Ich habe einen Vibrator gekauft.

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Ich bin jetzt einundzwandzig, weiß aber nicht, ob ich es wirklich bin. Wie ist man mit einundzwanzig? Als Kind wollte ich im Spiel immer einundzwanzig sein. Jetzt bin ich es und weiß überhaupt nicht, was ich tun soll. Ab vierzehn darf man offiziell Sex haben, das heißt mit einundzwanzig darf ich das auch. Auch mit mir selber. Einen Vibrator kaufen darf ich theoretisch auch. Schließlich bin ich über achtzehn und voll geschäftsfähig. Will ich denn einen Vibrator kaufen? Scheinbar ja.

Eigentlich will ich es erst morgen erst tun. Ich will nur mal schauen, ob es da überhaupt was gescheites gibt, obwohl ich gar nicht weiß, was überhaupt etwas gescheites ist.

Wenn ich in den Drogeriemarkt gehe, versuche ich immer cool auszusehen, als wäre es nicht der Laden, in dem man Klopapier und Katzenfutter kauft. An der Kasse vorbei, um die Ecke, dann für's erste geschafft. Ab diesem Zeitpunkt sehe ich dann nicht mehr ganz so cool aus, denn ab da habe ich meistens schon vergessen, was ich eigentlich brauche.

An diesem Tag weiß ich aber ganz genau, was ich brauche (oder will), aber ich kann nicht einfach hingehen, es ist nicht viel los, aber es fühlt sich nach sehr viel an. Und es fühlt sich so an, als würde sich die Gesamtheit aller Kunden vor dem Regal tummeln, zu dem ich muss.

Um meine Tarnung zu wahren und nicht aufzufallen, als jemand, der etwas ganz und gar unanständiges kaufen will, widme ich mich den Lippenstiften vor mir.

Caramel Red. Seit wann genau ist Karamell Rot? Vielleicht habe ich da etwas verpasst.

Der Gang vor meinem Zielregal leert sich und mein Arm füllt sich mit Dingen, die ich eigentlich gar nicht brauche. Zwei verschiedene Haarspülungen mit dazugehörigen Shampoos, ein Eyeliner, ein Lippenstift.

Möglichst unauffällig nähere ich mich dem Zielobjekt und nehme dabei noch eine Packung Gummibärchen mit. Als Wegzehrung, falls das hier noch länger dauert.

Eine Mitarbeiterin packt Schachteln aus und eine Kundin steht daneben. Das waren also meine Endgegner. Einmal gehe ich vorbei, erhasche einen kurzen Blick auf das Objekt der Begierde. Ich umrunde die Regalreihe, warte kurz, sonst wär's zu auffällig und laufe dann nochmal vorbei, langsamer und mit bereits gefiltertem Blick.

Es gibt nicht viel Auswahl, viele Kondome, aber kaum Vibratoren.

Für mehr reicht es auch nicht, denn schon bin ich wieder vorbei. Ich umrunde wieder die Regalreihe und bleibe hinter der Ecke stehen, denn ich kann nicht schon wieder vorbeilaufen. Das wäre noch unangenehmer, als sich einen Vibrator zu kaufen. Nicht auszudenken.

Was muss ich denn auch in Zeiten von Amazon Prime und Amorelie in einen Laden gehen.

Ein kurzer Blick zur Kasse - leer!

Das muss ein Zeichen sein. Ich bin seltsam nervös, als müsste ich gleich eine Präsentation über Mikrobiologie halten. Ein plötzlicher Mutanfall sorgt dafür, dass ich einfach hinmarschiere, mir die Packung schnappe und zur Kasse laufe.

Sollen die zwei Weiber neben mir doch denken, was sie wollen! Und lesen was draufsteht kann ich daheim auch noch. Zielstrebig laufe ich zur Kasse und leere meine Arme auf das Fließband. Ich bin froh über die Maske, sie versteckt die Röte darunter. Die Kassiererin schaut betont in eine andere Richtung, bloß kein Augenkontakt. Denkt sie ich bin eklig, weil ich so etwas kaufe? Bin ich eklig? Ist das, was ich hier tue eklig?

Achtundvierzig Euro zweiundsechzig.

Ich wurstele den Schein aus meinem Geldbeutel und stelle mich schützend vor meinen Einkauf. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass ich gerade eine schwierige Trennung durchmache. Gummibärchen, Makeup, ein Vibrator. Wechselgeld, alles auf meine Arme stapeln und raus hier. Ich setze die Maske erst im Auto ab, denn ich muss grinsen.

Ich kann nicht fassen, dass ich das wirklich getan habe. Das war ein ziemlich großes Ding für mich, sonst hat es niemanden interessiert.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 23, 2022 ⏰

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