Kapitel 27

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Am nächsten Morgen stehen Ashton und James auf der Matte, aber nicht vor unserer Haustür, sondern im Krankenhaus. Ich kriege von all dem nichts wirklich mit. Bin nur Zuhause und denke daran, wie Lyra selbst in dem Moment, wo sie ängstlich am Boden lag, mich noch immer in Schutz genommen hat.

Samstag Mittag, klopf es irgendwann an meiner Tür, dann steht da Ashton. Müdes Gesicht und trotzdem kann ich den Funken Wut in ihm erkennen. „Fang an.", fordere ich ihn auf und stehe auf, sodass wir uns in meinem Zimmer gegenüber stehen. „Ich würde. Ich würde dir hier und jetzt die Standpauke deines Lebens halten. Die vorwerfen, dass du Lyra in Lebensgefahr gebracht hast, weil du ein egoistisches Arschloch bist und in diesem Moment nichts tuen konntest, als zu weinen, aber ich werde es nicht tun." Ich falte die Hände vor mir zusammen und hebe den Blick etwas. „Warum nicht? Ich weiß, was ich getan habe und ich weiß, dass ich genau das, mehr als verdient habe."

Ashton kommt einen Schritt auf mich zu und macht die Tür zu, dann noch einen Schritt. „Weil es Aussage gegen Aussage steht." Ich verstehe nichts mehr, das muss er an meinem Blick sofort erkannt haben. „Lyra behauptet felsenfest, sie sei den Wagen gefahren, betrunken. Und du hättest sie daraus geholt. Und du behauptest, du hättest den Wagen gefahren. Ich weiß was stimmt, Edmond. Das brauchst du dir nicht vor zu machen, und ich hasse was du getan hast. Und ich bin so sauer, dass ich es nicht mal mehr in Worte fassen kann." Mein Handy klingelt, ich schiele nur halb rüber. Die Nachricht von Lyra leuchtet hell auf.

Du hast nicht getrunken. Du brauchst Hilfe, du hast aber nicht getrunken.

Aus dem Kontext gegriffen ergibt das vielleicht keinen Sinn, doch ich weiß was sie meint. Keiner weiß, dass ich high war. Und solang es Aussage gegen aussage steht, sucht sich jeder andere seine Seiten aus. Ich gucke wieder zu Ashton und nicke. „Du kennst die Wahrheit, also, warum bist du dann hier?" Er kommt noch einen Schritt näher. „Ich will wissen was los war. Lyra hat etwas angedeutet und ich will neu anfangen. Ich will, dass ich nicht mehr ständig an dich denken muss und mir Sorgen darum machen muss, wann du wieder rückfällig wirst oder wann du den nächsten Scheiß baust, also sag mir, was dich bedrückt. Erzähl es mir, damit ich dir wirklich helfen kann und nicht nur dir helfe die Scherben aufzusammeln."

Ich schlucke und drücke noch einmal meine Finger, so sehr dass sie dieses Mal sogar knacken.

„Ich bin bisexuell. Ich liebe einen Jungen. Ich war mit einem Jungen zusammen und hab es wir immer zerstört. Ich hab mich nicht getraut irgendwas zu sagen, aber Lyra weiß es und war für mich da-" Mir steigen Tränen in die Augen, aber ich rede weiter und bleibe weiter aufrecht stehen. „Sie weiß nicht alles, aber vieles. Ich war am Ende, weil ich eifersüchtig war, hauptsächlich auf dich. Ich hab Mum zu sehr hinterher getrauert und ich war... ich war an meinem Ende. Ich konnte nicht mehr und er, Rico, hat mich da rausgeholt." Ich weine weiter. „Außerdem hab ich die Hochzeit von Dad in Brand gesteckt mit einer Zigarette, nachdem ich Sex mit Chaya hatte. Ich.... ich weiß, du kannst mir nicht verzeihen und ich weiß ich habe alles falsch gemacht, was man nur tun kann, aber... ich will mich ändern und ich will nur, dass du mich wieder lieb hast-"

Weiter komme ich nicht. Ashton hat den Abstand zwischen uns aufgeholt und und jetzt stecke ich zwischen seinen Armen, die mich fest an ihn drücken. „Ich liebe dich, Ed. Ich habe dich immer geliebt, du bist mein kleiner Bruder und verdammt ich werde dich immer lieben."

„Aber ich dachte nur, dass-"
„Dass wenn du bi bist, ich dich nicht mehr liebe?! Gott, es ist nicht mal eine so große Überraschung und natürlich liebe ich dich noch. Ich liebe dich obwohl du einen Unfall gemacht hast, ich liebe dich, obwohl du Probleme hast."

„Vergiss, Hochzeit in Brand stecken nicht.", spreche ich dazwischen. „Das ist Bullshit. Dad hat die Ergebnisse noch gestern Abend bekommen. Es war eine Gasleitung defekt. Du hattest vielleicht Sex und du hast vielleicht eine Zigarette fallen lassen, aber du hast ganz sicher keinen Brand gelegt und es tut mir leid, dass ich nur daran gedacht habe, dass du es vielleicht warst."

„Es war eine Gasleitung?" Ashton nickt und lässt mich los. „Nur eine Gasleitung." Ich schnaube aus und gehe mir durch Haar. „Also, wie kann ich dir helfen? Was ist mit diesem... Rico?" Ashton sieht tatsächlich nicht mehr allzu wütend aus und locker noch dazu. „Ich will in eine Entzugstherapie. Ich hab mir schon einen Platz rausgesucht. Übernächste Woche ist es so weit. Ich gehe normal zur Schule und trainiere und Sonntags bin ich auch Zuhause. Ich will mein Leben in den Griff kriegen." Selbst Ashton kullert jetzt eine Träne über die Wange. „Und... dein Freund?"

„Ich kann ihn nicht dazu zwingen, mir zu verzeihen. Ich schreibe ihm und überlasse es ihm, ob er mir antwortet. Ich werde die nächsten Wochen auf jeden Fall genug Zeit haben, mich zu bessern und den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich Lyra wieder im Poker schlage." Ashton schnaubt leise auf. „Verdammt"

„Was ist?" Er zuckt nur mit den Schultern. „Ich bin verdammt stolz auf dich, Edmond. Und ich werde dich scheiße nochmal vermissen." Er hätte nicht besseres sagen können in diesem Moment.

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Der Brief an Rico, der abgeschickt wurde, nachdem Edmond zur Therapie aufgenommen wurde und Lyra entlassen wurde.

Lieber Rico,

Briefe schreiben ist nicht so meine Sache, aber ich probiere besonderes für einen besonderes Jungen. Wenn du den Brief erhältst, bin ich bereits weg. So halb. Ich bin in Therapie und habe mir die Hilfe gesucht, die ich brauche. Ich weiß, ich habe dich verletzt und ich verstehe, wenn du mir nicht antwortest, aber ich will dir die Wahrheit sagen, und nur die Wahrheit.

Die Wahrheit ist, ich habe Drogen genommen, seit ich 13 bin. Ich hab Ashton oft genug deswegen angelogen und behauptet, ich sei clean, obwohl ich es nicht war.
Die Wahrheit ist, ich bin noch immer nicht über den Tod meiner Mutter hinweg und werde es vielleicht nie wirklich sein. Ich bin wütend auf meinen Vater, ich hasse Heidi und war lange eifersüchtig auf meinen Bruder und sein Leben.
Die Wahrheit ist, ich dachte ich hätte die Hochzeit meines Vaters in Brand gesetzte, während ich mit Chaya, dem Mädchen, Sex hatte, das Lyra mehr als einmal bloß gestellt hat.
Die Wahrheit ist, ich habe Lyra zu einer Party mitgeschleppt, auf der ich rückfällig wurde und sie danach mit in einen schweren Autounfall reingezogen habe.
Und die Wahrheit ist, ich liebe dich. Ich liebe dich, weil du mir das Gefühl gegeben hast, etwas mehr wert zu sein, ein jemand zu sein. Das Gefühl geliebt zu werden hatte ich noch nie so stark, wie bei dir und ich wollte es am liebsten der ganzen Welt sagen. Ich liebe Rico und er mich, doch ich war ein Feigling.
Ich könnt meine Worte an jedem Tag nicht mehr bereuen, aber ich kann Vergangenes nicht ungeschehen machen, ich kann nur die Zukunft mit formen.

Am liebsten stelle ich mir eine Zukunft mit dir vor. Eine Zukunft, in der ich es schaffe clean zu bleiben, in der mein Bruder und mein bester Freund und meine beste Freundin an meiner Seite sind und du zu mir gehörst.

Ich kann Liebe und Vergebung nicht erzwingen, aber ich musste es los werden.

Das hier ist ein Ende eines Kapitels, muss aber nicht das Ende unserer Geschichte sein.
Ich will nämlich noch so viel mit dir erleben.

Ich liebe dich.
Komm zu mir zurück, doch ich respektiere jede deiner Entscheidungen, denn schlussendlich, bin ich nur ein Junge.

Edmond Archer

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