weißer Sarg ist mit Ornamenten geschmückt und auf ihm trohnt eine wunderschönes Gebilde aus roten Rosen. Ein Zeichen unserer Liebe.

Die Männer kommen bei mir an. Ich stehe vor dem Loch. Sie erwarten, dass ich mich bewege, aber ich will nicht. Ich will nicht, dass sie mir genommen wird. Alles nur das nicht! Als ich mich nicht bewege, nickt einer der Sargträger Freunden von Papa zu, die zu mir eilen und mich an den Armen nach hinten reißen.

Ich schreie.

Ich schreie so laut ich kann. Mama bricht zusammen und weint nun laut mit mir. Tränen rinnen mir die Wangen herunter während ich mich aus den Fängen dieser Verräter zu befreien versuche. Ich trete um mich, aber sie weichen nicht zurück, sie umklammern mich nur noch fester. Ich kann nur noch zusehen, wie sie den wunderschönen Sarg mit meiner liebsten Schwester langsam in die Erde lassen.

Es ist eine seltsame Trauerfeier.

Der Regen hat mich schon vollkommen durchnässt. Es ist so verdammt kalt. Ich sehne mich nach der Hand meiner Schwester, die Wärme ausströmt und nach ihrem Lächeln, dass die Sonne scheinen lässt.

Der Sarg ist verschwunden. Er ist nun ganz unter der Erde. Einzelne Menschen treten vor und halten Blumen in ihren Händen. Es ist ein schöner Anblick wie die Blumen unter der schwarzen Menge nur noch mehr hervorstechen. Sie sind alle ganz bunt. Sie werfen die Blumen hinab und bedecken meine Schwester in einem Regen aus Wasser, Tränen und Blüten.

Wenn sie an meiner Seite wäre, hätte sie mir befohlen stark zu bleiben, aber sie ist nicht mehr hier. Wie soll ich bloß ohne sie überleben? Die Erkenntnis sie verloren zu haben, trifft mich erst jetzt richtig und reißt mir mein Herz aus der Brust. Es ist kein Schlag. Ich spüre das Fehlen. Ich kriege keine Luft; meine Lunge brennt. Mir ist schlecht. Ich will nicht mehr. Tränen laufen weiter über meine Wangen.

Endlich werde ich losgelassen. So schnell ich kann stürme ich zu dem Loch und breche davor zusammen. Ich sinke auf die Knie und fange wieder an zu schreien.

"Nein! Nehmt sie mir nicht! Holt sie da wieder raus! Macht schon! Nehmt sie mir nicht! Warum hilft ihr denn keiner?" Ich schreie bis ich heißer werde. Ich kann nicht mehr.

Mein schwarzes Kleid ist voller Schlamm und Grashalme Kleben daran. Früher hätte sie gesagt, dass ich besser auf mein Aussehen Acht geben solle. Sie konnte das viel besser als ich. Sie war so hübsch und beliebt. Ich war eher der Schatten in der Ecke, aber sie hat mich immer lachend mitgezogen. Sie war meine Sonne. Meine liebste Zwillingsschwester.

Ich denke, dass ich die ganze Feier versaut habe. Alle sind bestimmt wütend.

Ich will zumindest richtig Abschied nehmen.

Mit zittrigen Händen wühle ich in meiner schwarzen Tasche bis ich die Schachtel Donuts gefunden habe. Der süße Duft steigt mir sofort in die Nase. Ihre Lieblingssorte. Erdbeer mit Vanille-Karamel Füllung. Ich will ihr etwas besonderes geben. Etwas was sie liebt. Sie würde sich bestimmt freuen. Ich denke es ist okay.

Ich werfe die Schachtel hinab und sehe wie sie im Blütenmeer aufkommt und aufplatzt. Ein Donut rollt heraus und fällt auf die Sehe ohne Zuckerguss. Seine rosane Oberseite ist mit weißen und goldenen Zuckerperlen übersäht. Sie sind schöner, als die Blumen. Dann mache ich das was alle hier gemacht haben. Ich werfe eine Blume hinab, aber nicht nur irgendeine Blume, sondern eine Kornblume. Unsere Lieblingsblume.

Jetzt ist sie wirklich tot. Meine Tränen tropfen auf die Donutschachtel.

Es riecht nach Erde und Moos. Und Donuts.

Ich richte mich auf und starre auf den weißen Grabstein der hinter dem Loch steht. Goldene Schrift springt mir entgegen.

Hier ruht

Jenessa Summers,

unsere geliebte Tochter und Schwester.

Wir beneiden die Engel dafür, dass sie dich nun lächeln sehen können.

Wir lieben dich!

*21.02.1998

†08.09.2011

Zwei Steinengel stützen sich auf dem Stein und verdecken ihr Gesicht. Sie stehen gebrochen und gekrümmt.

Irgendwann werden sie verfallen so wie all die anderen Grabsteine und Statuen auf dem Friedhof. Sie verfärben sich und der Lack blättert ab. Die Blüten verwelken und verschwinden ganz. Kerzen erlischen.

Ich habe alles verloren und keiner hat mir geholfen. Keiner will mich auch noch ansehen, denn ich bin kein guter Ersatz für Jen.

Warum musste sie mir genommen werden? Wenn es einen Gott da draußen gibt warum hat er mir nicht geholfen? Ist er so grausam? Ich hasse Gott. Er sitzt nur da und sieht zu wie ich zerbreche. Ich hasse alles was Gott ausmacht. Ich hasse ihn.

Sagt man nicht er sende Schutzengel aus? Wo waren diese geflügelten Wesen wenn man sie mal braucht? Wo waren sie als meine Schwester an einer Lungeninfektion starb? Sie sind unfähig. Sie haben nur zugeschaut. Sie sind noch viel schlimmer.

Ich hasse Engel.

Mehr als alles andere.




Ich Hasse EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt