Kapitel 3

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Am nächsten Tag stand Khadija früh auf. Sie betete und machte sich fertig, um beim Bäcker ihres Vertrauens frische Brötchen zu holen. Das gehörte seit Jahren schon zu ihren Wochenendaufgaben. Sie wollte niemanden wecken, also beschloss sie sich noch vor dem Frühstück ihr Auto waschen zu gehen. Sie nahm sich ihre Tasche und verschwand leise durch die Haustür. Sie verpasste ihrem Auto ein Wohlfühlprogramm und konnte es danach selbst nicht wiedererkennen. Die Krümmel waren verschwunden und auch der ganze Staub wurde zwangsweise in den Staubsauger umgesiedelt.
Sie fuhr zurück nach Hause und bemerkte, dass ihr Vater in der Zwischenzeit wach geworden war. Augenblicklich begab sie sich in die Küche und bereitete das Frühstück vor. Sie kochte Kaffee und Eier und drapierte verschiedene Brotbeläge auf einen Teller. Sie gab sich immer besonders viel Mühe für das Frühstück an den Wochenenden.

Es wurde zusammen gefrühstückt und alles wurde abgeräumt. Danach ging Khadija in ihr Zimmer und bereitete sich für ihre wöchentliche Dialyse vor. Sie war sehr dankbar, dass sie hier diese Möglichkeit der Therapie hatte, aber dennoch war es mit einer großen Anstrengung für ihren Körper verbunden. Sie packte ihre Tasche und machte sich auf den Weg zum Dialysezentrum. Sie lief immer dorthin und wurde später abgeholt, da sie danach oft mit ihrem Kreislauf zu kämpfen hatte und sich nicht zutraute in diesem Zustand Auto zu fahren.

Sie kam an und begrüßte alle wie gewohnt. Sie wurde in den Raum geführt und legte ihre Sachen auf den Stuhl ab, der neben dem Bett stand. Sie krämpelte den Ärmel ihres Oberteils schon hoch und legte sich anschließend auf das Bett. Sie wusste zwar schon, was nun auf die zu kam, aber dennoch war sie jedesmal aufs Neue aufgeregt und zitterte innerlich. Eine Schwester kam ins Zimmer und bereitete die Maschinen und auch Khadija vor.

Während die Schwester ihr also wieder einen Zugang legte und sie an die Maschine anschloss, schaute Khadija gar nicht hin. Sie konnte Blut nicht sehen und Nadeln waren ihre Erzfeinde. Meist schloss sie ihre Augen einfach und dachte nach, während die Maschine die Aufgabe ihrer Nieren übernahm und diese entlasteten. Khadijas Nieren funktionierten zwar noch, aber die Nierenfunktion war sehr beeinträchtigt, weshalb kein Weg an der wöchentlichen Dialyse vorbei führte. Sie hatte noch Glück gehabt, denn viele andere Patienten, die sie kannte, mussten wesentlich öfter zur Dialyse. Die Schwester stellte das Gerät an und verließ sogleich den Raum.

Die nächsten Stunden hatte Khadija genug Zeit, um über ihr Projekt nachzudenken und wie sie es umgestalten könnte. Sie dachte über ihre Erfahrungen mit dem Thema Rassismus nach und fiel in einen nicht enden wollenden Strudel an bitteren Erinnerungen, die drohten, sie zu verschlucken und nie wieder loszulassen. Sie musste sich oftmals Sachen anhören und gefallen lassen, weil sie eine Frau war, weil sie dem Islam angehörte und weil sie einen Migrationshintergrund hatte. Dass sie ein Mensch war, der genauso Träume und Wünsche hatte, wurde nicht beachtet.
Manchmal fühlte sie sich entmenschlicht und verstand nicht, was in ihren Mitmenschen vorging. Khadija durchsuchte ihre Gedanken wie ein Kriminalkommissar. der auf der Suche nach dem Mörder war.

Sie schlug die Augen auf und spürte gleich die schwüle Luft, die sie umgab. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und bemerkte die Feuchtigkeit darauf. Ihr Körper war durchgeschwitzt und sie fühlte sich unwohl in ihrer eigenen Haut. Die Verzierungen an der Decke und auch die bunten Fliesen an den Wänden, die an vielen Ecken bereits abgesprungen waren, kamen ihr verdächtig bekannt vor.

"Frau Masoudi, wachen Sie auf, sie können jetzt gehen.", hörte Khadija eine weiche Stimme, die sie zurück in die Realität holte. Es war nur ein Traum. Sie öffnete die Augen und fand sich in der bekannten Umgebung des Dialysezentrums wieder. Die Frau hatte ihr bereits den Zugang entfernt und die Stelle verbunden. Khadija bedankte sich bei der netten Frau und stand vorsichtig auf. Sie hatte oft mit Schwindel und Übelkeit nach der Therapie zu kämpfen, aber das würde sie nicht daran hindern, ihre Idee zu Papier zu bringen. Sie hatte eine Idee und sie war hellauf begeistert von ihr. Sie verließ das Gebäude und ging auf den Parkplatz zu, wo ihr Vater bereits auf sie wartete. Das war ihre Samstagsroutine seit einigen Jahren. Er holte sie ab und danach war sie quasi unbrauchbar. Oft legte sie sich einfach nur ins Bett und schlief einige Stunden. Sie wartete auf ein Spenderorgan, aber das war leider so selten wie ein Sechser im Lotto.

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