Diese Familie!

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Überfordert dröhnte der Motor des kleinen Fiats während Jakob das alte Auto vorsichtig die dunkle Bergstraße hinaufbugsierte. Vor den Lichtkegeln der gelben Scheinwerfern fielen dicke Schneeflocken zu Boden und die Spurrillen, die sie bei ihrer Fahrt ins Tal hinein erzeugt hatten waren kaum mehr erkennbar. Das Fahrzeugradio war bereits seit vielen Jahren defekt, sodass nur das Rauschen der gegen die Kälte ankämpfenden Heizung und das Vibrieren des Armaturenbrettes den Innenraum mit Geräuschen erfüllte.

„Schalten ...", murmelte David vom Beifahrersitz aus erschöpft und sah zu seinem kleinen Bruder hinüber. Ein wenig beleidigt riss Jakob den Schaltknüppel rabiat in die hintere Schaltgasse, ein Ruck ging durch das kleine Fahrzeug und das Motorengeräusch wechselte zu einem angestrengten, hellen Klackern. David nickte anerkennend und sah zu dem Jugendlichen, ja jungen Erwachsenen anfang Zwanzig auf dem Fahrersitz hinüber.

„Das ist aber auch steil hier!", verteidigte sich der Fahrer, der den Blick seines großen Bruders nicht gesehen haben musste um genau zu wissen wie David ihn grade ansah.

„Ja total", antwortete der Sechsundzwanzigjährige gänzlich ohne sarkastischen Unterton. Im Gegenteil: „Is auch wirklich schwer hier. Sorry, ich will einfach nur ankommen", nickte er verständnisvoll, während er an der Gummidichtung des vorderen Dreiecksfensters herumpiddelte. Jakob atmete langsam aus und zwinkerte seinem Bruder zu: „Das schaff ich schon auch noch!", lachte er, während er überflüssigerweise den Blinker setzte und in eine kleine Einfahrt abseits der ohnehin schon schmalen Passstraße einbog. Der ehemals neongrüne Kleinwagen war wirklich das einzige Auto weit und breit, welches an diesem Tag, um diese Uhrzeit, noch auf der Straße unterwegs war. Jakob brachte den Wagen in angemessenem Respektabstand zu den zwei großen schwarzen Autos mit deutschem Kennzeichen zum Stehen, riss die Handbremse so weit nach oben wie es ging und drehte den Zündschlüssel aus dem Schloss. Mit einem Mal war es dunkel und still. Synchron rissen die beiden Brüder die pappdünnen Fahrzeugtüren auf, stiegen aus und öffneten den knarzenden Kofferraumdeckel. Die Männer beluden ihre Arme mit so vielen Holzscheiten wie möglich, drückten unsanft den Kofferraumdeckel nach unten und eilten, ohne den Wagen abzuschließen, durch das Schneegestöber in Richtung der Blockhütte aus dessen Fenstern ihnen einladend warmes Licht entgegenstrahlte. Wer würde in dieser Gegend schon ein Auto stehlen? Und dann auch noch während der Weihnachtstage?

„Meine Güte, ihr habt aber ganz schön lang gebraucht um das bisschen Holz zu holen!", lachte Robin, nachdem sie ihren beiden frierenden Brüdern Zutritt zum Ferienhaus verschafft hatte.

„Jakob ist gefahren", wehrte sich David und zeigte in Richtung seines Bruders, welcher sich umgehend empört mit den Worten „Ja, sonst wären wir bestimmt gar nicht angekommen!" verteidigte und für einen Moment, fand Robin, war alles wie früher.

Doch Jakob und David verloren sich nicht in Zankereien. Fleißig arbeiteten die beiden Brüder zusammen und so waren die Holzscheite rasch an ihren Bestimmungsort verfrachtet worden. Eine Teilmenge war postwendend in dem eisernen Kamin, der die einzige Wärmequelle in der ansonsten schutzlos der Kälte ausgelieferten Blockhütte darstellte, gelandet. David verzog sich in die Küche um seinem Freund bei der Zubereitung des einzig wahren Weihnachtschilis beizustehen und Robin und Jakob nahmen ihre Schachpartie, die durch den Mangel an Feuerholz eine Stunde zuvor unsanft unterbrochen worden war, wieder auf.

Es dauerte nicht lange, bis es ein weiteres Mal an der Türe klopfte und ein Ehepaar Mitte fünfzig die Ferienhütte betrat, ihre nassen, schneebedeckten Winterjacken ausschüttelte und auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Eingang ablegte: „Mensch, das riecht ja wirklich fabelhaft", schwärmte Volker mit der sonoren Stimme eines älteren Mannes während er seine kühlen Hände aneinanderrieb: „Meine Güte, hätte mir doch bloß vor zehn Jahren mal Jemand gesagt, dass sich Kinder doch irgendwann auszahlen!", lachte er augenzwinkernd. Während sich ihr Mann neben Jakob und Robin auf dem Sofa am Kamin niederlies, schlich sich die Endvierzigerin mit den lockigen rotbraunen Haaren die ihre Tochter so eindeutig von ihr geerbt hatte, neugierig in die Küche und fragte den Verlobten ihres ältesten Sohnes über die Tücken der Chilizubereitung aus.

Die Geheimnisse der Kerkwald-GeschwisterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt