-2- Alkohol lässt dich alles vergessen

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23.05.
19:03 h
You found me - The Fray

Hey Dad,

Ich weiß nicht, ob ihr diesen Brief vor Mom's finden bzw. lesen werdet, ob ihr ihn überhaupt lesen werdet. Ob Mom dir ihren Brief schon gezeigt hat weiß ich ebenso wenig wie ob mir gebratene Froschschenkel schmecken. (Sinnloser Vergleich, ich weiß.)
Es ist verrückt, doch es stimmt mich tatsächlich ein wenig traurig, dass ihr meine Briefe vielleicht nie lesen werdet. Das ich mir umsonst das, was noch von meinem Herzen übrig geblieben ist, ausgeschüttet habe. Ich habe geopfert, was ich konnte. Und ihr habt mir nicht einmal das kleinste Stück Geborgenheit geschenkt. Eigentlich sollte ich euch dafür hassen. Aber irgendwie kann man sein eigen Fleisch und Blut nicht verabscheuen, so sehr man es sich auch wünscht.
Ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht, wie es wäre, in einem anderen Körper aufgewachsen zu sein. Mein Gedächtnis möchte ich gern behalten, ich mag meine Denkensweise. Aber ich wäre gern in eine sorgenvolle, nette, behutsame Familie hineingeboren worden. Letztendlich sind wir alle nicht mit dem zufrieden, was wir haben oder uns gegeben wird (Poesie pur), das durfte ich am eigenen Leib erfahren. Aber die Fantasie, die mich in prachtvolle Villen eintreten oder in nette Gesichter schauen lässt, die gebe ich für keinen Preis her. Sollen sie das einzige bleiben, was ich am Ende besitze, meine Träume gehören mir.
Ich hoffe ihr habt ein schlechtes Gewissen. Ein Funken in eurem Herzen, der euch sagt, dass ihr (zu) vieles falsch gemacht habt. Ich hoffe es so sehr. Aber irgendwie wiegen die 50%, die mir sagen, dass ihr nichts bereut und einfach nur erleichtert sein werdet, über. Ich kann euer Verhalten überhaupt nicht beurteilen, ich kenne eure Charaktere so gut wie gar nicht. Das ist traurig. Und das macht mir Angst. Ich weiß nur, dass ihr ziemlich herzenskalt sein könnt, wie ihr es zu mir wart.
Aber zurück zu dir Dad.
Die Kinder in meiner Klasse haben immer erzählt, wenn sie mit ihren Daddys auf Jahrmärkten waren und sich voll mit Zuckerwatte später zusammen gekuschelt einen Disneyfilm angesehen haben. So einen Daddy wollte ich auch immer. Manchmal habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, Daddy zu dir zu sagen, doch meiner Meinung nach ist Daddy ein vertraulicher Begriff. Also konnte ich es mir abschminken. Ich habe mir auch vorgestellt, wie es wäre, wenn ich später Liebeskummer haben würde und du mich trösten würdest, oder mich vor den Monster unter meinem Bett beschützen würdest. Ich habe mir einfach gewünscht, dass du mein Daddy gewesen wärst.
Vielleicht hat mich euer Handeln ja doppelt so schwer getroffen, weil ich mir immer alles so liebevoll und geborgen ausgemalt habe, in meiner Fantasie. Oder ihr konntet mir nicht die notwendige Liebe schenken, weil ich selbst so viele Fehler begangen habe. (An die ich mich allerdings partout nicht erinnern kann, so sehr ich es auch versuche. Ich weiß auch nicht, ob es tatsächlich an mir liegt, ich hoffe nicht.)
Wir drei haben einfach nicht zusammen gepasst, da hat von vorne bis hinten nichts gestimmt.
Ich habe mir immer Geschwister gewünscht, mit denen ich alles teilen könnte, ihnen alles erzählen könnte. Am liebsten ja eine Schwester, die dann mehr oder weniger dieselben Probleme wie ich hätte. Mit der ich dann später abhauen könnte. Meine Fantasie hat gerne mit mir gespielt, mich dann fallen lassen und mit der harten Wahrheit konfrontiert. Denn ich bekam keine Geschwister, so sehr ich sie mir auch wünschte. Ihr dachtet bestimmt, mit mir hättet ihr schon einen Fehler zuviel begangen.
Vielleicht schockieren dich oder Mom meine Gedanken ja, ich hoffe ja. Denn ich will mir das nicht umsonst alles aus der Seele schreiben. Aber es tut tatsächlich gut, seinen Gefühlen einfach freien Lauf zu lassen und alle Ängste und Sorgen auf das Papier zu bringen.
Das wahrscheinlich einzig Gute an euch (Wie ich zumindest früher immer gedacht hatte, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.) ist, dass ihr mir nichts verboten habt. Also bin ich ziemlich oft raus und feiern gegangen. Abgehauen bin ich jedoch nie, ich bin immer zurück gekommen weil ich wusste, dass das alles sowieso bald zuende sein würde.
Die Partys waren immer ziemlich ausgelassen und ich habe viel getrunken, was ein wunderbares Gefühl war (In dem Moment, am nächsten Morgen war es einfach nur die Hölle pur.), denn ich fühlte nichts mehr, keine Gefühle, keine Sorgen, keine Ängste, Liebe sowieso nicht. Ich war einfach frei, konnte weg schweben. Deshalb ließ ich mich ziemlich oft volllaufen. Um diesem Leben für wenige Stunden zu entkommen. Es war eine Befreiung.

-July.

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