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Den Rest des Weges beschritten sie in unangenehmen Schweigen und als sie endlich am Zimmer ankamen, war Shaha kaum jemals so froh gewesen, Ellie endlich wieder zusehen.
Yin und Yang hatte sie dabei noch immer im Schlepptau und wirkte wie üblich auch dieses Mal als Puffer zwischen den beiden Streithähnen.
Gerade erst hatten die beiden wieder diskutiert, ob Jamie einfach so in den Mädchenflügen spazieren sollte. Woraufhin er bloß erwidert hatte, dass er, sollte jemand unerwartet ins Zimmer kommen, einfach vom Balkon springen würde. Lottie hatte ihn in einer Mischung aus Neugier und Skepsis angestarrt. Wohingegen Shaha ihm einen warnenden Blick zuwarf, der jedoch nur mit einem Augenrollen quittiert wurde.
Im nächsten Moment jedoch verschwand jegliche Erleichterung darüber, nicht mehr allein mit Lottie und Jamie zu sein, als die Stimme der Schwarzhaarigen laut durchs Zimmer schrillte.
»EDMUND ASHWICK?!«, sie hätte schwören können, die Tasse auf Lotties Nachttisch habe bei Ellies Worten leise geklirrt.
»Aber der ist doch ein totales –« Doch Jamie unterbrach sie und Shaha unterdrückte ein Schnauben. »Ich verbiete dir, noch einmal mit ihm in Kontakt zu treten, Lottie.«
Die Angesprochene war neben ihr selbst die einzige, die so gut sie konnte versuchte Ruhe zu bewahren. »Ihr vergesst, dass er mich in dieser blöden Schulung gerettet hat. Wäre er nicht gewesen, hätte Lady Priscilla mich höchstwahrscheinlich rausgeworfen, Shaha sicherlich gleich mit! Und dann hätten wir nicht am Sommerball teilnehmen können.«
Ein trockenes Halb-Lächeln umspielte Jamies Lippen, gefolgt von einem leisen Schnauben.
»Erstaunlich sachlich, nahezu bagatellisiert Ausgedrückt Miss Pumpkin.«, kommentierte er, mit wie gewohnt sarkastischem Unterton. Woraufhin Ellie ihm einen Schlag gegen die Schulter verpasste, der ihn aber nicht weiter zu kümmern schien. Shaha verdrehte nur entnervt die Augen, doch nicht ohne die Stirn über die alte, wesentlich formellere Anrede zu runzeln.
»Er ist ein Wiederling!«, stellte Ellie schließlich fest und fing wieder damit an, im Raum umher zu tigern.
»Aber Lady Priscilla –«
Diesmal war es Lottie, deren Wort abgeschnitten wurde, »Lady Priscilla ist eine rückstandsgewandte, konservative Hexe und wenn sie dich mag, weil Prinz Edmund dich zum Tanzen aufgefordert, dann ist das der beste Beweis, dass man sich von ihm fernhalten sollte.«
Ellies Schultern bebten und es sah aus, als würde sich die große Sturmwolke über ihrem Kopf erneut entladen: »Das ist ekelhaft! Ich sage euch, dieser ... dieser ... dieser Schleimbeutel Ashwick ... Ich wette, der denkt jetzt ...«. Ihre Stimme verklang, bevor sie ihren Blick hob und Lottie entschlossen ansah. »Lottie, ich glaube, wir müssen euch erklären, wie ich zu meinem Ruf gekommen bin.«
Shaha hob, genau wie Lottie, die Brauen.
»Leztes Jahr wurden Gerüchte über mich in die Welt gesetzt. Es hieß, ich wäre sturzbetrunken mit einem zwielichtigen Typen auf einem Rockkonzert gewesen und deshalb habe man mich vor der Öffentlichkeit versteckt. Die Sache zog immer weitere Kreise und irgendwann behaupteten alle, es würde mit mir so enden wie mit meinem Onkel.«, Ellie wandte den Blick ab.
Mitfühlend legte Shaha ihr eine Hand auf die Schulter.
»Ellie, ich glaube, wir müssen alle anfangen, anderen zu vertrauen.«, Lotties Stimme war sanft, als sie fortfuhr, »Vielleicht wollte Edmund wirklich nur freundlich sein. Vielleicht gibt es Menschen, die hinter die Fassade blicken wollen. Er war sehr freundlich ...«
Mit einem stummen Seufzen schüttelte Shaha den Kopf. »Wir sollten trotzdem vorsichtig sein, Lottie. Sollte das mit Ashwick doch schieflaufen, könnten noch mehr Gerüchte entstehen. Ellie wäre aus keiner Klatschspalte mehr wegzudenken.«
Die Blonde runzelte verwirrt die Stirn, bevor sie Ellie hilfesuchend anblickte und leise fortfuhr: »Ellie, du weißt doch besser als jeder andere, wie es sich anfühlt, wenn Leute sich vorschnell ihre Meinung bilden.« Angesprochene seufzte und Shaha tauschte einen Blick mit Jamie, der kniff sich genervt in den Nasenrücken.
Sanft legte nun sie Lottie eine Hand auf die Schulter und sprach sogleich mit warmer Stimme auf sie ein: »Du musst uns vertrauen, Lottie.«
»Vielleicht müsst ihr aber auch mir vertrauen!«, sie schien aufgebracht und stand schließlich auf, um Shaha wütend an zu funkeln, »Wir dürfen einen Menschen nicht aufgrund von Gerüchten beurteilen!«
Ein Seufzen entwich Shahas Lippen, während sie nach den richtigen Worten suchte.
»Lottie, kannst du wenigstens einmal in deinem Leben aufhören, so schrecklich naiv zu sein!«, Jamies Lippen waren zu einem Strich zusammen gepresst und seine Augen funkelten wütend, »Du bist eine Traumtänzerin, die an Märchen glaubt. Du –«
»Hör auf, Jamie. Bitte. Es reicht.« Sie konnte sich kaum erinnern, wann sie das letzte Mal so entschieden eingeschritten war. So ungewohnt es auch war, so ungewöhnlich rasch verstummte auch jeder und blickte sie an. Müde rieb sie sich die Schläfen. »Es ist gerade für alle sehr viel, wahrscheinlich einfach etwas zu viel. Ihr tragt alle unglaubliche Verantwortung, doch ...«, ein tiefes Seufzen entwich ihr, bevor sie fortfuhr, »Wir müssen das beste daraus machen. Lottie, niemand zweifelt an deinem Urteilsvermögen. Es ist toll, dass du es schaffst in jedem das beste zu sehen, aber... Wir wollen einfach nicht, dass du enttäuscht bist, wenn es anders verläuft als du dir vorgestellt hast.«
Sanft drückte Shaha Lotties Hand und lächelte sie aufmunternd an.
Die Blonde rang sich ein Lächeln ab, bevor sie versicherte: »Ich verspreche, dass ihr euch auf mich verlassen könnt.«
»So oder so, Jamie darf dich nie wieder anschreien. Ich verbiete es.«, Ellie schwieg einen Moment, bevor sie den Zeigefinger hob. »Das ist ein königlicher Befehl!«
Jamie wandte den Blick ab und rieb sich die Schläfen. Er wirkte müde, beinahe niedergeschlagen und egal wie er sich auch gab, auch er musste bemerkt haben, wie sehr nicht bloß seine Worte Lottie verletzt hatten.
Am liebsten hätte Shaha alle einfach nur umarmt. Jamie der nie die Möglichkeit gehabt hatte, Kind zu sein, unbeschwert zu sein und ohne Pflichten. Ellie die im rückständigen Leben eines Royals gefangen war, mit jeder Menge Pflichten die sie weder tun wollte, noch so einfach konnte wie manch anderer. Und Lottie die ihr gesamtes Leben auf diesen Moment hingearbeitetet hatte, nur um nun festzustellen, dass es so vieles mehr gab, das sie nicht erfüllte. Sie waren alle noch so jung, viel zu jung für die Verantwortung die ihnen aufgebürdet wurde.
Als Shaha sich wieder auf das Gespräch konzentrierte drehte Jamie sich gerade mit einem schwachen Lächeln zur Tür »Also gut. Wir sehen uns morgen früh.«, er griff nach der Klinke bervor er sich noch einmal zu Lottie wandte, immernoch lächelnd. »Oh und Lottie – du solltest versuchen, heute Nacht ein bisschen zu schlafen.«
»Aber klar.«, irgendwie war sich Shaha sich sicher, dass das nicht ganz der Fall sein würde.
Rasch stand sie auf, verabschiedete sich von den Ivy Schülerinnen und folgte Jamie.

The Story of a LifetimeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt