Who let the Scholz out

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Auf dem Weg nach unten und anschließend nach draußen musste er vorsichtig sein. Seine Kanzleramtsministerin empfing gerade die deutsche Codegolf-Nationalmannschaft vor ihrer Abreise zu den Olympischen Winterspielen in Katar, wo man extra für die Olympiade die weltgrößte Indoor-Skihalle gebaut hatte — das IOC war begeistert von solch eifrigem Einsatz.

Im Foyer befand sich also Publikum und Presse, das musste er auf jeden Fall umgehen. Er wollte hinaus zur Demonstration, die sich mittlerweile bereits auf der Straße des 17. Juni befand und sich dem Brandenburger Tor näherte.

Also verließ er das Nottreppenhaus des mittleren Leitungsbaus des Bundeskanzleramtes und begab sich in den westlichen Arm des Büroflügels im Süden. Schnellen Schrittes lief er an den unzähligen Büros vorbei bis er am Ende des Ganges an ein weiteres Nottreppenhaus gelangte. Er drückte die Tür auf und stieg die Treppen hinunter. Unten angekommen stand er vor einer Notausgangstür, die hinaus zum Bettina-von-Arnim-Ufer der Spree führte. Er zögerte. Sie war selbstverständlich nicht verriegelt, aber mit der Brandmeldezentrale verbunden; wenn er sie öffnete, würde der Feueralarm losgehen, und er würde sehr viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen und heute keine Gelegenheit für sein Vorhaben bekommen. Scholz dachte nach und suchte mit seinem Blick ringsherum den Türrahmen ab. Sein Blick fiel auf seinen eigenen Unterarm, wo er eine schlecht entgratete Kante der Verschalungsplatte bemerkte. Er nahm die Platte ab, hebelte den Alarmauslöserkasten auf und säbelte mit der Kante seiner Verschalungplatte die Drähte ab. Dann drückte er die Klinke und öffnete die Tür.

Er hielt inne.

Kein Alarm, keine Sirene. Er schritt hinaus in die kühle Luft des Bettina-von-Arnim-Ufers und ließ die Tür hinter sich zufallen. Die Platte setzte er wieder ein. Dann ging er in südlicher Richtung los.

Nach einer Weile stoppte er. Er würde viel zu lange brauchen, wenn er den ganzen Weg zu Fuß zurücklegte. Ihm fielen die Module wieder ein. Er dachte angestrengt an Ladenregale voller Rollschuhe, Berge von Autoreifen und Spreeinseln von E-Scootern. Und tatsächlich: wie es ihm die Verbindungsoffizierin der alten Hauptabteilung XXIII des MfS erklärt hatte, als er sich mit der Beschaffung und dem Bau seiner Module auseinandersetzte, erkannte sein Kortikalimplantat seine rollbaren Gedanken, und aus den Fußteilen seines Exoskeletts fuhren Räder aus.

Schon flitzte er los auf seinen "Rollschuhen". Bei erster Gelegenheit bog er auf einen Weg in das kleine Waldstück ein. Er durchquerte den Wald, überquerte die John-Fuster-Dulles-Allee und drang in den Großen Tiergarten ein. Auf seinem Weg durch den Tiergarten bemerkte er erstmals, welch treffliche Ironie bei den hiesigen Straßennamen versäumt wurde. Welch ein Triumph wäre es doch gewesen, lieber eine Straße mit direktem Zugang zum Sowjetischen Ehrenmal nach dem Antikommunisten John Foster Dulles zu benennen. Immerhin war es aber bereits ironisch, dass dieses Antisemiten Allee die Yitzhak-Rabin-Straße kreuzte. Diese überquerte er nun, und näherte sich dabei immer mehr einem gewissen Denkmal.

Eine riesige Freifläche mitten im Walde. Scholz ging so weit wie möglich vom Sowjetischen Ehrenmal Tiergarten entfernt an selbigem vorbei. Es erinnerte Kanzler Scholz immer unangenehm an seine eigene Vergangenheit als junger Sozialist Olaf. Unbegreiflich war das für ihn heute. Doch selbst er als der neoliberale SPDler aus dem konservativeren Flügel der Partei, zu dem er schon lange geworden war, spürte eine gewisse Kraft, eine Aura von dem Ehrenmal ausgehen, eine Wärme, eine Ausstrahlung von zwingender Klarheit. "Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch Sozialist ist, hat keinen Verstand!", murmelte er dies geflügelte Wort wieder und wieder vor sich hin, wie ein Mantra, um die Wirkung des sowjetischen Denkmals von sich fernzuhalten.

Er rollte auf den Waldrand zu, der die große Freifläche des Ehrenmals an der Ostseite einsäumte, und war wieder im Wald. Der Demonstrationszug war mittlerweile schon vollständig auf dem Platz der Republik angelangt und verweilte halb dort, schob sich halb auf den barcodeförmig begrünten Platz zwischen Paul-Löbe-Haus und dem Bundeskanzleramt. Scholz wollte sich von hinten her auf die Demontration zubewegen. Er ließ den Weg zum Berlin-Pavillon passieren und bog erst die nächste links ab auf die Kleine Querallee. Bei der Abzweigung auf den Simsonweg bog er links ab, um ein bisschen abzukürzen, und fuhr seine Rollen wieder ein. Er regelte die Kraftunterstützung seines Exoskeletts herunter, um leiser zu sein, und schlich langsam auf die Demonstrierenden zu.

Der SCHOLZOMATWo Geschichten leben. Entdecke jetzt