Part 3

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Mutter... Mein größter Albtraum.
Mit diesen Gedanken hatte ich mich schon so oft in den Schlaf geweint. Nur um in andere Albträume zu fallen.
So auch in der Nacht, vom 10. zum 11. Oktober. Es war der letzte Tag der Herbstferien gewesen, am nächsten Morgen würde ich wieder zur Schule gehen.
Zur Schule, wo ich auch bloß niemanden hatte, mit dem ich reden konnte.
Im Unterricht saß ich allein, Gruppenarbeiten machte ich allein. Meine besten Freunde waren Karl May, J. K. Rowling und Erin Hunter, mit denen ich die Hofpausen verbrachte.
Allein, auf einer Bank, um die alle Schüler einen großen Bogen machten, seit ich sie belegt hatte.
Mein Erscheinungsbild machte ihnen Angst und mit ihnen meine ich ausnahmslos alle. Selbst die Lehrer sprachen mich so selten wie möglich an. Nur weil ich... nun ja... anders war.
Ich hatte lange schwarze Haare, die ich stets in mein Gesincht hängen ließ. Kaum jemand kannte meine Augenfarbe, doch wer sie kannte, war nicht unbedingt beruhigter.
Meine Augen waren grün und wurden meistens von Augenringen geziert, die auf meiner blassen Haut, ziemlich unnatürlich wirkten. Insgesamt wirkte ich auf die meisten abschreckend, wie ein Tier, dass niemand so richtig wahrhaben wollte. Aber es war da. Ich war da. Allein.
Im Unterricht konnte ich mich kaum konzentrieren.
Ich murmelte vor mich hin, ich zeichnete meine Träume.
Niemand sagte etwas dagegen. Niemand wollte mich ansprechen.
Sobald ich zu Hause war, begann ich zu zeichnen. Häufig erschreckten mich meine Bilder selbst, wer sieht schon gerne Dörfer, in denen der schwarze Tod, die Pest, ausgebrochen war? Wer sah schon gerne gefallene Soldaten auf verdorrten Ebenen? Doch all das hatte ich bereits gesehen. Ich konnte es nicht kontrollieren, konnte nicht beeinflussen, was passierte.
Doch normal war ich nicht.
Und normal war auch nicht das, was an jenem Tag geschah.
Wie immer hatte ich mich aus dem Bett gequält. Es war fast wie ein Käfig, da selbst, nachdem ich aufgestanden war, meine Träume mein ewiger Begleiter waren.
Im Bus saß ich allein, weit hinten, in sicherer Entfernung zu meinen "Klassenkameraden". Ich war damit beschäftigt, den Mann meines letzten Traumes zu malen, weshalb ich nicht bemerkte, wie jemand neues in den Bus stieg. Doch plötzlich stand er vor mir.
"Hey, ist hier noch frei?"
Ich zuckte zusammen. Perplex sah ich auf, direkt in zwei große Augen, die mich fragend ansahen. Ihre Farbe war nicht identifizierbar, sie waren irgendwie... anders. Sie wirkten fast gelb, irgendwie abschreckend und faszinierend. Gleichzeitig unbekannt und vertraut. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie lange ich ihn angestarrt hatte. Erst nach einer halben Ewigkeit steckte ich schnell meine Zeichnung weg, sah schwungvoll wieder auf und räusperte mich.
"Wie du siehst... ist hier alles frei...", murmelte ich. Es war ein seltsames Gefühl, mit einem anderen Menschen als meinem Vater zu reden, doch es hatte auch etwas Befreiendes an sich. Ungefähr so, als würde man nach Wochen wieder aufstehen, wieder stehen, wieder gehen. Das Gefühl, sich selbst fortzubewegen, war in Vergessenheit geraten und trotzdem genießt man es in vollen Zügen.
Mittlerweile hatte sich der Junge gesetzt, doch ich spürte, dass er mich von der Seite musterte. Das machte mich wütend, doch ich sagte nichts. Ich hatte mich daran gewöhnt, meine Gedanken und Gefühle für mich zu behalten. Obwohl es mich innerlich zerstörte, doch auch daran hatte ich mich gewöhnt. Die meisten Leute ließen sowieso nach einer Weile von mir ab und hielten dann Abstand zu mir. Doch dieser Junge war anders.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 08, 2015 ⏰

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