Der magere Körper des Mutanten pulsierte langsam und seine Hände zitterten. Seine Augen zuckten wild in alle Richtungen, bis sie irgendwann Elias Blick trafen. Auf einen Schlag fiel die ganze Erschöpfung der letzten Tage von ihm ab, die Kälte wich von ihm und seine Wunden taten nicht mehr weh. Er blickte in die Augen eines verlorenen Wesens, was nichts auf der Welt hatte. Der Blick des Wesens durchdrang ihn und schien direkt in seine Gedanken zu stechen.Ja, das Wesen konnte seine Gedanken lesen. Er konnte es spüren. Er spürte, wie es eine Verbindung zu ihm aufbaute und sich annäherte.
Das Wesen hob den Kopf und gurrte leise. Die schwarze Haut spannte sich auf seinen dünnen Knochen, die so aussahen, als würden sie allein unter dem Druck der Haut zerbrechen können. „Hör mir zu".
Wo kam diese Stimme her? Elias wusste es. Er hörte die Stimme nur in seinem Kopf.
„Was bist du?" fragte Elias laut. „Ich bin der neue Mensch, das bessere Du." Hörte er es in seinem Kopf. „Lass mich dir etwas zeigen".
Vor seinem Auge verschwomm die wahre Welt und eine neue formte sich vor seinem inneren Auge. Vor ihm nahm ein Schulhof Gestalt an, der ihm leicht bekannt vorkam. Am Ende des Schulhofes war ein heruntergekommenes, ehemalig gelb angemaltes Schulgebäude. Die Farbe blätterte von der Hauswand ab und bildete eine kleine Linie aus Fetzen am Boden.
„Hast du Angst Elli?" fragte eine Stimme von hinten. Auch die Stimme kam ihm bekannt vor. Eine zweite Stimme antwortete der anderen „Ähm, nein. Obwohl. Doch, schon ein bisschen." Die zweite Stimme war von einem Kind, mit etwas zitternder Aussprache.
Elias drehte sich um und entdeckte, woher die Stimmen gekommen waren. Vor ihm standen sein sechs-jähriges Ich und... Seine Mutter, die sich mit einem sanften Lächeln zu ihrem Sohn herunterbeugte. Er selbst trug einen grünen Strickpullover, der ihm etwas zu groß war und einen nagelneuen Schulrucksack, auf dem einzelne Dinosaurier auf einem roten Hintergrund abgebildet waren. Er guckte zu seiner Mutter hinauf, die ein rosa Sommerkleid mit Blümchen darauf trug. „Hör zu Elias," sagte seine Mutter mit einfühlsamer Stimme zu ihrem geliebten Sohn. „Du musst in die Schule gehen, damit du etwas lernst und später mal einen tollen Beruf hast. Wenn du jetzt ganz tapfer bist und hineingehst und den ganzen Tag gut aufpasst, dann essen wir heute Nachmittag Waffeln mit Vanilleeis, abgemacht?"
Elias erinnerte sich an den Geschmack von Waffeln. Er hatte Sehnsucht nach seiner Mutter und der alten Welt. Waffeln mit Vanilleeis waren früher sein Lieblingsessen gewesen. Ein Gericht dieser Klasse gab es heutzutage nicht mehr. Er hörte, wie sein früheres Ich leise zustimmte und sah wie sich die Mine des Jungen aufheiterte. Langsam kamen die Erinnerungen an diesen Tag zurück. Er wusste, dass an dem Tag noch etwas schlimmes passiert war, konnte sich allerdings nicht erinnern was. Woran er allerdings wieder Erinnerungen hatte, war der Grund warum er solche Angst davor gehabt hatte in die Schule zu gehen.
Es war der Tag seiner Einschulung. Im Kindergarten war er bereits nie wirklich beliebt gewesen und hatte nur drei Freunde. Als er in die Grundschule kam hatte er Angst, dass es dort genauso wäre. Elias wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der andere Elias sich nach einem Abschiedskuss umdrehte und zum Eingang des Schulgebäudes lief. Er folgte dem jüngeren zur Tür. Über dem Türrahmen hing ein Banner mit bunter Schrift darauf und einzelnen kleinen Zeichnungen von Schulkindern mit Schultüten in der Hand. ‚Willkommen 1.-Klässler!' jubelte es einen geradezu an. Aber Elias war auf etwas anderes fokussiert. Im Foyer der Grundschule hing an einer roten Wand ein Kalender.
Das Datum darauf war der 6. Juli 2013.
Ein Schock durchfuhr Elias. Es war DER Tag. Der Tag, an dem alles unterging. Nun waren alle seine Erinnerungen an dieses grauenhafte Geschehnis zurückgekehrt. Plötzlich veränderte sich die Umgebung um ihn herum. Das Foyer verschwamm, bis es gegen einen Raum voller begeisterter Kinder ausgetauscht wurde. Er entdeckte sich selbst auf einem roten Plastikstuhl. Er unterhielt sich mit seinem Sitznachbarn, der Max hieß. Er konnte nur einzelne Gesprächsbrocken verstehen. Die beiden unterhielten sich über ihren alten Kindergarten und machten Witze über die Mädchen aus ihrer neuen Klasse. Die Lehrerin, die vorne an der Tafel die ersten drei Buchstaben des Alphabets mehrmals angeschrieben hatte unterbrach diese Aktivität um die Kinder noch vor dem Gong in die Pause zu schicken. Jubelnd standen die Schüler auf und stürmten auf den Hof um dort zu spielen und sich von dem Unterricht zu erholen. Elias folgte dem anderen und Max nach draußen und beobachtete die beiden, wie sie sich aus einer Kammer einen Fußball holten und sich diesen gegenseitig zukickten.
Er sah, wie glücklich alle waren. All das würde bald vorbei sein.
Wie auf Kommando gingen in ganz Köln Alarmsirenen los und alle Lehrer kamen auf den Hof gestürmt. Sie wiesen die Kinder an, sofort Zweierreihen zu bilden und den Lehrern zuzuhören. Seine Klassenlehrerin erklärte ihrer Klasse, was gerade passierte. Dann gingen alle zusammen vom Schulhof hinunter in Richtung der U-Bahn Station, die ganz in der Nähe der Grundschule war. Erstaunlicherweise herrschte mehr oder weniger Ruhe. Nur einige Schüler fingen leise an zu weinen. Hastig schritten alle die Treppe in den Untergrund hinab. Am Bahnsteig angekommen sammelten sich alle um den Schulleiter herum.
„Schüler, es kann sein, dass wir für längere Zeit hier leben müssen" sagte er. Ein lächerlicher Mann. Elias hatte ihn früher schon nicht gemocht und hatte bereits damals schon verstanden, dass er kein guter Schulleiter war. Sein Name war Albert Krömer gewesen. Albert lief selbst der Angstschweiß an seiner speckigen Glatze herunter. Er öffnete den Mund, um weiter zu stottern, wurde allerdings von einem lauten Knall übertönt.
Die Decke bebte und die Temperatur stieg. Nun fingen noch mehr Schüler an zu weinen und Herr Krömer verlor endgültig die Fassung. Ein Chaos brach an der Station aus. Menschen schrien und verlangten von der Polizei die hermetischen Tore zu öffnen, hatten allerdings keinen Erfolg.
Urplötzlich verschwand die ganze U-Bahn um ihn herum und die echte Welt kehrte zurück. Vor ihm, nun zu voller Größe aufgerichtet stand der Schwarze.
Ja, der Name passte gut. Alles an seinem Körper war schwarz, sogar die Augen.
Der Schwarze war überraschend groß, mindestens zwei Meter, machte allerdings keinen starken Eindruck. Eigentlich hätte Elias zurückweichen sollen oder versuchen den Mutanten mit seiner Kalashnikov niederzuschlagen, allerdings dachte er nicht einmal daran. Das Wesen hatte ihm seine Vergangenheit gezeigt, seine Mutter, seinen Freund und den Untergang der Welt. Aber es hatte da gestoppt, wo das Schlimme anfing.
Anton erinnerte sich, dass später Menschen von außen an die Tür gehämmert hatten. Sie wollten gerettet werden, aber es war schon zu spät. Irgendwann rief eine, Elias sehr bekannte Stimme von der anderen Seite herüber. „LASST MICH ZU MEINEM SOHN! LASST MICH REIN! ELIAS!" hatte sie gerufen. Es war seine Mutter gewesen.
Bei seinem ersten Ausflug als Sammler an die Oberfläche, war ihre verbrannte Leiche das erste was ihm ins Auge gesprungen war.
Der Schwarze war einfühlsam. Er hatte Elias vor dem schlimmsten bewahrt. „Ich habe es dir nicht zeigen wollen" vernahm er es in seinem Kopf. „Danke" sagte Elias mit zittriger Stimme. Er vermisste seine Mutter. Weinend sank er auf den kalten, vereisten Betonbogen des Mehrfamilienhauses. Der Schwarze sank seinen Kopf und schaute ihn an. Durch seine Augen schaute er in eine längst verschollene und verstrahlte Welt, nach der jeder am Dom Sehnsucht hatte. Elias wand seinen Blick ab. Dann fragte er „Warum bist du hier?" „Ich musste mich verstecken" sagte ihm sein Kopf zur Antwort. „Vor wem?" wollte er wissen. „Vor dir. Vor dir und deinem Volk." Anton wand seinen Kopf wieder dem Mutanten zu; oder der Mutantin? „Bist du ein Mann oder eine Frau?" fragte Elias. Die Antwort verwunderte ihn. „Wir haben kein Geschlecht. Wir pflanzen uns nicht so fort wie ihr. So haben wir unter nahezu jeder Bedingung die Möglichkeit, unsere Art weiterzuführen. „Und... Wo kommst du her? Gibt es noch mehr von deiner Art?" wollte er wissen. Als Antwort auf die Frage verschwamm erneut die Welt um Elias herum und formte sich neu.
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Metro 2033 - In die Schatten | Eine Metro Kurzgeschichten-Reihe
Science FictionEs ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die in einem postapokalyptischen Köln in Deutschland im Jahr 2033 spielen. Die Welt wurde durch einen Atomkrieg zerstört und die Menschen leben im Untergrund. Ich möchte einigen Leuten für die Unterstützung...