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Nach weiteren 2 Stunden Fahrt, die ich mit dem Anschauen eines Filmes verbracht habe, fahren wir in eine große Einfahrt hinein. Ich ließe meinen Laptop und hoffe, dass ich vom letzten Film keine Viren abbekommen habe, denn die Hoffnung dass meine Eltern für etwas wie Netflix zahlen würden habe ich schon lange aufgegeben. Vor einem großen Tor hält meine Mutter an und eine Stimme erklingt aus einem großen Steinbrocken, der wohl als Sprechanlage umfunktioniert worden ist. Stylisch. "Ich bringe meine Tochter June Hingston", spricht meine Mutter in den Stein und versucht dabei so edel wie möglich zu klingen. Als ob der Direktor bei dem Anblick unseres Toyotas aus dem Baujahr Steinzeit nicht schon erraten könnte, dass wir alles andere als die High Society sind. Ein Piepen ertönt und das Tor öffnet sich. Wir fahren hinein auf einen großen Innenhof und meine Mutter parkt geschmeidig neben den anderen Autos, die sich schön aneinandergereiht an einer Seite befinden. Parken kann sie, das muss ich ihr lassen. Wir steigen aus dem Auto aus und  gerade als wir meine definitiv viel zu schweren Koffer ausladen kommt uns ein großer, freundlich aussehender Mann entgegen. Er trägt einen Anzug mit bordeauxroter Krawatte und in seinen Haaren schimmert so viel Gel, dass ich darauf wetten kann sie seien steinhart. "Da sind Sie ja. Wie schön Sie hier willkommen zu heißen." Er stolziert auf uns zu und streckt seine Hand aus. Meine Mutter schüttelt diese und ich tue es ihr nach. Erst jetzt bemerke ich, dass ihm ein Mädchen gefolgt ist. Sie trägt Jeans und das Polo mit dem Schulwappen, worauf ich schließe, dass es sich um eine Schülerin handelt. So werde ich auch bald aussehen. "Es freut mich Sie kennenzulernen, ich bin Direktor Smith. Ich hoffe Sie hatten eine angenehme Anreise?" er scheint nicht auf eine Antwort zu warten, denn bevor meine Mutter oder ich etwas antworten können stellt er seine Begleitung vor. "Das ist Lucy, sie ist Vertrauensschülerin der Oberstufe und sie wird sich freuen dir einen Rundgang zu geben und dir dein Zimmer zu zeigen, June.", richtet er sich nun nach mir. Lucy lächelt mich an und streckt mir  die Hand aus, in die ich einschlage. "Dann mal los würde ich sagen", beginnt Lucy und greift nach einem meiner Koffer. "Nein, nein, lass das bloß ich nehme die selbst, die sind viel zu schwer." entgegne ich schnell, doch sie ist schneller und zieht den größten der beiden hinter sich her in Richtung Gebäude. "Du kannst schonmal gehen, während Lucy dir alles zeigt werde ich noch etwas langweiligen Papierkram mit deiner Mutter erledigen. Ihr könnt euch danach voneinander verabschieden." Mr. Smith schaut zu mir und dann zu meiner Mutter, die zustimmend nickt. Das ist mein Zeichen und ich folge Lucy mit meinem anderen Koffer durch die Eingangstür. Als diese hinter uns wie automatisch schließt fängt Lucy an von einem Ohr zum anderen zu grinsen, was mich sehr verwirrt. "Kleine Warnung: dies wird kein seriöser Rundgang, von mir erfährst du nämlich alles. Ja, wirklich alles. " Sie scheint wirklich spaßig zu sein und ich freue mich ein bisschen sie näher kennenzulernen. Auch auf meinem Gesicht mach sich ein kleines Grinsen breit. Ich folge ihr zu einem Fahrstuhl, was mich ziemlich aufatmen lässt, denn diese ganzen Stockwerke zu Fuß hinter mich zu legen wäre die größte Qual. Ich bin in etwa so sportlich wie eine Thunfischdose. Lucy drückt den Knopf der 4. Etage und ich bin immer mehr dankbar für diesen Fahrstuhl. "Zuerst laden wir deine Sache auf deinem Zimmer ab, du teilst dir eins mit Alice. Keine Sorge, du wirst nicht viele Probleme mit ihr haben, ich habe auch schonmal ein Zimmer mit ihr geteilt, sie ist die meiste Zeit in der Bibliothek oder lernt still an ihrem Schreibtisch. Unsere Bibliothek ist übrigens an Wochenenden 24 Stunden offen, falls du ein Nachteule bist. Aber eins kann ich dir sagen, die Bibliothek ist am Wochenende nicht der spannendste Ort.", erklärt sie mir während wir aussteigen und sie in den linken Flur abbiegt. "Links sind die Mädchen Zimmer, rechts die der Jungs. Aber sagen wir mal so: Ich halte das nicht gern ein." sie zwinkert mir zu und ich beginne sie immer mehr zu mögen. Ich habe zwar nicht viel Zeit mit anderen Jugendlichen verbracht, aber meine Jungfräulichkeit habe ich dennoch schon verabschiedet. Es war nichts Großes oder Besonderes. Ich besuchte meine Großmutter an der Küste und habe einen Jungen bei einem Nachtspaziergang kennengelernt. Wir verstanden uns gut, sind zu ihm nach Hause, haben ein paar Bier getrunken und es dann einfach getan. Danach habe ich ihn nie wieder gesehen aber das störte mich und auch ihn nicht. Sagen wir, es war gut für ein Mal. Lucy zeigt auf ein Zimmer mit der Nummer 12. "Das ist mein Zimmer, also falls du was brauchst kannst du immer anklopfen. Vertrauensschüler haben Einzelzimmer, also brauchst du auch keine Angst vor einer Mitbewohnerin zu haben." Ein Einzelzimmer hätte ich auch gerne. Ich habe gerne meine Privatsphäre aber laut Lucy brauche ich mir da mit meiner Mitbewohnerin nicht all zu große Sorgen zu machen. Schließlich kommen wir vor dem Zimmer mit der Nummer 7 an. "Und das ist deins." Sie öffnet die Tür und wir treten in ein sehr geräumiges Zwei Bett Zimmer mit einem großen Fenster. Die Gardinen sind ebenfalls bordeauxrot, sowie die dekorativen Kopfkissen die auf einer Couch liegen. Ja, richtig gehört. Eine Couch. Dieses Zimmer übertrifft alle meine Vorstellungen eines Internats. Ich hätte an ein Hochbett und karge Wände gedacht aber das hier ist der reinste Luxus. Das Zimmer ist in zwei geteilt und beide Seiten sehen identisch aus, bis auf dass die rechte Seite etwas mehr mit Fotos und Urkunden dekoriert ist. Auf dem linken Bett, welche ich als meines einschätze liegt ein Stapel Polos und ein Stapel Sweatshirts. Meine "Uniform", wie meine Mutter sie nennt. "Du musst sie nicht sofort anziehen, ich würde dir gerne noch den Rest zeigen, bevor die anderen ankommen." Ich beachte die Kleidung nicht weiter und stelle meinen Koffer in die Ecke neben der linken Schreibtischseite. Lucy steht im Türrahmen und zeigt mit einer großen Bewegung auf den Flur. "Diese Etage und der Rest bis oben sind alles nur Zimmer. Es sind nicht alle besetzt, es gibt nämlich auch Schüler, die hier in der Umgebung wohnen." Wieder bewegen wir uns in Richtung Fahrstuhl. Ich liebe das Teil. "Zuerst zum etwas langweiligerem aber nützlichen Part.", sagt sie, während wir mit dem Fahrstuhl zur 1. Etage fahren. Wir landen diesmal nicht auf einmal Flur, sondern in einer kleinen Halle. "Hier gibt es nicht all zu viel. dort hinten sind Toiletten und ein paar Abstellräume mit dem Material unser Reinigungskräfte. Hier werden sie übrigens mit Respekt behandelt, genauso wie jeder Lehrer. Wer dabei erwischt wird eine unserer Kräfte nicht gerecht zu behandeln bekommt Nachsitzen und Zimmerarrest." Die Einstellung gefällt mir. Hier braucht niemand Angst davor zu haben, dass ich eine Reinigungskraft nicht respektiere. Wir nähern uns einer automatischen Schiebetür, die sich vor uns öffnet. "Hier ist die Cafeteria. Das Essen ist fabelhaft du wirst es lieben!" Sie macht einen kleinen Hüpfer. Noch eine Sorge weniger, denn ich hatte befürchtet, das Essen wäre vielleicht grauenhaft. Ich blicke in eine Halle voller runder Tische. Lucy wirft einen Blick auf die große Uhr an der Wand. "Okay wir müssen uns beeilen. Los weiter zu Bibliothek." Sie eilt nun ein wenig, aber diesmal nicht in Richtung Fahrstuhl sondern zu einer Treppe. Ich versuche mit ihr mitzuhalten, was sich als schwierig herausstellt, da ich aufgrund meiner Größe extrem kurze Beine habe im Gegensatz zu ihr. Die Wendeltreppe ist nur wenige Stufen lang und als wir unten ankommen kann ich nur staunen. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so viele Bücher auf einen Haufen gesehen. "Du wirst wahrscheinlich Wochen brauchen um dich hier zurecht zu finden, das Sortiersystem ist nicht gerade das schlauste wenn du mich fragst." Ich sehe mich um und entdecke neben Tischen und Stühlen auch Sessel und Sofas. Hier könnte ich mich echt wohl fühlen. "Unter der Woche kannst du von 6 bis 21 Uhr hier sein, davor und danach dürfen wir uns nicht außerhalb der Zimmer aufhalten. Ebenfalls eine Regel, die ich nicht immer so gerne beachte." Ich bin sehr froh, dass ich in Lucy direkt jemanden gefunden habe, mit dem ich mich wirklich verstehen könnte. Jetzt muss ich nur noch darauf hoffen, dass die anderen Schüler auch so drauf sind. Oder zumindest ein paar. Auf der anderen Seite der Bibliothek ist eine Tür, auf die Lucy mit großen Schritten zugeht. Das schwere Holz der Tür erfordert beinahe Lucys ganzes Körpergewicht zum Öffnen und ich helfe ihr dabei. Vor uns befindet sich eine Terrasse und der leichte Wind kitzelt meine Nasenspitze. Eine Treppe führt von der Terrasse hinunter auf den Rasen und diesen Weg schlägt Lucy jetzt aus ein. "Für andere wäre das jetzt eine normale Führung über den Campus aber es ist so viel mehr als das.", erklärt sie und schlendert über den Rasen. Auf dem Gelände vor uns befinden sich mehrere kleinere Gebäude, fast schon wie kleine Häuser. "Das sind unsere Vereinshäuser. Vielleicht hast du schon gelesen, dass wir nicht nur für unser Geld bekannt sind, sondern auch für unsere sozialen Dienste." Verdutzt blicke ich sie an und schüttele unsicher den Kopf. Ich hatte von so etwas keine Ahnung, allgemein weiß ich eigentlich so gut wie nichts über diese Schule. Lucy muss bei meinem Anblick lachen. "Na jetzt weißt du es. Wir treffen uns ein Mal die Woche und besprechen neue Projekte. Aber das ist eher eine Nebensache, die in unseren kleinen Hütten wie wir sie nennen passiert."  ihre Augen beginnen zu strahlen und sie schließt die Tür eines der Häuser auf. Ich folge ihr durch ein paar Räume, dann eine Treppe hinunter. "Willkommen in der Partywelt der Walton Academy!" sie wirf die Arme zur Seite und dreht sich. Ich erblicke Sofas, Kühlschränke und Tische, auf denen Kreise gemalt sind. "Alle Häuser sind unterirdisch miteinander verbunden, also das ist nicht der einzige Raum. Früher dienten diese Räume als eine Art Bunker zu Kriegszeiten. Mittlerweile haben fast alle diesen Ort vergessen, nur wir Schüler nicht." ich bemerke, dass ich fast den ganzen Rundgang überhaupt nicht gesprochen habe. Vielleicht liegt es daran, dass ich einfach zu überwältigt bin. "Wow", bringe ich halb flüsternd hervor und sehe mich immernoch staunend um. "Du kannst ja doch reden, ich hätte fast die Hoffnung aufgegeben", prustet Lucy hervor. "Ich denke ich war einfach ein wenig überwältigt, ich bin so eine Umgebung echt nicht gewohnt.", erkläre ich stammelnd aber Lucy lächelt mich einfach nur an und geht wieder in Richtung Treppe. "Kann man verstehen. Wir müssen denk ich so langsam wieder zurück. Direktor Smith wird denke ich bald fertig sein mit deiner Mutter." Ich folge ihr zurück über den Rasen, durch die Bibliothek und durch mir noch unbekannte Flure zu einem Büro. "So, wenn wir nun alles geklärt haben, dann können wir hinausgehen ich denke ihre Tochter wird draußen schon auf Sie warten. Es hat mich gefreut Sie kennengelernt zu haben" Dafür, dass die Holztüren so dick erscheinen hört man jedes Wort, was in dem Büro gesprochen wird. Die Tür öffnet sich und meine Mutter kommt hinaus. Sie sieht glücklich und traurig zugleich aus. Lucy entfernt sich ein wenig und ich nehme meine Mutter in den Arm. "Ich bin so stolz auf dich. Das ist mein Mädchen. Zeigs ihnen okay?" eine Träne kullert ihr Gesicht hinunter. und ich streiche sie mit meinem Daumen zur Seite. "Das werde ich, Mama."

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