Eine Zugabe noch, oh Geigerlein!

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Der  nächste Tag begann ruhig. A wachte rechtzeitig auf. Den scheinbaren Albtraum hatte er jedoch nicht vergessen. Er schritt immer noch leise und vorsichtig durch seinen Wohnraum, wie ein kleines, zierliches Reh, das versucht einem Raubtier zu entkommen. Trotzdem machte er sich routinemäßig erneut bereit zur Arbeit. A duschte sich den Angstschweiß von letzter Nacht ab und bezog sein Bett neu. Es sollte ja angenehm riechen, sobald er sich wieder einmal verspätet hinein legte. Dann zog er los und fuhr noch an der Tür zusammen. Ist das ein Ton gewesen? War der Geiger doch hier? A suchte rasch seine Wohnung ab. In seinem Wahn vergaß er glatt die Zeit und ging dann doch etwas zu spät los. A würde sich selbstverständlich von seiner Arbeitszeit her nicht verspäten. Er würde immer noch einige Minuten zu früh kommen. Jedoch war, umso näher seine Ankunft am Arbeitsplatz zeitlich an den Beginn der Arbeitszeit heranrückte, desto größer war die Chance, seine Kollege anzutreffen, welche sich erstmal über die neusten Erfolge, Ersparnisse, potenziellen Urlaubsorte und bereiste Regionen, schicke Autos und wie teuer sie waren, die besten Restaurants der Gegend und wo sie schon mal ihre jeweilige Partnerin schick ausgeführt hatten und den ganzen Unsinn unterhielten. A hielt zwar was davon Respekt und Prestige zu erhalten und auszuhängen, jedoch nicht davon es auf diese angeberische Weise zu tun, während die anderen ein falsches Lächeln aufsetzten und so taten, als würden sie sich freuen, wohlwissend, dass sie sich alle solche Extravaganzen kaum leisten konnten und dennoch entweder schon unternommen oder geplant hatten. Das war ihm zu dämlich und er hielt nicht viel von solchen Strapazen, auch wenn er deswegen als Außenseiter galt und seinem Vorgesetzten in der Bewerbung damals noch vorgelogen hatte, dass er gut in einer Gruppe oder umgeben von Menschen und ihren Gesprächen arbeiten konnte. Doch zu A's Glück kam er gerade noch dann an, als nur zwei der Kollegen vor dem Eingang standen und sich mit einander unterhielten, A also keine Aufmerksamkeit, außer dem typischen Lächeln und Hutzücken, schenkten. A überprüfte, in seinem Büro angekommen, erst einmal das Fenster und dessen Aussicht auf die Straße und den Gehweg. Kein Geiger zu sehen. Dann beruhigte er sich und begann auszupacken und seinen Stapel bereit zu legen. Herr K kam herein, gab A mehr Papier, nahm den fertigen Stapel mit sich und ging wieder. A begann daran zu arbeiten. Es schien gut zu laufen und die Stunden vergingen. Dann ein Klingeln. Das Telefon klingelte wieder. A durchfuhr die Angst. Er versuchte es zu ignorieren. Dann hob er doch still schweigend ab. Stille. Herr A wartete. Stille. Ein Strich auf der Geige. Panisch legte er auf. Herr A saß von der Panik gefesselt im Stuhl. Ein weiterer Anruf, nur wenig später. A hob den Hörer an und senkte ihn direkt wieder, um aufzulegen. Dann saß er wieder in der Stille seines Büros. Unterbrochen wurde sie jedoch erneut sogleich. A hob den Hörer und schlug ihn diesmal regelrecht zurück auf die Halterung. Eine Tortur war das. Nein, psychologische Kriegsführung. A drehte vom Telefon ab und zum Fenster hin. Doch kein Geiger da und die Telefonzelle ein paar dutzend Schritte die Straße hinab, welche trotzdem noch von A's Position aus zu sehen war, war unbesetzt.

Als dann noch ein Anruf hereinkam, hatte A genug. Er packte seinen Stapel rasch in seine Umhängetasche und verließ seine Arbeit, während verwunderte Kollegen ihm überall im Gang, auf den Treppenstufen und unten an der Rezeption begegneten und hinterherschauten. Die Rezeptionsdame  rief A noch irgendwas hinterher, doch er war schon aus dem Gebäude gestürmt. Er fühlte sich zu Hause einfach sicherer und beschloss, seine Arbeit dorthin zu verlegen. Auf dem Weg blickte A immer wieder übers eine Schulter und hatte vor allem Menschenmengen und Gassen im Blick. Er kam schon sehr bald an und verschloss seine Tür und jedes Fenster. Vor seine untere Fensterfassade, welche direkt zur Straße gerichtet, mit ihr beinahe auf einer Höhe und groß genug war, damit ein Mensch da hindurch steigen konnte, schob er noch einen Schrank. Schwitzend und sich allmählich in Sicherheit wägend, setzte A sich an seinen Schreibtisch. Er zog diesmal den Vorhang nicht zu, sondern blickte beim Schreiben, Unterschreiben und Anstreichen immer wieder hinüber zur Straße. ER arbeitete trotzdem weiter. es wäre ja völlig wahnsinnig, wenn er dann auch noch auf seine potenzielle Lohnerhöhung oder Gefallensausgabe verzichten würde, nur weil er sich von einem dummen Streich ablenken ließ. So wollte Herr A sich diese Belästigung zumindest erklären. Dann stoppte er und warf den Stift bei Seite. Da war er. Braune Leinenhose, grauer Wollsakko. Die selbe Klamotte, wie zuvor. über sein graues, faltiges Gesicht zog sich ein Lächeln, während er scheinbar zu A direkt herüber blickte. Die anderen Passanten gingen, den alten Geiger nicht beachtend, einfach so weiter. Teilweise sah es so aus, als würde der alte Mann es nur knapp schaffen, nicht von einem achtlosen Passanten umgerannt zu werden, während sein Blick selbst ebenfalls nicht auf die vor ihm gehenden Leute, sondern auf A gerichtet zu sein schien. Dieser Teufel schien nur A zu foltern wollen. A zog sich vom Fenster zurück. Doch es hallten vom Gehweg ein paar Schritte her. Er kam zu ihm. A blickte doch nochmal auf die Straße und der Geiger hatte tatsächlich die Straßenseite gewechselt und stand nun direkt vor A's Haus. Er schien seine Geige auszupacken. A blickte zu den Passanten rüber. keiner schien es zu bemerken. Dann ein schiefer Ton. Und wieder dieses grausame, wahnsinnige Spiel. Es kam näher. Er blickte zum Geiger. Er kam langsam, rückwärts gehend auf das Haus zu. Wollte er am heiligsten Tag bei A einbrechen? Kaum noch Passanten waren auf der Straße. Die, die da waren bemerkten A kaum und jene, dessen Aufmerksamkeit Herr A mit seinem Winken und Zeigen erhaschen konnte, blickten ihn verwirrt an. Als wäre es normal, dass ein Geiger direkt vor jemandes Haustür steht und so schrecklich spielt. Dann wanderte sein Blick wieder zum Geiger. Dieser hatte sich von der Straße ab- und seinem Fenster zugewandt. Er starrte A direkt an und grinste. Ein unmenschliches Lächeln war es. Ein Starren und ein Grinsen wie ein wahnsinnig gewordenes Raubtier, was nur darauf wartete, seine Klauen und Zähne in A's Nacken zu graben.

Geigerlein, Oh GeigerleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt