Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, aber Tory fühlte die Hitze des Tages noch immer sanft auf ihrer Haut, als sie sich mit dem Telefon am Ohr ihren Weg über die Engen Bürgersteige der Stadt in Richtung des Cafés suchte, in dem sie und ihre beste Freundin sich zum Lernen verabredet hatten.

»Wo bist du? Du wolltest schon vor zehn Minuten hier sein.« beschwerte Emy sich in diesem Augenblick.

»Jaja, ich weiß, sorry«, antwortete Tory etwas aus der Puste, da sie ihre Schritte nun noch weiter beschleunigte. »Hör zu, ich bin in ein paar Minuten da. Magst du nicht schonmal bestellen?«

Einen kurzen Moment herrschte Stille am anderen Ende der Leitung und Tory musste schmunzeln, während sie sich vorstellte, wie ihre beste Freundin leicht die Augen verdrehte, so wie sie es immer Tat, wenn sie schon längst beschlossen hatte, Torys Bitten nachzukommen, es aber noch nicht zugeben wollte.

»Na gut«, gab sie schließlich mit einem leisen Seufzen nach, »Willst du noch einen Kuchen dazu, oder nur den Kaffee?«

»Noch ein Stück Orangenkäsekuchen, wie immer, bitte.« grinste Tory.

~~~~~~~~~~oOo~~~~~~~~~~

Wenige Minuten später betrat Tory das kleine Café. Es war in einem Achtzigerjahre-Stil gehalten, an den Wänden hingen viele Poster von Bands und Sängern, darunter Torys Lieblingsband Guns N' Roses, die Möbel sahen aus wie wild zusammengewürfelt und waren in allen möglichen bunten Farben und Formen vorhanden und im Hintergrund spielte leise ‚Billie Jean'. Die gemütliche Atmosphäre wurde durch den Duft von frischem Kaffee vollendet.

Tory setzte sich zu Emy, die bereits tief in eine Publikation über Kriege in der frühen Neuzeit versunken war, ihr Büchlein mit den Notizen für die anstehende Klausur aufgeschlagen neben sich.

»Sorry nochmal, aber ich hatte meinen Laptop vergessen.«, begann Tory sich zu entschuldigen, »Zum Glück war meine Freundin noch da, hatte nämlich auch den Schlüssel nicht mit.«

Doch Emy nickte nur abwesend. Das nächste Mal schaute sie erst wieder von ihrer Arbeit auf, als die junge Kellnerin ihnen den Kaffee und Torys Kuchen brachte.

»Braucht ihr noch etwas?« erkundete sie sich höflich.

»Nein danke, alles bestens.« antwortete Tory.

»Gut, dann werde ich kurz nach hinten gehen. Ruft mich einfach, wenn was ist.« mit diesen Worten verschwand sie in Richtung der Lagerräume und ließ die beiden Mädchen allein zurück, was diesen sehr recht war, da sie sich nun vollständig auf ihre Arbeit konzentrieren konnten.

Tory hatte sich gerade in einen spannenden Artikel über Kriegsführung im Laufe der Geschichte eingelesen, da wurde die angenehme Ruhe von einem lauten Rufen aus den hinteren Räumen unterbrochen:

»Nein! Lass mich in Ruhe!»

Tory warf einen erschrockenen Blick zu Emy, die sie genauso entsetzt anschaute.

»Das war doch die Kellnerin, oder?« fragte Emy besorgt.

»Ja! Los komm, wir schauen schnell nach, ob alles bei ihr in Ordnung ist.« antwortete Tory und ohne weiter darüber nachzudenken stürmte sie auf die kleine Pforte zu, die die Absperrung zur Theke darstellte, und lief den kurzen Gang zum Lagerraum entlang, Emy dicht auf ihren Fersen.

»Komm schon, nur dieses eine Mal, danach lassen wir dich in Ruhe.« redete eine junge Männerstimme drängend auf die Kellnerin ein. »Wir brauchen das Geld!«

»Ich hab gesagt: Nein!« antwortete sie, »Ich mache bei so einem Scheiß nicht mehr mit! Und jetzt verschwinde, oder...«

Sie hörten ein Schnauben, das Tory irgendwo zwischen entsetzt und belustigt einordnete. »Das traust du dich eh nicht.«

Sie machte sich auf alles gefasst und stieß mit einem Ruck die Tür auf.

Die freundliche Kellnerin stand zwei Meter von einem jungen Mann, etwa in ihrem Alter, entfernt. Er trug eine einfache Jogginghose und einen großen Hoodie, die Kapuze hatte er tief in die Stirn gezogen und über die eine Schulter hing eine Bauchtasche. Er war groß gebaut, Tory schätzte ihn auf über einen Meter neunzig, mit breiten Schultern und kantigen Gesichtszügen. Das Mädchen, das ihm Vergleich zu ihm schon fast kindlich aussah, stand mit dem Rücken zu ihnen. Tory wollte langsam auf sie zugehen und fragen, ob alles in Ordnung ist, doch der Mann keifte sie an: »Siehst du nicht, dass sie verrückt geworden ist?«

Die Kellnerin drehte ihren Kopf zu Tory und der Ausdruck purer Verzweiflung in ihren Zügen versetzte Tory einen Stich ins Herz.

»Ist alles in Ordnung?« fragte sie ruhig und missachtete den Mann vollkommen. Das Mädchen zögerte, schüttelte dann aber leicht den Kopf. Tory verzog das Gesicht.

»Können wir dir...«

Sie stockte, als Emy an ihrem Ärmel zupfte. Fragend drehte sie sich um, und machte sich noch mehr Sorgen, als sie die Angst in Emys Gesicht erkannte. Emy deutete eine leichte Kopfbewegung nach vorn an und Tory wandte ihren Blick wieder dem Mädchen zu. Erst jetzt bemerkte sie die Waffe in ihrer ausgestreckten Hand, die direkt auf den Jungen zielte. Sie zitterte leicht.
Tory atmete hörbar ein. Dem Mädchen kullerte eine einsame Träne die Wange hinunter. Sie hielt ihren Blick krampfhaft auf Torys Gesicht, als würde sie sich gar nicht trauen, die Pistole in ihrer eigenen Hand anzuschauen. Alles im Raum war still, man hörte nur das panische Atmen des Mannes.

»Hör mir zu.« sagte Tory, »Du brauchst keine Angst zu haben. Wir sind jetzt da und der Kerl kann nichts mehr tun. Du kannst die Waffe einfach...« weiter kam sie nicht. Während Tory mit ihr gesprochen hatte, war der Mann nach vorne gestürzt und hatte versucht, ihr die Waffe aus der Hand zu reißen. Der Arm des Mädchens verdrehte sich auf ungesunde Weise und auf einmal zeigte die Waffe direkt auf Tory. Emy hinter ihr stieß einen schrillen Schrei aus. Ein lautes Knallen ertönte und plötzlich war alles schwarz.


__________________

898 Wörter 



Way back HomeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt