Ich nippe an meinem Bier. Er tut es mir nach. Ich sehe weg, doch ich spüre, dass sein Blick noch immer auf mir ruht. Ich nehme einen weiteren Schluck, dann fliegt mein Blick zurück zu dem jungen Mann, dessen Aufmerksamkeit ich schon beim Betreten des Pubs erregt habe. Er sieht nicht gerade aus wie ein typischer Casanova, mit dem Höcker auf der Nase und den großen Kuhaugen ist er eher der Durchschnittsbrite. Und dennoch hat er das gewisse Etwas, das mich unheimlich anmacht. Sein schiefes Grinsen ist süß und sexy zugleich, und die Farbe seiner Augen erweckt Regungen in mir...
Sie sind von einem intensiven Blau, die Farbe des Meeres an einem wolkenlosen Sommertag. Ich stehe auf und gehe auf ihn zu. Er sieht mich erwartungsvoll an, doch ich wende mich ab und gehe die Treppen hinunter zu den Damentoiletten. Ich schließe mich in einer der Kabinen ein und ziehe meine Hose herunter. Ein Blutstropfen in meiner Unterhose zeugt davon, dass mein Periodenkalender recht hatte und ich heute meine Tage bekommen habe. Verfluchte Scheiße.
Ich seufze, packe den Tampon aus, den ich schon den ganzen Tag in meiner Hosentasche mit mir herumgetragen hatte, und schiebe ihn in meine Vagina. Heute also kein Sex mit dem blauäugigen Surfer. Schade.
Ich ziehe meine Hosen wieder hoch, gehe ans Waschbecken, wasche das Blut von meinem Finger und überlege kurz, ob ich Lippenstift auflegen soll. Ich entscheide mich dagegen, denn erstens werde ich ja heute allein nach Hause gehen und zweitens würde es dem Typen auffallen, dass meine Lippen plötzlich eine andere Farbe haben. Ich schlucke eine Paracetamol gegen die Bauchkrämpfe, dann mache ich mich zurück auf den Weg nach oben.
Der Blauäugige sitzt nicht mehr an der Bar. Ich lasse meinen Blick durch den Pub schweifen, bis ich ihn entdecke. Der dreiste Kerl hat sich doch glatt an meinen Tisch gesetzt!
Ich schlängle mich an den anderen Gästen vorbei und setze mich zu ihm. Er grinst mich an.
„Hello there", sagt er. Ich erwidere ein knappes „Hi".
„Darf ich dir einen Cider bestellen? Der ist hier hausgemacht."
Ich überlege kurz, dann schüttele ich den Kopf. „Sehr freundlich, aber ich hatte genug, danke."
„Schade."
Der Kerl winkt dem Kellner und bestellt trotzdem einen Apple Cider. Ich gehe davon aus, dass der für ihn selbst ist. Die gante Situation ist wie in einem schlechten Film, nur dass mein Tischgast und ich nicht halb so heiß sind wie die Darsteller, die in solchen Filmen mitspielen.
„Ich bin Sebastian. Wie heißt du?", fragt mein Gegenüber.
„Caterina", antworte ich.
„Wenn ich dir erlaube, mich Seb zu nennen, darf ich dann Cat zu dir sagen?", fragt er mit einem schelmischen Grinsen. Ich setze den gleichen Gesichtsausdruck auf und antworte: „Auf gar keinen Fall!"
Sebastian schiebt die Unterlippe vor und tut beleidigt. Unbeholfen sehe ich mich um. Was sol ich denn jetzt machen? Glücklicherweise serviert der Kellner jetzt Sebastians Cider und mein Tischgenosse bezahlt, trinkt einen Schluck und lächelt wieder.
„Hast du Lust, etwas gefährliches zu tun?", fragt er.
„Das kommt darauf an, wie gefährlich", gebe ich zurück.
„Ein Spaziergang auf den Klippen!"
Ich zögere.
„Draußen stürmt, regnet und blitzt es", wende ich ein.
„Ein leichtes cornisches Sommergewitter ist genau die Art von Adrenalin, die ich brauche", lächelt Sebastian, lehrt sein Glas in einem Zug und schaut mich mit funkelnden Augen an. Der letzte nüchterne Teil meines Gehirns protestiert dagegen, in meinem Zustand und mit dem Typen, den ich nicht kenne und der auch nicht ganz nüchtern wirkt, in einem Gewitter bei Nacht auf die Klippen zu steigen. Aber meine Abenteuerlust siegt und ich stehe auf.
"Na gut", sage ich. Auch Sebastian erhebt sich.
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Siren
Short StoryEine Gewitternacht. Ein Surfer mit sommernachmittagsblauen Augen. Ein Bier zu viel. Was soll schon passieren? cover by @allabouticedcoffee