Der kannibalie

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Noch bevor meine Augen aufgehen, bevor ich wirklich wach werde, weiß ich wieder, wo ich bin. Immer noch JVA, immer noch in der Zelle.
Wie soll man das auch vergessen, wenn der Beamte quer über die ganze Piste ,,Aufschluss!" grölt. Uff. Ich versuche noch, für ein paar Sekunden die Lider zuzudrücken. Aber dann spüre ich, dass es unter den geschlossenen Augen hell wird. Mir scheint die Sonne durch das Zellenfenster warm ins Gesicht. Selbst unter diesen miesen Bedingungen, eingesperrt auf ein paar Quadratmetern - meine Laune wird sofort besser, ich vergesse das Gebrüll des Wärters und setze die Füße auf den angenehm kühlen Zellenboden. In dieser Stunde Aufschluss stehen die Zellen offen. Man kann mit den anderen Häftlingen quatschen, kann sich in der Küche etwas zu essen holen -
es ist noch früh, ich hab keine Lust zu labern, aber langsam kommt mein Appetit zurück.
Ich habe Hunger!

Auf dem Weg zur Küche vermeide ich genau in die anderen Zellen zu schauen - kein' Bock auf den üblichen Zellengang-Smalltalk, die Fragen nach Tabak oder Kaffee. Gestern habe ich noch gehört, wie in die letzte Zelle des Ganges ein neuer Häftling verlegt wurde, still und routiniert. Für einen kurzen Moment kann ich meine Neugierde nicht unterdrücken und werfe einen schnellen Blick in die Zelle -
und schaue in ein paar wässrige graue Augen.
„Hey!" Ach Pis! Ich ärgere mich, jetzt komme ich an ein paar Sätzen nicht vorbei, obwohl mein Magen schon knurrt.

Aber der etwa 50-jährige Mann, der da so verloren auf seinem Bett sitzt, schaut mich freundlich an und ich weiss aus eigener Erfahrung, dass es gerade am Anfang ganz gut ist, wenn einem Leute, die schon länger einsitzen, erklären, wie es hier läuft. Er fragt mich nach den den Aufschlusszeiten, wie das mit dem Hofgang funktioniert und so kommen
wir ins Gespräch. Ich lehne im Rahmen seiner Zellentür, schiele schon mit einem Auge in Richtung Küche, als er plötzlich sagt:
„Schon schräg, dass ich jetzt ausgerechnet hier bin. Eigentlich bin ich ja LKA-Beamter in Sachsen."
Ganz unbewusst stoße ich mich vom Türrahmen ab, drücke den Rücken
durch und gehe in Kampfhaltung. Da reichen die Wörter „LKA" und „Sachsen", immerhin die Typen, die mich hier hingebracht haben. Er merkt, dass mich diese Wörter nervös machen, hört auf zu reden und sieht mich wieder mit seinem harmlos-freundlichen Blick an. Ich entspanne mich ein bisschen und ausserdem hämmert mir jetzt natürlich eine Frage im Kopf: „Wie bist du hier reingekommen?"

Und dann erzählt er.
Von seinem monotonen Leben, seit 20 Jahren verbeamtet, aber immer das Gefühl, nie ganz vollständig zu sein. Wie er in Foren und eMail - Verteilern nach Gleichgesinnten sucht. Und immer tiefer in einen Kaninchenbau stolpert, in dem Menschen darüber fantasieren, sich aufzulösen.
Andere träumen davon, anderen Menschen einzuverleiben - nicht als Metapher, sondern ganz real. Der Mann, der hier auf seinem winzigen Gefängnisbett sitzt und unergründlich lächelt, träumt davon, einen anderen Menschen zu essen. Dann lernt er im Chat einen Geschäftsmann ans Niedrachsen kennen und wie ein Puzzlestück fügt
sich alles zusammen: Der Eine will fressen, der Andere gefressen werden. Und Beide beschliessen, ihre Fantasien in die Wirklichkeit umzusetzen.
Obwohl auch in dieser Zelle die warme Juli-Sonne scheint, merke ich, wie mir kalt wird.

Am Anfang habe ich noch ungläubig geschaut, aber das ist hier nicht der Fall. Er hat mehrere große Aktenordner, voll mit Prozess - und Polizeiakten, neben dem Bett, auffordernd
hält er sie mir hin. Zögernd nehme ich die schweren Ordner und lese, in verklausulierter
Behördensprache, dass er die Wahrheit sagt. Freundlich, mit seiner leisen Stimme und dem
vertrauenswürdigen sächsischen Dialekt, redet er weiter. „kannst du glauben das ich deswegen hier sitze, obwohl er es selbst wollte?"

Uff. Ich starre diesen Typen an, der sich jetzt mit leiser Stimme darüber ärgert, hier zu sein. Er erzählt mir noch was von „Tötung auf Verlangen" dass er quasi unschuldig sei und hier eigentlich nichts zu suchen hätte
nachdem er mir erzählt hat, wie er einen anderen Mann mit einer Elektrosäge zerteilt hat, alles so beiläufig, als würde ich mir eine Caprisonne aus der Tanke holen, keine große Sache. Die Stunde Aufschluss ist fast um, ich verabschiede mich schnell. In meinem Rücken spüre ich noch seinen freundlichen Blick, das schmale Lächeln.

Ich wollte eigentlich noch in die Küche, mir vielleicht etwas Hähnchen aus dem Kühlschrank holen, aber bei dem Gedanken an das graue Fleisch wird mir sofort schlecht. Ich drehe um und lege mich auf das Bett in meiner Zelle. Nach ein paar Minuten rasselt die Schliessanlage und die Tür fällt laut und
eisern ins Schloss. Zum ersten Mal seit ich hier bin, geht es mir ganz gut damit.

Ich verschränke die Arme über meinem Kopf und starre an die Decke. Die meisten Typen hier sind ganz okay. Ein paar Verrückte, ein paar Kaputte, es gibt Gewalttäter, Gauner, aber Alle haben ihre guten Seiten, mit Allen kann ich mich irgendwie arrangieren. Aber ich spüre, dass mir diese eine Stunde mit diesem unauffälligen Mann schwerer in den Knochen steckt als jeder Hofgang mit zutättoowierten Totschlägern. Jetzt, In diesem Moment, merke ich zum ersten Mal, mit was für kranken
Bastarden ich hier eingesperrt bin.

Wolken haben sich vor die Sonne geschoben,
sie wirkt jetzt matt und kraftlos. Ich beschliesse, nochmal eine Runde zu pennen. In den letzten Momenten, in denn ich wach bin, tauchen wieder die grauen Augen des freundlichen LKA-Beamten auf, das verdammte schmale Lächeln. Ein paar Zellen weiter liegt jetzt dieser Typ auf der Pritsche, vielleicht schläft er auch gerade ein.

Wovon er träumt will ich nicht wissen.

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