Bitte töte mich nicht!

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Es herrschte eine angespannte Stille im Raum. Unangenehm und drückend. So drückend, dass man am liebsten aufgehört hätte zu atmen, nur um sie nicht durchbrechen zu müssen. Und doch geschah genau das: Ein hektischer Atemzug hallte durch das Zimmer, gefolgt von einem unterdrückten Wimmern. Nasser Schweiß bildete sich, gesellte sich zu den anderen Tropfen auf der kalten Haut und begann in einem schleichenden Fluss über die pochenden Schläfen zu wandern.

Nervöse Augen lagen auf dem ausgestreckten Arm, über dessen Schulter rote Linien aus Blut flossen, sich am Ellenbogen sammelten und fast schon unerträglich laut auf den Boden tropften, wo sie sofort von dem dunkeln Holz aufgesogen wurden.

Wie hatte es nur so weit kommen können? Sie waren doch in der Überzahl gewesen und bewaffnet...

Doch ein Blick auf seinen Kumpel genügte, um sich wieder der Realität bewusst zu werden. Vor Schmerzen ohnmächtig zusammengebrochen lag er nur wenige Meter von ihm entfernt. Der eine Arm stand unnatürlich zur Seite ab und wenn er daran zurückdachte, wie das geschehen war, wurde ihm ganz anders zumute.

»Schau es dir in Ruhe an«.

Abrupt wurde die Stille unterbrochen. Seine Augen schnellten zurück zu seinem Gegenüber, trafen dabei auf die eisblauen Seen dieses immerzu lächelnden Monsters, das aussah als würde es ihn gleich als nächstes verschlingen wollen.

»B-bitte...«.

Wie von selbst sprudelte dieses eine Wort, getränkt in Angst aus ihm heraus. Doch es war ihm egal. Er wollte weder draufgehen noch dieselben Schmerzen erleiden, die er Minuten zuvor beobachten musste, als seinem Kollegen beide Beine und der Arm gebrochen wurden...

»Na, na... du brauchst doch keine Angst haben« erwiderte der großgewachsene Mann vor ihm mit beinahe beruhigender Stimme. »Beantworte mir einfach meine Frage«.

Als wenn das so einfach wäre!

Er hatte doch selbst keine Ahnung wohin Shota den Jungen bringen wollte noch was er mit ihm vorhatte. Eigentlich waren sie nur hier hergekommen, um dessen Bruder eine Lektion zu erteilen. Wie also sollte er auf die Frage antworten können?

Fieberhaft versuchte er sich irgendeine Information in Erinnerung zu rufen, die diesen Typen vielleicht besänftigen würde, ihn davon abhalten würde jeden einzelnen seiner Knochen zu brechen oder ihn auf der Stelle zu erschießen. Doch noch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, hallte das laute Klingeln eines Telefons durch das Zimmer und sorgte dafür, dass sein Gegenüber einen kurzen Blick auf die Küchentheke warf.

»Oh... stört es dich, wenn ich da kurz dran gehe? Auf diesen Anruf warte ich schon eine ganze Weile« fragte Gojo lächelnd nach und deutete auf das klingelnde Handy.

»N-nein... natürlich nicht«.

»Super, aber schön sitzen bleiben, nicht dass mir noch die Hand abrutscht« zwinkerte er ihm zu und nahm dann den Anruf entgegen. »Megumi... schön, dass du dich bei mir meldest, aber gerade ist es leider etwas schlecht...«.

»Ich weiß, wo sie Yuji hingebracht haben«.

»Ist das so...« sagte Gojo langsam und sah auf den Mann herab, der immer noch zitternd vor ihm kniete, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Augen unnatürlich weit aufgerissen.

»Ja, ich schick dir die Adresse« antwortete Megumi.

»Gut, bis gleich« erwiderte Gojo und legte auf. Dann sah er mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen zu seinem Gegenüber. »Gute Neuigkeiten, du brauchst mir meine Fragen doch nicht zu beantworten« sagte er fröhlich.

»D-dann kann ich gehen?« fragte der Mann ängstlich nach und starrte dabei weiter auf die Schlusswaffe, die nach wie vor auf ihn gerichtet war.

»Ah, nein. Das geht bedauerlicherweise nicht. Ihr habt euch hier gerade ziemlich strafbar gemacht. Nicht nur, dass ihr einen jungen Mann entführt habt und mich umbringen wolltet, schaut dir doch mal die Wohnung an. Die ist ja völlig zerstört« meinte Gojo seufzend und ließ seinen Blick über das Schlachtfeld schweifen.

»Bitte töte mich nicht!!!«.

»Aber nicht doch« erwiderte Gojo lächelnd und drehte die Waffe in seiner Hand, nur um sein Gegenüber dann ohne Vorwarnung mit dem Griff auszuknocken.

Anschließend legte er sie auf die Küchentheke und suchte etwas, um den Mann zu fesseln, damit er nicht einfach abhauen konnte.

»So das wäre geschafft« meinte er zufrieden, als er damit fertig war und richtete sich wieder auf. »Hm... hat irgendjemand von euch mein Handtuch gesehen?« fragte er dann seufzend nach, ohne sich eine Antwort zu erhoffen, und sah sich dabei um. Doch als er das Handtuch nicht ausmachen konnte, griff er wieder nach seinem Handy und wählte eine Nummer, während er sich mit der anderen Hand die Waffe schnappte.

Sicher war sicher.

Während der Freigabeton aus seinem Smartphone ertönte, ging Gojo zurück ins Badezimmer, wo seine Klamotten vom gestrigen Abend auf dem Boden verteilt lagen.

»Ich arbeite gerade, Satoru« begrüßte ihn eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.

»Hallo Shoko, ich freue mich auch deine wunderschöne Stimme zu hören« antwortete Gojo lächelnd und warf einen kurzen Blick in den Spiegel, drehte sich seitlich zu ihm und begutachtete die lange Schnittwunde an seiner linken Schulter. »Besteht die Wahrscheinlichkeit, dass der Tote auf deinem Tisch in den nächsten paar Minuten wieder aufersteht oder warum hast du keine Zeit für mich?« fragte er nach und angelte sich dabei ein Handtuch aus dem Schrank, während er das Telefon zwischen Kopf und Schulter einklemmte.

»Nein, aber heute ist in der Pathologie echt viel los, also fass dich bitte kurz« erwiderte Ieiri seufzend.

»Da du ja an der Quelle sitzt, wollte ich dich fragen, ob du für mich die Polizei anrufen und einen Einbruch mit Entführung melden könntest« sagte Gojo und stellte den Wasserhahn an, um das Handtuch anzufeuchten. »Ähm... es waren meines Wissens nach fünf Personen. Es gibt zwei Schwerverletzte, einen mit diversen Knochenbrüchen, und die anderen drei sind mit ihrer Geisel auf der Flucht« fügte er hinzu, während er sich notdürftig die Wunde auswusch.

»Was zur Hölle hast du angestellt?!«.

»Ich? Gar nichts. Ich bin ein unschuldiges Opfer dieses Überfalls« erwiderte Gojo. »Keine Ahnung was hier genau abgeht, aber ich kann nicht vor Ort bleiben, deswegen bitte ich dich darum, es zu melden. Würdest du das bitte für mich tun? Ich schicke dir alles, was ich weiß per Handy« sagte er und sammelte dann seine Klamotten ein.

»Und was machst du?«

»Oh, ich werde mich um die anderen Drei kümmern«.

»Das ist ebenfalls Aufgabe der Polizei, Gojo« meinte Shoko. »Bleib dort und warte bis sie da sind, dann können sie sich um den Rest kümmern«.

»Das heißt, du kümmerst dich darum?«.

»Ja, aber nur, wenn du dort bleibst. Ich meine es ernst, hörst du? Mit sowas ist nicht zu spaßen!«.

»Glaub mir, mir ist gerade gar nicht zu spaßen zumute und sorry, aber ich kann nicht hier bleiben. Es geht auch um Megumi« sagte er ernst und warf das dreckige Handtuch ins Waschbecken. »Deswegen muss ich jetzt auch los, ich verlass mich auf dich!« fügte er hinzu. Dann legte er auf und zog sich seine Klamotten über, ignorierte dabei Shokos eingehende Anrufe, sondern schickte ihr nur noch die Adresse von Yujis Wohnung zu, bevor er sich ebenfalls auf den Weg machte.

Schattenspiel [Jujutsu Kaisen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt