Die alte Frau

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Einige Tage später war Nyle bei der Arbeit und stand hinter dem großen, hölzernen Tresen, auf dem die Kasse stand und bei jedem Kassiervorgang laute, metallisch-klirrende Geräusche von sich gab. Hinter sich hatte er ein Wandregal voller Kleinigkeiten. Häufig standen hier auch Kuscheltiere oder Kinderspielzeug, da es sich erfahrungsgemäß dort am besten verkaufen ließ, wenn die Kinder an der Kasse standen und ihre Eltern beim Kauf von anderen Dingen beobachteten und dann ein Spielzeug sahen, welches sie unbedingt haben mussten. Vor sich sah er in einen breiten Laden mit einem hölzernen Boden und einer billigen Tapete als kleiner gelber Farbklecks im Auge. Die Regale waren mit Gegenständen gefüllt, die jeder wohl nur als 'Kram' abstempeln würde, aber es gab eine kleine Ordnung. Mäntel und Jacken hingen zusammen, Schmuck in Form von Ringen, Ketten und Ohrringen war in Kassennähe, um das Diebstahlrisiko zu verringern und Gemälde und Dekorationsartikel lagen, wenn man reinkam direkt rechts.

Nyle sah in den vollen Raum, indem aber keine Menschenseele zugegen war. Er dachte innerlich schon nur noch daran was er nach der Arbeit mit Orin geplant hatte. Für heute haben sie sich etwas Besonderes vorgenommen. Sie wollten den Sonnenuntergang genießen, aber nicht wie sonst so häufig von irgendwo auf einem nahegelegenen Berg oder Hügel aus, sondern diesmal von einem besonderen Ort aus, dessen Aussicht nicht zu übertreffen war.

Die Stadt, in der die beiden lebten, hieß Vental. Es war eine kleine Gemeinde mit einer, im Vergleich zu den anderen Städten gut ausgebauten, Infrastruktur. Sie hatten schon ausgebaute Straßen aus Kopfsteinpflaster mit einem kleinen Platz an der Seite für Fußgänger. Direkt neben der Straße fing bei den meisten Grundstücken erstmal ein Vorgarten an, der sich noch einige Meter nach hinten erstreckte. Ihn durchzog meist ein Kies oder Steinweg, der eine Schneise bis zur Haustür bildete. Viele der Häuser waren nur von einer einzigen Familie bewohnt, aber es gab durchaus auch einige mehretagige Häuser, in denen dann auch manchmal mehrere Familien drin wohnten. Die Mehrheit allerdings waren Generationenhäuser.

In Vental gab es ein Haus, dass sich von den anderen deutlich abhob. Fast schon wortwörtlich, da es auf einem Hügel gebaut war und somit höher war als die anderen. Darin wohnte der Bürgervertreter von Vental. Ein Bürgervertreter war eine art Bürgermeister. Er wurde von den Einwohnern in einer öffentlichen Abstimmung per Handzeichen gewählt und blieb dann in der Regel für Jahrzehnte im Amt, solange niemand für jemand anderes stimmte. Immerhin wurde die Wahl nur alle 5 Jahre wiederholt und da hatten nur die wenigsten ihre Meinung geändert. Der aktuelle Bürgervertreter war schon über 15 Jahre im Amt und somit schon in seiner vierten Amtszeit. Sein Name war William Hemsworth, aber um seine Bürgernähe zu symbolisieren bestand er seit Jahren darauf nur William genannt zu werden.

Nyle und Orin hatten ihm vor einigen Tagen schon einen gefälschten Brief zukommen lassen, der von einem Herzog unterzeichnet war, den es gar nicht gab. Sie hatten sich einfach ein wenig Briefpapier genommen und einen edel wirkenden Siegelring aus dem Laden und haben den Brief selbst geschrieben, um William in ein Dorf einzuladen, was einige Stunden weiter im Süden liegen solle. Daher war er heute Abend idealerweise nicht zuhause und kam wohl auch erst spät in der Nacht oder morgen Früh wieder zurück. Bis dahin wollten sie schon lange wieder weg sein. Geplant war nun also sich auf die wunderschöne Terrasse von William zu legen und den Sonnenuntergang über Vental zu genießen.

Von einer älteren Frauenstimme wurde er wieder in die Realität zurückgeholt: »Junger Mann, hast du mir überhaupt zugehört?« »ähm... Verzeihung Ma'am. Könnten Sie das wiederholen?« stammelte er überfordert zurück. »Ich sagte, dass ich diese Dinge hier gerne verkaufen möchte. Sie haben meiner verstorbenen Schwester gehört, aber ich habe keine Verwendung dafür.«, ihre Stimme klang kratzig und typisch alt, was zu ihrem Erscheinungsbild passte. Immerhin war die Frau maximal 1,50 Meter groß und musste sich fast schon an den Tresen strecken, damit Nyle mehr als ihre grauen, lockigen Haare sehen konnte. »Ja natürlich.« Entgegnete er jetzt, wo er wieder im Bilde war. Er sah herunter was sie ihm auf den Tresen gelegt hatte. Es waren Schmuckstücke in verschiedensten Ausführungen. Ohrringe, Ringe für den Finger und sogar ein Armreif war dabei. Alle samt in Gold oder Silber, wobei die Beschichtung hier und dort schon abblätterte. Nyle stöberte leicht durch die Objekte und begutachtete sie. Vor allem aber interessierte ihn der Armreif. Er war golden und verziert. In seiner Mitte war ein blauer Stein eingearbeitet, welcher eine annähernd Runde form hatte, aber nicht komplett zu sein schien. Man sah, dass der Goldene Reif extra für diesen Stein gemacht worden war, immerhin hätte man es sonst für einen vollständigen, runden Stein geschmiedet. So war es für alle anderen Steine wertlos, bis auf für diesen blauschimmernden Kristall.

Nyle dachte an die Worte von seinem Chef und stelle daher erstmal rückfragen, bevor er ein Angebot machte. »Und wie viel wollen Sie für das alles haben?« Er sah wieder zu der Dame, wobei er kaum hochschauen musste. »Also ich... unter 5 Goldstücke gehe ich nicht. Sonst müsste ich es gar nicht erst verkaufen«, erwiderte sie nachdenklich, aber bestimmend. »Wissen Sie was, ich gebe Ihnen sogar 5 Goldstücke und...« er drehte sich um und nahm aus einer Kiste von ganz oben auf einen türkisfarbenen Hut und legte ihn auf den Tresen. Er sah nett aus, sofern man das passende Outfit dazu anhatte, was die gute Frau definitiv nicht hatte. Nyle wusste auch, dass der Hut ihr kein Stück besser stand als jedes andere Kleidungsstück dieser Welt sonst. Aber sie wusste das mit Sicherheit nicht. »...und diesen Hut hier. Der passt wunderbar zu Ihnen. Ich kann mir richtig vorstellen, wie sie damit beim nächsten Essen in einer Gaststätte strahlen werden. Den leg ich noch obendrauf.« Er schob das Ganze seicht zu ihr herüber, um das Angebot für sie noch attraktiver zu machen und lächelte dabei freundlich. »Na schön, ich nehme den Hut und die 5 Goldstücke... Dann bin ich das Zeug wenigstens los«, sie klang dabei nicht so, als würde sie großartige Erinnerungen damit verbinden. Es war Nyle aber auch herzlich egal. Er wollte sie einfach nur in den Laden aufnehmen. Wobei das nicht ganz stimmte. Er hatte ein Auge auf den Armreif geworfen. Und er dachte schon die ganze Zeit darüber nach, ob er ihn nicht einfach behalten könnte, wenn er ihn niemals in die Buchführung erst aufnehmen würde.

Während er noch darüber nachdachte, was er damit machen würde, zog sie sich schon die hingelegten Goldstücke, sowie auch den unpassenden Hut vom Tresen und verließ umgehend den Laden. An Smalltalk oder ähnlichem schien sie danach nicht mehr interessiert gewesen zu sein. Nyles aufgesetztes, aber perfektioniertes Lächeln verflog in Sekundenschnelle und ein neutraler und Antriebsloser Gesichtsausdruck kam darunter zum Vorschein. Er überflog kurz nochmal die 'Ausbeute' und war damit recht zufrieden. Seiner Auffassung nach wäre das Ganze auch mit Sicherheit 10 Goldstücke wert gewesen, aber umso besser fand er es einen derartigen Gewinn gemacht zu haben. Dadurch viel es sicher nicht auf, wenn er den Armreif einfach für sich behalten würde. Er nahm ihn zwischen den anderen Schmuckgegenständen heraus und sah ihn nochmal an. Bei genauerer Betrachtung viel ihm auf, dass innen ein K eingraviert war. Kurz dachte Nyle darüber nach. Es bestärkte seine Vermutung, dass es eine Sonderanfertigung war. Aber nach kurzem begutachten zuckte er sanft mit den Schultern und legte dem Armreif trotzdem an.

Als er seinen relativ dünnen, linken Arm durch die Öffnung in dem fast kompletten Ring schob und sein Arm zum ersten Mal die Innenfläche des Reifs berührte, zischte es kurz, wie Nyle es von seinen Wollsocken kannte, nachdem er damit über den Teppich gelaufen war und er eine Türklinke anfasste. Er zuckte mit dem Arm vor Schreck und dem leichten Schmerz, aber so plötzlich wie es passierte, war es auch wieder vorüber. Er sah noch nachdenklich zu dem Schmuckstück an seinem Arm. Nicht einmal nur um zu sehen, wie es ihm stand, sondern auch weil er sich fragte, wo der Stromschlag hergekommen war. Immerhin kannte er es nicht, dass sich so etwas erst beim Berühren einer bestimmten Stelle des Metalls entlud. Dennoch fand er, dass es wirklich schick war und er es tatsächlich behalten würde.

Pflichtbewusst wie er dann doch war, räumte er die anderen Gegenstände, nachdem er sie katalogisiert und eingetragen hatte an ihre passenden Plätze, um sie auszustellen für die nächsten Kunden. Dabei musste er sie nicht mal reinigen, da sie alle in gutem Zustand erhalten waren. Dann räumte er noch die Kiste hinter dem Tresen von der er den Hut genommen hatte in die Regale ein, bevor er seine Schichte beendete und der Laden ohnehin geschlossen war. Beim Rausgehen drehte er noch das Schild an der Tür auf ›Geschlossen‹ und schaltete das Licht aus, bevor er die Holztür zuzog. Die darin verarbeiteten Glasscheiben klirrten kurz aber verstummten dann als er den Schlüssel umdrehte und die Tür verriegelte. Wie immer, wenn er allein den Laden zuschloss, lief er dann noch zu dem Haus seines Chefs, um den Schlüssel dort auf der Terrasse an einen abgesprochenen Ort zu legen, damit ihn nicht jeder finden konnte.

Stolz und zufrieden durch seinen neuen Schmuck zog er davon und machte sich auf den Weg zu Orin, um den Abend mit ihm zu verbringen.

Blutender SaphirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt