Evelyns Nähe und die dazugehörigen Worte überraschten mich derart, dass ich ohne zu überlegen mein gesamtes Gewicht auf den verletzten Fuß verlagerte. Statt einem verlegenen Danke, kam daher leidglich ein schmerzerfülltes Seufzen über meine Lippen.
Evelyn war sofort alarmiert, während ich versuchte den stechenden Schmerz in meinem Fuß wegzuatmen. Falls das überhaupt möglich war.
„Was ist los?" Sie sah sie mich aus zwei zutiefst besorgten Augen an.
„Mein Fuß", gestand ich nur ungern. „Fühlt sich so an, als hätte ich ihn nicht nur ein wenig verknackst." Ohne Evelyns Hilfe würde ich kaum von der Tanzfläche kommen. Sobald ich meinem Fuß auch nur ein bisschen belastete, der blitzartige Schmerz kehrte sofort zurück und machte mir jedes Auftreten unmöglich.
„Komm. Ich helfe dir", sagte Evelyn, bevor ich dazu gezwungen war, sie um ihre Hilfe zu bitten. Wie selbstverständlich legte sie einen Arm um meine Taille, während mein Arm um ihre Schulter wanderte. Sofort spürte ich die Erleichterung und leider auch mein Herz, dass immer wilder in meiner Brust zu schlagen begann.
Ich ließ es zu, dass Evelyn uns von der Tanzfläche führte. Ichspürte die verwirrten Blicke, die uns teilweise folgten, aber in diesem Moment nahm ich sie nicht wahr.
Etwas zu spät bemerkte ich, dass Evelyn uns aus dem großen Hochzeitssaal hinausführte. Nun standen wir in einem Art Foyer, das bis auf uns beide allerdings leer war. Evelyn führte mich zu einem knallroten Sofa, auf das ich mich niederließ. Zwar war der Schmerz größtenteils wieder verschwunden, aber ich spürte wie es in meinem Fuß unnatürlich stark pulsierte.
Am liebsten hätte ich es vermieden, aber mir blieb keine andere Wahl als mein bodenlanges Kleid etwas anzuheben, sodass meine Füße zum Vorschein kamen. Der linke sah aus wie immer, aber als ich meinen rechten Fuß betrachte, schnappte ich hörbar nach Luft.
Um den Knöchel herum hatte sich eine Schwellung gebildet und die Haut färbte sich bereits blau an der betroffenen Stelle.
„Melia ...", stieß auch Evelyn sichtlich betroffen aus und die Sorge in ihren wunderschönen blauen Augen vertiefte sich nur noch mehr. „Ich verstehe nicht, wie du mit Lea so tanzen konntest, wenn man bedenkt, wie dein Fuß aussieht."
Eine hohe Schmerztoleranz, war mein erster Gedanke, aber den behielt ich für mich. Ein womöglich verstauchter Knöchel war nun wirklich nicht das Schlimmste, was mir jemals widerfahren war.
„Das sollte sich ein Arzt ansehen", kam es von meinem Gegenüber, was mir nur ein Kopfschütteln entlockte. Ich war hier mitten auf einer Hochzeit – auf Leas Hochzeit – da konnte ich nicht einfach gehen, um einen Arzt aufzusuchen.
Evelyn unternahm keinen Versuch mich zu überreden, wofür ich ihr wirklich dankbar war. Stattdessen gab sie mir zu verstehen, dass ich kurz warten solle und sie gleich wiederkommen würde. Haha, als hätte ich gerade die Möglichkeit, um mich von hier wegzubewegen.
Keine Minute später kam meine ehemalige Musiklehrerin meinem roten Erste-Hilfe-Kasten in der Hand zurück. Sie wollte doch nicht etwa ...
Und wie sie wollte, wie mir ihre folgenden Worte verrieten. „Dann lass mich dir wenigstens helfen. Ein Druckverband sollte deinen Fuß ein wenig stabilisieren, bis ein Arzt sich das ansieht."
Ich hätte protestieren können. Hätte ihr verdeutlichen können, dass ich nichts dergleichen benötigte. Etwas an dieser Frau ließ dies jedoch nicht zu. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mitanzusehen, wie Evelyn besagten Druckverband aus dem Erste-Hilfe-Kasten herausholte und vorsichtig auf meinen verletzen Fuß deutete. „Darf ich?"
Ich verstand sofort was sie meinte und gab ihr mit einem Nicken meine Zustimmung. Behutsam, ganz so, als befürchtete sie, mir damit noch mehr Schmerzen zu bereiten, hob sie meinen geschwollen Fuß an und begann, ihn mit dem Verband zu umwickeln. Obwohl sie sich die größte Mühe gab vorsichtig zu sein, konnte ich es nicht vermeiden, dass sich mein Gesicht vor Schmerz das ein und andere mal verzog.
„Entschuldige", sagte sie daraufhin, obwohl sie die Letzte war, die etwas für mein heutiges Unglück konnte.
„Alles gut", winkte ich daher nur ab und beobachte weiterhin ihre geschickten Hände. Als sie schließlich den Druckverband fixierte, streiften ihre langen Finger mein Bein und blieben eine Sekunde zu lang darauf ruhen. Augenblicklich spürte ich wie sich ein Kribbeln an jener Stelle bemerkbar machte und ich inständig hoffte, dass Evelyn nicht merkte, welch Reaktion sie in meinem Inneren auslöste.
Ich dürfte eigentlich nicht auf diese Weise reagieren. Mein Körper dürfte das nicht. Nicht nach all diesen Jahren. Und doch tat er es, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich in Evelyns warmen Armen lag und ihre Lippen die meinen berührten.
Evelyn sah auf und unsere Blicke trafen sich. Es waren nur Sekunden, aber in diesem einen Moment fühlte ich, wie die Zeit stehen blieb und alles um uns herum zu einem unbedeutendem Nichts verschwand.
Sie war es schließlich, die den Blick abwandte und den Körperkontakt derart schnell löste, als wäre ihr gerade selbst bewusst geworden, dass diese kleine Geste zu intim war für ein Wiedersehen nach sieben Jahren.Nichtsdestotrotz hätte die Berührung länger anhalten können. Es war nur ein kurzer, flüchtiger Gedanke, den ich mir sofort verbot. Es war nicht zu verleugnen, dass die wunderschöne Frau vor mir mich noch immer faszinierte und eine Anziehung auf mich ausübte, die beinahe unheimlich war. Umso wichtiger war es daher, dieser Anziehung nicht nachzugeben. Mein Herz würde eine weitere Trennung nicht verkraften. Da war ich mir sicher.
Ein leises Räuspern katapultierte mich aus meiner Gedankenwelt.
„Kannst du auftreten?" Es dauerte einen Moment, bis die Frage zu mir hindurchdrang und ich reagierte. Also probierte ich es aus und bereute es sofort. Der Schmerz war keineswegs verschwunden, aber wenigstens hatte ich nicht mehr das Gefühl, jeden Moment ein weiteres Mal umzuknicken.
So blieb mir auch dieses eine Mal keine andere Wahl, als Evelyns Hilfe anzunehmen und mich von ihr stützen zu lassen. Ihre Hand berührte meinen nackten Rücken und gab mir damit Halt. Was sie jedoch nicht sehen, aber vielleicht fühlen konnte, war der wohlige Schauer, der bei ihrer sanften Berührung durch meinen gesamten Körper jagte.
Verdammte Evelyn Kane.
Ich dachte wirklich, ich wäre über sie hinweggekommen.------------
Hallo, ihr Lieben!
Lange gab es nichts Neues mehr zu lesen. Die letzten Monate waren alles andere als einfach, was wohl viele Frauen über die ersten Monate ihrer Schwangerschaft sagen können. Mittlerweile geht es mir wieder deutlich besser und mein riesiges Schreibtief hat sich für längere Zeit verabschiedet. Ich werde also wieder viel aktiver auf Wattpad sein und Melias und Evelyns Geschichte wartet immerhin auch darauf, weiter erzählt zu werden. :)
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Scherbenherz - Teil 2
RomanceSieben Jahre nach ihrem tränenreichen Abschied kreuzen sich die Wege beider Frauen ein weiteres Mal. Ausgerechnet auf einer Hochzeit ...