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━━━ but I think it's official

Durch Ryujins Adern flossen in Hochgeschwindigkeit und mit enormem Druck, neben dem kochenden Blut, Unmengen an Adrenalin. Das Mädchen war gestresst, unheimlich wütend und glich in diesem Moment dem Ebenbild eines heftigen Orkans.
Ein Sturm, der alles, was sich in seinem Weg befand, mit einem einzigen Hieb in tausend Teile zerschmettern ließ und niedermetzelte.
Wenn es möglich gewesen wäre, dann hätten sich die Iriden der Blondhaarigen bestimmt schon in ein tiefes Rot umgefärbt und würden mit Sicherheit grelle Blitze auf jede noch so unbeteiligte Person und Objekte werfen. Ihre Haare würden wie elektrisiert von ihrem Kopf stehen.

Ryujin hatte sich selbst nicht mehr unter Kontrolle – aber wann war dies denn tatsächlich der Fall gewesen? Ihre Emotionen und Gefühle hatten seit dem Tod ihrer Mutter das Lenkrad in die Hand genommen und das Mädchen von einem Unfall in den anderen gelenkt. Und nun war es wieder so weit.
Die Blondhaarige wurde von ihrem Empfinden gesteuert und konnte nichts dagegen unternehmen, außer mitzuspielen.
(Nebenbei angemerkt hatte sie sowieso bis zu diesem Zeitpunkt kein bisschen davon gewusst – dass sie nicht sie selbst war. Und das, obwohl sie jede einzelne Sekunde des vollen Gefühlschaos durchlebte. Tatsächlich war sie eigentlich ein ganz anderer Mensch (gewesen) – überhaupt nicht impulsiv, überhaupt nicht.)

Mit einem lauten Geräusch hatte die Schülerin ihre Zimmertür zugeknallt und war hinaus, in die pralle Sonne, die brütende Hitze gestürmt, um so schnell wie möglich zu Yeji zu kommen.
Nicht um sich zu entschuldigen und sich eventuell mit ihrer Freundin auszureden. Sicher nicht. Das war in diesem Moment das Letzte, was Ryujin beabsichtigte. Denn wie davor beschreiben glich sie in diesem Moment einem wildgewordenen Tier und dachte nur daran der Orangehaarigen Schimpfkanonaden, Beleidigungen und Kraftausdrücke an den Kopf zu werfen und ihr jeglichen seelischen Schmerz zuzufügen, den sie in den letzten drei Stunden verspürt hatte – so viel Zeit war vergangen, seitdem sich die Blondhaarige und ihre Freundin mit spitzen Worten förmlich in der Luft zerrissen hatten.

Das schwüle, erdrückende Wetter heizte Ryujin nur noch weiter in ihrem miserablen Zustand an, wie Öl, das man zusätzlich ins Feuer schüttete, obwohl dieses schon lichterloh brannte.
Neben der Hitze ignorierte das Mädchen außerdem die tiefgrauen, fast schwarzen Cumulonimbus, die sich über ihr aufschlossen und den blauen Himmel bereits zur Hälfte verdeckten.
Auch das noch weit entfernte Grollen, welches ein Vorbote des anstehenden Gewitters war, tat sie für eines aus ihren eigenen Gedanken ab und die tieffliegenden Vögel und die unglaublich lästigen Mücken, die viel aggressiver als sonst waren, nahm sie gar nicht wahr.
Wie gesagt – das Mädchen hatte sich selbst nicht mehr unter Kontrolle.

Ohne es zu bemerken war Ryujin nach wenigen Minuten in jene Straße eingebogen, die zu der Siedlung ihrer Freundin führte.
Die letzten Meter sprintete das Mädchen – noch immer mit Wut, Zorn und Schmerz aufgeladen und dazu bereit Yeji für all die Ungerechtigkeit, die momentan in ihrem Leben vorherrschte verantwortlich zu machen.
Vor dem Hochhaus angekommen, in welchem die Orangehaarige wohnte, klingelte sie an jeder einzelnen Glocke, sodass dem Mädchen nach wenigen Sekunden die Tür geöffnet wurde und sie das Treppenhaus hinauflief, bis sie die Wohnung ihrer Freundin erreicht hatte. Abermals klingelte sie – diesmal sturm, doch egal, wie lange Ryujin ihren Zeigefinger auf die Klingeltaste gepresst hielt, in der kleinen Wohnung schien sich nichts zu regen. Die Blondhaarige hörte bloß das schrille Geräusch der Klingel etwas gedämpft durch die Tür.

Und plötzlich machte sich die reine Panik in dem Körper des Mädchens breit. Ihr wurde kalt, denn mit einem Schlag fiel ihr Mantel des Zorns und eine Welle der Schuld und vor allem Sorge rissen Ryujin mit, ohne Rücksicht auf sie zu nehmen.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken – nein, eigentlich über ihren ganzen Körper – und ließ sie vor Schock japsen, da sie wieder denken konnte und das, obwohl ihre Gefühle noch immer die Überhand übernommen hatten.
Denn plötzlich war der Schülerin klar geworden, was mit ihrer Freundin passiert sein könnte.
Horror. Ein miserables Stechen in ihrer Brust. Luft! Wo war die Luft zum Atmen?!

Hysterisch begann die Blondhaarige wie verrückt an der Türklinke zu rütteln und zu ziehen. Natürlich half nichts davon.
Somit begann sie gegen die Tür zu treten und sich mit vollem Körpergewicht dagegen zu werfen. So oft, bis ihre Seiten wehtaten und bereits blau angeschwollen waren. Aber Ryujin dachte nicht daran aufzuhören, denn wenn wirklich folgendes Szenario eingetreten war, welches sich schmerzhaft in ihren Kopf gesetzt hatte, dann war ihre Freundin in akuter Lebensgefahr und um keinen Preis auf der Welt würde die Blondhaarige Yeji einfach so hergeben (an etwas, eine „Macht", den Tod, den sie nicht kannte und der ihr nicht das beste Glück ihrer Freundin garantieren konnte) wollen.

Mit einem weiteren, verzweifelten Versuch in die Wohnung der Orangehaarigen zu gelangen, schlug Ryujin mit ihrer bloßen Faust gegen die Mitte der Tür.
Ein unerwarteter Schmerz schoss ihren ganzen Arm hinauf und verteilte sich von der Schulter in den restlichen Körper. Ein heiserer Schrei entwich dem Mädchen, welches ihre Hand betrachtete, die im Holz der Tür steckte. Langsam begann Blut auf den Boden zu tropfen, doch das war der Blondhaarigen herzlich egal.
Denn immerhin hatte sie es tatsächlich geschafft die Wohnungstür aufzubrechen, konnte diese somit öffnen – auch wenn das sehr an ihrer Kraft zehrte – und war nun theoretisch im Stande nach ihrer Freundin zu suchen.

Ryujin stürmte geradewegs zum Balkon, wo sie Yeji vermutet hatte, doch konnte sie dort nicht finden. Zögerlich näherte sie sich dem Geländer, um hinunterzublicken. Sie zwang sich dies zu tun. Und als sie tatsächlich den Blick nach unten wagte, begann das Mädchen vor Erleichterung zu weinen. Yeji musste wo anders sein.
Ohne Zeit zu verlieren, rannte die Blondhaarige in das Zimmer ihrer Freundin, welches sie leer auffand. Langsam begann Ryujin zu zweifeln, ob die Orangehaarige tatsächlich zu Hause war und nicht schon längst am nächsten Bahnhof, denn die leeren Zimmer häuften sich. Und am Ende blieben nur mehr das Badezimmer und die Abstellkammer übrig, die die Schülerin noch nicht durchsucht hatte.

Zaghaft legte die Blondhaarige ihre beiden Hände an die Türklinke des Badezimmers und drückte diese hinunter.
Abgeschlossen. Die Panik begann sich wieder in Ryujin hochzuschaukeln. Denn mit einer 99%igen Wahrscheinlichkeit befand sich ihre Freundin in jenem abgesperrten Raum. Ohne auch nur länger als drei Sekunden zu überlegen, hatte das Mädchen Yejis Zimmerschlüssel geholt und schaffte es tatsächlich mit diesem das Badezimmer aufzusperren, in welchem sie ihre Freundin vermutete.

Ein unglaublich unangenehmer Geruch von Blut und heißer Wasserdampf entwich dem Raum, sobald die Blondhaarige diesen öffnete.
Sie hustete und dann begann ihr übel zu werden, denn vor ihr auf dem Boden hatte sich eine rote Wasserlacke ausgebreitet und aus der Badewanne sah das Mädchen eine zierliche, blasse Hand hinaushängen. So viel Übelkeit hatte Ryujin in ihrem Leben noch nie verspürt.
Und trotzdem lief sie durch das Wasser am Boden, hin zu ihrer Freundin und konnte sich nur knapp selbst bei Bewusstsein halten.

Vor der Blondhaarigen ergab sich ein schreckliches Bild. Der Dampfend heiße Körper ihrer Freundin, der eher tot als lebendig aussah, und um diesen herum blutrotes Wasser und Erbrochenes.

Wie Ryujin am Ende den Rettungswagen rufen konnte, wusste sie nicht, denn kurz nach dem Gespräch mit der Notrufzentrale war sie wegen des psychischen Stresses und der Umgebung umgekippt und mit dem Kopf auf dem Rand der Badewanne aufgeschlagen.

━━━ AUTHOR'S NOTE, 27.O6.2O22

Erstmal sorry, dass ich erst jetzt wieder Update - ich hatte so viel Stress. :(

Ich hoffe, dass ihr gerade eure Zeit genießt und Spaß bei Lesen habt. <3

And i know, das Kapitel ist wieder etwas heavy - ab dem nächsten wird es besser...

BUT YOU : RYEJIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt