➳Feather six: Schminke

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Ich verlasse das Haus ohne Schminke.

Das einzige, das ich auf meinem Gesicht trage ist ein selbstbewusstes Lächeln.


Und ihr sagt, wie schön ich ohne Schminke sei.

Dass ihr neidisch seid, dass ich keine brauche.


Und ihr sagt, dass Natürlichkeit die schönste Art ist.

Und am Anfang fragt ihr, warum ich mich nicht schminke.

Nicht so schminke wie andere.


Doch ich habe mein selbstbewusstes Lächeln.

Und gekonnt kann ich es halten, während ich antworte, dass ich es nicht brauche.

Und ihr belasst es dabei.


Ihr belasst es bei einem Lächeln, das meinem so ähnlich ist.


Aber nur fast.                          

Denn eures ist echt.


Meines nicht.


Dieses selbstbewusste Lächeln ist meine Fassade.

Meine Maske.

Mein Versteck.


Es ist das, was mir Schminke nicht geben kann.


Ein selbstbewusstes Lächeln und die Antwort, dass ich es nicht benötige.

Das reicht, um eure Frage zu beantworten.


Doch ich warte auf diesen einen Moment.

Auf diesen einen Moment, in dem mich jemand wieder fragt, doch nach meiner Antwort mir einen kritischen Blick zu wirft und den Kopf schütteln wird.

Ich warte auf diesen einen Moment, in dem jemand kommt, meine Maske sieht und sie mir abnimmt, um mein wahres Gesicht zu sehen.

Um die Wahrheit zu sehen.


Und wenn dieser Moment kommt, wie werde ich reagieren?


Würde ich die Wahrheit sagen?

Dass nur dieses selbstbewusste Lächeln mich aufrecht erhält, die Scherben in mir notdürftig zusammenhält?

Dass eine einzige falsche Bewegung das Lächeln aus meinem Gesicht rutschen lassen würde?

Dass die zusammengesetzten Scherben wieder in sich zusammen fallen, mich von innen aufschlitzen würden?

Mich verbluten lassen würden?

Mich sterbend in einer lebendigen Hülle zurück lassen?


Würde ich verraten, warum ich keine Schminke trage?

Dass ich keine Schminke trage, da es nur meine Tränenspuren offensichtlicher machen würde?


Die verschmierte Wimperntusche.

Das fleckige Make-up.

Der verwischte Lippenstift.


Würde ich in diesem einen Moment meine Maske, meine Fassade, mein Versteck vollkommen aufgeben?


Wahrscheinlich würde ich in diesem einen Moment, wo diese eine Person mir meine Maske abnimmt, sie ihm aus der Hand nehmen, sie mir mit einem selbstbewussten Lächeln wieder aufsetzen und sagen, dass ich keine Schminke trage, da ich sie nicht brauche.

Und wahrscheinlich würde diese eine Person mir dann endlich ein Lächeln schenken, das meinem so ähnlich ist.


Doch nur fast.

Denn seines war echt.


Und meins nicht.


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