Kapitel 1

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Das Restaurant war mal wieder komplett überfüllt. Geschickt manövrierte ich das Tablet mit dem Essen für Tisch 4 zwischen den anderen Tischen hindurch und stellte sie ab. Die fünfköpfige Familie bedankte sich lächelnd bei mir.

Ich seufzte kurz auf. War hier immer schon so viel los? Ich war erst vor einem Monat hergezogen, und hatte mir sofort diesen Job im Restaurant als Kellnerin besorgt. Meine Eltern waren nämlich knapp bei Kasse und ich wollte mithilfe dieses Jobs bereits etwas fürs College sparen. Unsere finanziellen Probleme hatten auch die Streitereien zwischen Mom und Dad verstärkt.

Dank des Jobs konnte ich also auch von Zuhause und damit den lautstarken Streitereien fliehen.

»Hey, geht's auch etwas schneller?«, eine genervte Stimme riss mich aus den Gedanken. Perplex drehte ich mich um und blickte geradewegs in die dunkelbraunen Augen eines Jungen, der etwa genauso alt war wie ich. Seine ebenso dunkelbraunen, lockigen Haare fielen ihm locker ins Gesicht.
Die drei anderen Jungs am Tisch lachten leise.

Gäste wie diese versüßten mir doch wirklich den Tag.

»Natürlich, tut mir sehr Leid, dass ihr warten musstet. Was darf es denn sein?«, ich setzte ein falsches Lächeln auf und verstellte meine Stimme, um möglichst zu verdecken, wie genervt ich war.

Der Junge verdrehte die Augen und griff zur Karte, auf der das Menü draufstand.
»Ich nehme die Nummer 22 mit einer Fanta.«
Ich notierte mir die Nummer 22 auf dem Notizblock und blickte fragend zu den anderen drei Jungs.

Als diese ihre Bestellung gemacht hatten und ich mich gerade umdrehen wollte, fügte der Junge mit den Locken hinzu: »Dieses Mal wollen wir aber nicht so lange warten.«
Die anderen Jungs versuchten, ihr Lachen zu unterdrücken, doch es gelang ihnen nicht ganz so gut.
Bemüht freundlich antwortete ich: »Wir beeilen uns so gut es geht, doch leider haben wir heute ziemlich viele Gäste, deswegen müssen leider alle etwas länger warten.«
»Wir aber nicht«, antwortete er, »wie du anscheinend nicht zu wissen scheinst, weil du neu oder was auch immer bist, besitzen meine Eltern mehrere Häuser hier im Umkreis UND mein Vater ist der Bürgermeister. Ich denke also, es wäre angebracht, uns als allererste zu bedienen.«

Bei seinen Worten brodelte sich Wut in mir auf.
Aber von Menschen wie ihm durfte ich mich nicht provozieren lassen.
Ich lächelte gezwungenermaßen und antwortete: »Natürlich«, bevor ich mich umdrehte und zur Küche ging.

* * *

»Das hat er nicht wirklich gesagt, oder?«, während Michelle eine kleine Prise Salz zu ihrer Suppe hinzugab, hörte sie mir zu, wie ich ihr von meiner Begegnung von vorhin berichtete.

»Doch, wirklich!«, lachte ich. »Und du hättest erst seine Stimme hören sollen, während er das gesagt hat. So richtig eingebildet.«
Ich schnappte mir eine Pommes vom Teller neben mir und biss ein Stück ab.

Michelle war eine der vielen Köchinnen im Restaurant und ich war sehr dankbar dafür, dass sie hier war. Ich liebte es, in der Küche herumzulungern und mit ihr über nervige Gäste lästern zu können, während sie das Essen zubereitete.

Gerade schöpfte sie mit einer Kelle etwas Suppe in eine Schüssel und reichte sie mir.
»Probier mal bitte.«
Ich griff nach einem Löffel und probierte etwas.
»Und, was denkst du?«
»Perfekt, wie immer«, antwortete ich.
Michelle lächelte bis über beide Ohren.
»Super, ich habe dieses Mal ein anderes Gewürz ausprobiert.«
»Es schmeckt wirklich unglaublich gut.«

Michelle liebte es, beim Kochen herumzuexperimentieren.
Ich war fest davon überzeugt, dass sie nicht hierher gehörte. Eher in ein luxuriöseres Restaurant. Sie war wirklich eine grandiose Köchin, bei weitem die Beste in diesem Restaurant.

»Die Getränke für Tisch 7 sind fertig! Das Essen kommt in 10 Minuten«, rief Mark. Wie auf Kommando sprang ich auf und nahm das Tablet entgegen.
»Oh, äh, da fehlt noch ein Getränk«, fiel mir auf, als ich bloß drei, statt vier Gläser sah.
»Du hast nur drei aufgeschrieben.«

Ich kramte den Notizblock aus der Tasche meiner Schürze. Tatsächlich. Ich hatte zu der Nummer 22 kein Getränk aufgeschrieben.
Angestrengt versuchte ich, mich daran zu erinnern, was der Typ bestellt hatte.
Cola? Fanta? Sprite? Wasser?

Ich war mir nicht mehr so sicher.
»Könntest du noch ein Glas Cola dazutun?«
»Klar.« Mark verschwand kurz und kam dann mit dem Glas Cola zurück.
»Dankeschön!«

Mit dem Tablet in der Hand verließ ich die Küche durch die Schwingtür und ging zu Tisch 7.

»Na also«, begrüßte mich der Junge mit den Locken herzlichst.
Innerlich verdrehte ich die Augen, doch äußerlich lächelte ich bloß milde.
»Zweimal Sprite und zweimal Cola, bitteschön.« Ich servierte die Getränke nacheinander.
»Das Essen-«, setzte ich an, wurde jedoch harsch unterbrochen.
»Ist das dein Ernst? Eine Cola?« Der Sohn des Bürgermeisters musterte mich abwertend.
»Ich hatte Fanta bestellt. So schwer kann es doch wohl nicht sein, sich etwas zu notieren, oder?«

Was erlaubte der sich eigentlich, so mit mir zu reden?
Ich ballte meine Hände zu Fäusten.
So viele Dinge, die ich gerne gesagt hätte, schwirrten in meinem Kopf herum, so vieles, was ich ihm gerne ins Gesicht geschrien hätte.
Doch stattdessen handelte ich, ohne über die möglichen Folgen nachzudenken.

Kurzerhand schnappte ich mir das Glas Cola und schüttete es ihm ins Gesicht.
Etwas davon landete auf dem Boden und es bildete sich eine Pfütze.
»Oh mein Gott, es tut mir so leid«, noch in diesem Moment traf mich die Reue.
Nicht, weil er es nicht verdient hätte, sondern weil ich gerade meinen Job riskiert habe.
»ES TUT DIR LEID? VERDAMMTE SCHEISSE!«, schrie er wütend.

Plötzlich verstummten die Stimmen im Restaurant und die Gäste drehten sich zu uns um.
Manche schauten erschrocken, andere belustigt oder verwirrt.

Na toll. Wie ich diese Stadt jetzt schon hasste.
Und ausgerechnet hier sollte ab übermorgen mein letztes Schuljahr beginnen?

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 16, 2022 ⏰

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