Der Radiowecker ertönte in voller Lautstärke und Leah konnte nur mühsam der Versuchung widerstehen, ihn mit voller Wucht gegen die Wand zu werfen. Montag. Valentinstag.
„Was eine tolle Kombination", murmelte sie augenrollend und ließ ihre Füße auf die kalten Fliesen neben ihrem Bett gleiten. Unmotiviert trugen sie ihre Beine zum Fenster, wo sie mit einer schnellen Bewegung die schweren Vorhänge beiseiteschob. Dicke Regentropfen prasselten rhythmisch gegen die Scheibe und spiegelten Leahs Stimmung perfekt wider.
Es war heute auf den Tag genau zwei Jahre her, seit Jacob sie nach vier Jahren Beziehung verlassen hatte. Er war ihre erste Liebe gewesen und als sie zueinander gefunden hatten, waren beide erst süße sechzehn Jahre alt gewesen. Einen Grund für die Trennung wollte er ihr damals nicht nennen, aber das musste er auch gar nicht. Zwei Wochen später hatte sie ihn dann eng umschlungen mit einer anderen Kommilitonin gesehen.
Leah schüttelte eilig ihren blonden Lockenkopf und versuchte auf diese Weise die trüben Gedanken loszuwerden. Sie trat noch einen Schritt näher an die Fensterbank heran, stützte ihre Hände auf ebendieser ab und ließ ihren Blick nach draußen schweifen. Sie befand sich inmitten ihrer Semesterferien und diese verbrachte sie stets bei ihrem Onkel Gerald in Beaufort in South Carolina. Seit dem Tod ihrer Tante vor einigen Jahren half sie ihrem Onkel, wann immer es ihr möglich war, in seinem Laden für Boot- und Angelbedarf aus und sorgte zusätzlich dafür, ihn auf andere Gedanken zu bringen.
Das Haus ihres Onkels lag direkt an der Uferpromenade, so dass man aus ihrem Zimmer einen direkten Blick auf den malerischen Hafen werfen konnte. Boote verschiedener Größe lagen links und rechts neben dem dunklen Holzsteg an und in einiger Entfernung war ebenfalls das Boot ihres Onkels auszumachen. Kein besonders imposantes Gefährt, aber er steckte seit jeher seine ganze Liebe hinein. Als sie ihren Blick weiter wandern ließ, stellte sie fest, wie der düstere, wolkenverhangene Horizont auf eine faszinierende Weise mit dem Ozean verschwamm. Ein Sturm zog auf, aber trotzdem erfreute sich Leah an der wunderschönen Aussicht. Scheiß auf Valentinstag.
„Leah? Kannst du bitte gleich den Laden aufschließen?", hörte sie ihren Onkel Gerald aus dem Erdgeschoss rufen und seine Worte erlösten sie sogleich aus ihrem Gedankenstrudel. Eilig vollzog sie ihre Morgenroutine in dem angrenzenden Badezimmer, bevor sie in ihre Jeans schlüpfte und sich ein graues Shirt über die schlanken Schultern streifte. Leah betrachtete sich einen Moment im Spiegel und beschloss kurzfristig, die Augenringe unter ihren grünen Augen mit etwas Concealer abzudecken.
„Schon besser", sprach sie zu sich selbst, während sie ihre Hand in die kleine Tasche mit den Haarbändern gleiten ließ. Leah platzierte das schwarze Band in ihren blonden Locken und verhinderte auf diese Weise, dass ihr einzelne Strähnen ins Gesicht fallen konnten.
Auf dem Weg nach unten knarrte die alte Holztreppe unter ihren Füßen, während sie ihren Onkel bereits in der Küche werkeln hörte. Der Geruch von Pancakes lag in der Luft. Von angebrannten Pancakes, um es auf den Punkt zu bringen. Aus dem Radio dröhnte währenddessen eines dieser unsäglichen Liebeslieder. Leah schlenderte in die Küche und bewegte sich zielstrebig auf die Anrichte zu, wo sie beiläufig den Lautstärkeregler des Radios soweit runterdrehte, dass von der Musik fast nichts mehr zu hören war.
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Happy (anti) Valentine's Day
Short StorySeitdem sie genau am Tag der Liebe verlassen wurde, hegt Leah nun schon ganze zwei Jahre eine tiefe Abneigung gegen dieses Datum. Den damit einhergehenden Bräuchen hat sie genauso abgeschworen, wie dem Gedanken, sich in naher Zukunft wieder jemandem...