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Ich entschied mich dazu, erstmal nicht zur Schule zu gehen. Ich erzählte meiner Mutter, dass es mir nicht gut ging und konnte von Mittwoch bis Freitag Zuhause bleiben. Mein Tag bestand darin, Fernsehen zu gucken, zu essen, mit Franz zu spielen und nicht zu weinen. Die Tage vergingen viel zu schnell. Es war nun schon Freitag und ich hatte mich nicht einmal aus dem Haus bewegt. Montag musste ich wieder in die Schule. Wenn ich daran dachte, dass ich am Montag gleich morgens eine Doppelstunde Englisch mit Frau Winter hatte und am Nachmittag auch nochmal Deutsch, hatte ich wirklich keine Lust. Als ich an diesem Abend auf mein Handy sah, hatte ich eine Nachricht von Leni. "heyyy, wie geht's dir? lust heute mit mir zum training zu fahren?"

Ich überlegte eine Weile ob ich Lust hatte oder nicht. Eigentlich wollte ich niemanden sehen und ich hatte auch keine Lust, dass Leni mir fragen stellte. Es könnte aber auch schön sein, mal wieder den Kopf frei zu bekommen und einfach ein wenig Sport zu machen. Seitdem Leni und ich zwölf waren, spielten wir in einem Fußballverein. Ich hatte es schon seit einer Weile vernachlässigt, aber irgendwie hatte ich nun doch Lust bekommen. Ich konnte ja nicht ewig in meinem Zimmer bleiben.

Ich lag noch eine Weile im Bett und zog mich dann um. Bevor ich nach draußen ging sah ich noch einmal in den Spiegel. Ich sollte öfter Sportsachen tragen, dachte ich. Es wurde langsam kalt und ich war sehr froh, dass ich mir einen Pullover übergezogen hatte. Die Bäume hatten nun keine Blätter mehr und obwohl es erst kurz nach vier war, wurde es langsam dunkel. Leni kam zehn Minuten zu spät, was ich aber nicht schlimm fand. Es war nur ein wenig kalt. Wir fuhren eine Weile. Sie redete und ich antwortete. „Ist alles gut bei dir? Du bist so still.", fragte sie besorgt und sah mich dabei an. „Ja, alles gut.", sagte ich in einem eher weniger überzeugenden Ton. Hast du Liebeskummer?", fragte sie plötzlich. Ich sah sie an. Woher wusste sie das? „Ähm. Nicht wirklich", log ich. „Bist du überhaupt an sowas interessiert? An Liebe?", fragte sie nun. Leni schaute angestrengt auf die Straße. Ich war verwirrt. Warum fragte sie mich sowas. Wirkte ich so unfähig zu Lieben? „Ja, an sich schon.", sagte ich unsicher. „Okay cool.", sagte sie nur. Danach redeten wir nicht mehr. Wir kamen an und fingen an zu trainieren und es war wirklich befreiend, mal wieder auf dem Platz zu stehen. Ich war froh, die anderen Mädchen aus der Mannschaft wiederzusehen. Ich war nicht so gut in Form. Ob das nun daran lag, dass ich seit drei Monaten nicht mehr beim Training war oder daran, dass meine Gedanken sich nur um eine Person drehten, konnte ich nicht so genau sagen. immer wieder merkte ich einen Blick auf mir ruhen. Als ich endlich aufsah und mich umsah, blickte ich kurz in die Augen von Sam. Sie schaute schnell weg. Vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet. Sam war ein überaus attraktives Mädchen. Sie war ein halbes Jahr älter als ich, hatte glatte weißblonde Haare, die ihr bis kurz über die Schulter gingen und wirklich sehr schöne blaue Augen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass sie mir noch nie aufgefallen war. Ich kannte sie seit etwa anderthalb Jahren, da sie erst in unsere Stadt gezogen und dem Team dann beigetreten war. Ich fing wieder an, mit Jana Pässe zu üben, doch wieder spürte ich einen Blick auf mir und wieder sah ich in die blauen Augen von Sam. Das passierte ungefähr noch fünf Mal. Ich sagte mir einfach, dass ich es mir sicherlich einbildete.

Nach zwei Stunden war das Training beendet. Ich war voller Schlamm und mir war kalt. Ich wollte mich kurz hier abduschen, auch wenn ich die Duschen hier am Platz nicht wirklich leiden konnte, aber ich wollte nicht nass und kalt nach Hause fahren. "Kommst du mit duschen?", fragte ich Leni. "Nee. Ich dusch zu Hause. Ich nehm die Erkältung in Kauf.", sagte sie. Ich lachte und ging schnell in die Duschräume. Ich war froh, dass ich allein war. Ich zog mich schnell aus und hüpfte unter die warme Dusche. Ich mochte die Duschen hier nicht. Sie waren wie Duschen in einer Schwimmhalle. Wenn jetzt jemand kommen würde, würde derjenige mich nackt sehen. Ich hatte mir meine Haare hochgesteckt, weil ich nicht wollte, dass sie nass werden. Ich genoss die Dusche sehr. Auf einmal hörte ich, wie jemand ins Bad kam. Es war Sam. Ich lächelte ihr zu und drehte mich zur Wand. Sie nahm die Dusche links von mir. Ich genoss es, wie das heiße Wasser auf meine Haut rieselte, aber etwas störte mich. Sam sah immer öfter zu mir herüber. „Alles gut?", fragte ich und grinste verlegen. „Darf ich dich was fragen?", fragte sie mich. Ich hasste es, wenn Leute mir diese Frage stellten. „Ja, klar hau raus.", sagte ich und sah zu ihr. „Ich hab dich beobachtet.", sagte sie. „Okay?", sagte ich verwirrt. „Stehst du auf Frauen?", fragte sie. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also nickte ich nur. "Okay gut. Ich wollte dir schon lange sagen, dass ich dich irgendwie ganz gut finde.", sagte sie. "Oh...", war das Einzige, was ich in diesem Moment heraus bekam. Sie machte ihre Dusche aus und kam zu mir. Sie legte ihre Hand an meinen Kopf und zog mich zu ihr. Wir küssten uns. Obwohl ich schon etliche Küsse zuvor hatte, war dieser anders. Er war mit einer nackten Person. Das hatte ich bis jetzt noch nicht. Unsere nackten Körper pressten sich aneinander und sie stöhnte. Ich hatte keine Kontrolle mehr. Ich presste sie an die geflieste Wand und stöhnte ebenfalls in den Kuss hinein. Ihre Hand wanderte zu meinen Brüsten und meine Hand krallte sich in ihre blonden Haare. Ich fand es schön, wie wir unsere nackten Körper aneinander pressten und wie das warme Wasser auf meine Haut prasselte. Sams Hand wanderte nun zu einer Stelle, die bisher nur ich selbst berührt hatte. Ich fand es schön, ohne Frage, aber sie war nicht das, was ich wollte. Der Kuss zeigte mir, wie sehr ich eigentlich an Frau Winter hing. Bevor sie mich berühren konnte, wurde mir bewusst, was ich da überhaupt tat. Ich drückte Sam von mir weg. Sie sah mich verdattert an. Ich wollte mein erstes Mal nicht mit einer Mannschaftskameradin haben, die ich einmal im Monat sah. Und schon gar nicht in einem Mannschaftsbad. „Sam, das geht nicht. Tut mir leid." Ich ging einen Schritt von ihr weg. Dann drehte ich mich um schnappte mir mein Handtuch und rannte zur Umkleide. Ich drehte mich nicht einmal um.

Ich zog mich so schnell ich konnte an und kam am Auto von Leni an. Wir fuhren los und meine Gedanken waren das reinste Chaos. "Möchtest du darüber reden?", fragte Leni plötzlich. Ich blickte zu Leni. "Worüber?", fragte ich. Mein Herz raste. "Über das, was vorhin im Bad passiert ist.", sagte sie mit einer ruhigen Stimme. "Ich weiß nicht, was du meinst.", log ich. "Mila, ich finde es nicht schlimm. Ich will nur nicht, dass wir Geheimnisse voreinander haben.", sagte sie und klang ein wenig verletzt. "Aber woher weißt du-", fragte ich, doch sie unterbrach mich. "Ich hab mich am Ende doch zu dreckig und nass gefühlt und wollte auch duschen gehen. Da hab ich euch gesehen.", antwortete Leni. Es war mir überaus peinlich, dass sie mich in so einer gesehen hat. "Also, ja. Ich stehe auf Frauen, aber ich wollte nichts von Sam. Sie hat mich einfach geküsst und ich wollte das eigentlich nicht.", sagte ich. Ob sich Frau Winter so gefühlt hat, als ich sie geküsst hatte? Jetzt fühlte ich mich schlecht.

"Warum hast du mir das nie erzählt, dass du auf Frauen stehst?", fragte sie. "Ich weiß es nicht. Ich hatte Angst.", sagte ich. "Brauchst du nicht, okay? Ich hab dich immer lieb.", ich sah sie liebevoll an und war froh, dass sie meine beste Freundin war. "Danke.", murmelte ich und sah nur wie sie grinste. "Außerdem bin ich bi, also wird das wohl noch weniger ein Problem für mich sein.", lachte Leni. "Wusste ich's doch!", platzte es aus mir heraus. "Und siehst du, du hast mir auch nichts erzählt.", schimpfte ich gespielt. "Na gut erwischt.", lachte Leni. Wir hörten Musik und fuhren bis zu mir.

Leni ließ mich raus und ich setzte mich an den Tisch, an dem das Abendessen serviert wurde. Ich aß und ging hoch in mein Zimmer. Oben angekommen, stürzte mir die Decke wieder auf den Kopf. Sofort musste ich wieder an Frau Winter denken, was mir das Herz brach. Ich entschied mich, auf Spotify nach "traurige Playlist" zu suchen. Ich fand mich selbst ein bisschen cringe. Ich drückte auf Shuffle und das Lied "Let her go" von Passenger fing an zu laufen.

Staring at the ceiling in the darkSame old empty feeling in your heart

'Cause love comes slow, and it goes so fast
Well, you see her when you fall asleep

But never to touch and never to keep'

Cause you loved her too much, and you dived too deep

Ich lag mit auf dem Rücken und starrte meine dunkle Zimmerwand an. Vor meinen Augen sah ich die ganze Zeit Frau Winters Gesicht. Ich überlegte, wie sie mit mir umgehen würde. Seit dem Kuss hatten wir uns nicht nochmal gesehen und ich hatte Angst, dass es total komisch im Unterricht werden würde. Vielleicht sollte ich einfach die Schule wechseln. Das wäre aber auch doof, schließlich bin ich im letzten Schuljahr und musste nur noch vier Monate zur Schule gehe, bis ich mein Abi schrieb. Es machte mich alles einfach unglaublich irre. Doch ich musste Montag wieder zur Schule, wo ich sie auch zu einhundert Prozent sehen würde, da ich Englisch hatte.

Als ich Montag aufwachte, quälte ich mich aus dem Bett und machte mich fertig, als ich den Klassenraum betrat, wartete Leni schon hinten auf mich. "Schön, dass du wieder da bist." Ich ließ mich auf meinen Platz fallen. "Hab ich was in Englisch verpasst?", sagte ich, während ich mein Zeug auspackte. "Frau Winter war seit Mittwoch nicht in der Schule. Genau wie du.", sagte Leni. Na toll. Das hieß, dass ich umsonst krank gemacht hatte. Irgendwie machte mich das froh, weil ich wusste, dass es ihr anscheinend auch nicht gut ging und ich nicht alleine mit dem Gefühl war. Ich hoffte ein wenig, dass sie sich auch heute nicht in der Schule blicken ließ, doch meine Hoffnungen wurden nicht erhört, denn genau zum Stundenklingeln kam sie in den Klassenraum. Sie sah müde und fertig aus. So, als hätte sie seit Mittwoch nur zehn Stunden geschlafen. Sie würdigte mich nicht eines Blickes. Sie zog ihren Unterricht durch, aber jeder, der auch nur eine kleine Ahnung davon hatte, wie fröhliche Menschen aussahen, konnte sehen, dass sie definitiv nicht glücklich war. Als die Doppelstunde vorbei war, stürmte sie direkt aus dem Zimmer. "Was war denn heute mit der los?", fragte Leni erstaunt. "Kein Plan.", log ich. In meinem Inneren entschloss ich mich aber grade, dass ich Frau Winter in der Pause aufsuchen musste.

stirb nicht an Herzdrücken (txs)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt