Prolog

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01. Juni 58 v. Chr.


Der Wald war ein Irrgarten aus dichtem Geäst, durch das das Licht des Sonnegottes Lugh sich nur spärlich seinen Weg bahnen konnte und so mit seiner göttlichen Berührung die Welt zum Leuchten brachte. Seit Stunden starrte er auf den Rand des Dickichts. Noch ruhte die Natur, doch bald würde auch sie zum Leben erwachen.

In seinen Gedanken malte er sich das Festessen aus, dass er zur Geburt seines zweiten Kindes veranstalten würde. Er wusste nicht, wie viele Stunden bereits vergangen waren, seit die Hebammen des Dorfes ihn zusammen mit seinem Sohn Drystan und seiner Mutter Arwen aus seiner Hütte verbannt hatten. Verzweifelt hatte er von draußen den Schreien seiner Frau gelauscht, die dort drinnen in den Wehen lag. Er hasste es, untätig herumstehen zu müssen und ihr nicht helfen zu können. Immer wieder überlegte er, ob er nicht doch in seine Hütte gehen und seiner Frau beistehen sollte. Aber es war ihm verboten, den Prozess der Geburt nicht stören. Männer hatten nicht dabei zu sein, wenn die Frauen neues Leben gebaren, das ihnen die Götter geschenkt hatten.

Daher hatte er sich entschieden, auf die Jagd zu gehen, während sich seine Mutter um seinen Sohn kümmerte.

An gewöhnlichen Tagen würde er sich die Zeit nehmen und den Göttern für das verlängerte Leben, welches sie ihm gewährt hatten, danken. Drei Monde waren erst vergangen, seitdem die Römer das Territorium der Segusiavi überrannt hatten. Allen voran ritt ein Mann namens Gaius Julius Caesar. Schnell hatte er sich der militärischen Übermacht Roms geschlagen gegeben. Sie verfügten über weitaus bessere Kriegswaffen als sein Stamm und hatten Soldaten, die für den Kampf ausgebildet wurden. Die Männer in seinem Dorf hingegen waren Bauern und Händler, die nur, wenn es sein musste, zu den Waffen griffen.

Zudem war sein Dorf auch finanziell auf den Handel, den sie mit den Römern betrieben, angewiesen. Als Fürst der Segusiavi trug er nicht nur die Verantwortung für seine Familie, sondern für seine ganze Sippschaft. Der Wohlstand seines Stammes wäre ohne den Handel mit den Römern nicht denkbar. Die Gegend hier rund um die Flüsse Loire und Rhône war Reich an Bodenschätzen, die ihnen diesen Wohlstand ermöglichten. Die Segusiavi verstanden sich insbesondere auf die handwerklichen Tätigkeiten wie die Metallkunst und die Schmiede, die Holz- und Lederverarbeitung sowie die Bronzegießerei.

Was hätte es ihm gebracht, wenn sie sich Rom ein paar Tage entgegengestellt hätten?

Es hätte nicht nur den Verlust der Handelsbeziehungen, sondern auch die Einbuße der Freiheit für sein Volk bedeutet. Für ein Leben seines Stammes in Sklaverei wollte er nicht die Verantwortung tragen.

Zudem hätten die Römer mit nahezu sicherer Wahrscheinlichkeit seinen Sohn Drystan als Unterpfand für den Frieden gefordert. In seinen Augen war es daher auch heute noch die bessere Entscheidung gewesen, sich kampflos den Römern ergeben zu haben. So musste er kein unnötiges Blut vergießen und der Handel mit den Römern fluorierte weiter. Zusammen mit ihren Nachbarn und Verbündeten, den Haeduern zählten sie nun zu den wichtigsten alliierten Roms und Caesar selbst hat seinem Stamm das Privileg der Münzprägung zugesprochen. Dadurch würde ihr Stamm noch wohlhabender und mächtiger werden, während die Römer ihre Eroberungsfeldzüge quer durch das Land fortsetzten.

Seufzend stieß er seinen Speer aufrecht in den Boden und lehnte seine Stirn an das raue und gewölbte Holz. Angestrengt ruhig versuchte er, zu atmen und den Geräuschen des Waldes zu lauschen. Anmutig beobachtete er, wie sich das smaragdgrüne Gras von dem dunklen Boden abhob. Seine Gedanken schweiften zu dem Tag der Geburt seines Sohnes ab. An diesem Tag prophezeiten die Druiden ihm, dass es seinem Sohn zusammen mit seinem noch ungeborenen Geschwisterkind gelingen würde, zwei Welten zu vereinen, die nur gemeinsam überleben konnten. Diese Kinder waren Geschenke der Götter und als solche hatten sie eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen.

Gallische VerhältnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt