Dort saß sie. Stillschweigend über ein Buch gebeugt. Doch aus irgendeinem Grund wollte und konnte sie sich nicht in jenes vertiefen.
Er war nicht hier. Diese Erkenntnis traf sie immer und immer wieder wie ein Schlag in die Magengrube.
Würde er noch kommen?
Hatte ihn etwas aufgehalten sich hier wiederzufinden oder hatte er von Beginn an nicht vor hierher zu kommen?
Kamm er doch nur zum Lernen hier her?
War sie etwa eine seltsame Stalkerin, die nur jeden Donnerstag her kam um einen Typen zu beobachten?
Letzteres stand außer Frage, dachte sie, denn als Stalking konnte man ihre Art der Obsession nicht gerade bezeichnen.
Irgendetwas an diesem Jungen brachte sie dazu ihn unbedingt näher kennen lernen zu wollen.
Klar könne sie ihn ansprechen, doch den Mut brachte sie nie auf, wenn sie ihm gegenüber saß.
Genau in diesem Moment stellte sie sich vor, wie sie aufblicken würde, seine strahlend blauen Augen auf ihr ruhend und mit einem simplen „Hi" die Stille brechen würde.Er hingegen nahm in diesem Moment nur blaues Licht und Sirenen war.
Ein stechender Schmerz zog sich durch seinen Körper und doch hatte dieser nichts mit seinem psychischen Schmerz zu tun.
Er wollte sie unbedingt sehen. Seine persönliche Sonne und Motivation.
In ihre Augen blicken und gleichzeitig an all die anderen Momente denken, welche sie zu Besonderen gemacht hatte.
Doch nun lag er hier. Auf dem Boden. Weit weg von ihr. Mit gebrochenem Arm und zugleich gebrochenem Versprechen.Sie blickte auf. Und in diesem Moment wurde ihr Gesicht kreidebleich.
Auf seinem Stuhl saß nun eine andere Person.
Ein Mädchen etwa in ihrem Alter hatte gerade seinen Stuhl besetzt.Er öffnete die Augen. Ein Polizist stand über ihm gebeugt da. Blickte auf ihn herab.
Anscheinend sprach er gerade mit irgendwem.
Seine Lippen bewegten sich. Doch der Junge der mitten auf der Straße lag und zu ihm aufsah, konnte nicht einmal diese Geräusche wahrnehmen.
Im Gegenteil. Er lag da. Regungslos und stellte sich einfach vor, was geschehen wäre, wäre er heute in der Bibliothek erschienen.
Hätte er nicht dieses eine Versprechen gebrochen, dass er für sich selbst aber doch auch für sie einhalten wollte.
Wäre sie heute gekommen?
Wäre sie nicht erschienen?
War sie gerade dort?
Wartete sie auf ihn?
Alles Fragen, auf die er keine Antworten parat hatte.Hastig sprang sie auf, packte ihren Kram und lief zur schweren Holztür. Doch all das passierte nicht ohne noch einen letzten Blick auf seinen Platz zu werfen.
Eine letzte Chance, dachte sie.
Ich werde da sein, versicherte er sich selbst.
Vielleicht wird er die Stille brechen, hoffte sie.
Vielleicht reden wir dann miteinander, hoffte er ehe seine Augen zufielen und er der Bewusstlosigkeit immer näher kam.
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Maybe next time
Short StoryDie Stille ist ein wohliger Ort. Gezeichnet von Gedanken und Träumen. Möchte man sich schwerelos fühlen, flieht man in die Stille, so lade ich dich ein: Komm mit mir auf Reisen und erkunde eine besondere Stille. ----------------------- Anfang: 22. J...