Kapitel 1

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𝑁𝑎𝑧𝑎𝑟.

"Schatz, gib Bescheid, falls du hier eine Uhr gefunden hast! Mein Handy habe ich am Empfang bereits abgegeben und um spätestens Drei müssen wir Zuhause sein, weißt du doch." Blond, um die dreißig und eine Stimme, jene so hell und quietschend die Stille durchbricht, als hätte meine damalige Mathelehrerin mit ihren roten, langen Fingernägel einmal quer über die Tafel gekratzt. Sie war jung, hatte auf Lehramt Mathe, Geographie und Naturwissenschaften studiert. Die ersten paar Monate Praktikantin und gleich darauf eine feste Stelle an meiner damaligen Schule. Natürlich ist jeder auf sie abgefahren. Widerlich.

"Ach Gott, unsere Babysitterin wird uns umbringen" ihre Stimme? Noch schriller. Scheinbar hat die Frau erfahren, wie spät es nun wirklich ist. Zu ihrem Nachteil. Nazars Miene verzieht sich, sein Geduldsfaden scheint sich mit jedem weiteren Wort der scheinbaren Mutter auszudehnen. "Nicht doch, sie wird uns nicht böse sein. Du kennst Lisa doch, das ist eine Nette." Ihr Mann scheint etwas älter, um die Vierzig, sollten ihn seine Künste des Schätzens nicht trügen. Beherzigend legt er seine rechte Hand auf ihre Schulter, welche von einem dünnen, knallroten Spagettiträger geziert wird. Das bis zu den Knöchel reichende Kleid ist der Dame viel zu eng, ein Wunder, dass sie überhaupt noch Luft abbekommt. Ihre hohen, schwarzen Highheels zieht sie sich wie gebannt von den nun nackten, weinrot lackierten Füßen, um die Treppen hinunter zum Empfang, zur Eingangshalle, zu rennen. Recht ungeschickt, dürfte man dies anmerken. Ihr Mann, völlig ratlos, überfordert, sichtlich genervt von dem überdramatisierenden Verhalten seiner Frau, nimmt auch nun der in einem Anzug gekleidete Kerl den Weg nach unten. Und dabei scheint es nicht so, als wäre diese Situation eine Ausnahme, nur am heutigen Tage der Fall.

03:12 Uhr. Samstagnachts, Uhren in einem Casino? Beinahe schmiegt sich ein Grinsen auf die Lippen des 26'jährigen Kroaten, jener sich bereits seit einer Viertelstunde an der Bar des noblen Ladens befand? Die Preise? Unmenschlich. Von Uhren fehlt jene Spur. Das Klima scheint kühl, in regelmäßigen Abständen wird purer Sauerstoff in die Räumlichkeiten gepumpt, sodass jegliches Zeitgefühl zwischen die Finger eines jeden rinnt und die täglichen Geldgeber ihren Verstand verlieren, von den Spielsüchtigen, jene mittlerweile mit Sandalen, verschwitzt, mit einem Bier in der Hand die Treppen hinaufkriechen, verächtlich Blicke ernten und unter täglicher Beobachtung der Securitys stehen, gar nicht erst zu sprechen. Das Casino Mc'seliour ist nobel, luxuriös, ja hin und wieder sind die Gesichter des ein oder anderen Schauspieler zu sehen, seien es nur jene, welche die ein oder andere Nebenrolle eines mäßig bekannten Filmes ergattern konnten. Natürlich stellt sich die Frage, warum den beinahe obdachlosen Gestalten, welche sich tagtäglich ihren Weg die mit rotem Flies überzogenen Treppen hinauf machen, kein Hausverbot erteilt wurde. Was eine klischeehafte Pointe, wegen des Geldes. Ehe Nazar, gekleidet in einem olivgrünen Hemd, welches sich straff um die muskulöse Brust des 1,95 großen Mannes spannt, ja, im Jeep hat er sich auf dem Herweg tatsächlich noch umgezogen, eine Hintertür öffnet, welche die Aufschrift "nur für das Personal zugänglich/Achtung Video Überwachung!" kommt er sich gerade zu grotesk vor. Auch er ist wegen des Geldes hier, mehr wegen einer Sucht, wegen einer Begierde, einer spannenden Aktivität, welche er doch nur einmal 'ausprobieren wolle', weil es aufregend, anders und nach einem Abenteuer klang und schlussendlich zu einer jämmerlichen Routine gehörte, als wäre es eine gewisse Form von Arbeit, wo er erscheinen müsse, doch gleicht es eher einer illegalen Geldquelle und einer hinreißenden, bedrohlichen Lust des Nervenkitzels. Die Treppen führen hinunter, weit hinunter. Ein scheinbar nie endendes Stiegenhaus, bis er den Henkel einer Betontüre hinunterdrückt, welche dem Tor eines verdammten Atompunkers gleicht. Schalldicht. Diesmal kein Schild, kein verbotener Zutritt. Wer es bis hier runter schafft, hat für gewöhnlich keine Möglichkeit mehr, etwas auszuplaudern. Geschweige denn etwas anzurichten.

"Nazar Makris, wie gerufen.", ertönt die Stimme, verstärkt von mehreren Boxen. Hallt durch einen heruntergekommenen Saal. Sofort steigt ihm der Geruch von Bier, Schweiß und Blut in die Nase. Für gewöhnlich keine recht gute Kombination. Er war der dritte Antreter. Illegale Boxwettkämpfe, bei jenen mehrere Todesfälle pro Tag kein Wunder sind und auch nicht etwas, um was man sich kümmern wollen würde, gehörten Vorerst nicht zu den täglichen Aktivitäten Nazars. Nun ja, nicht solange er einmal damit in Versuchung kam. Er gewinnt. Lautes Gejubel, Geröll, jenes durch die Halle hallte. "Jawoll, Ich wusste es Mann. Ich hab auf dich gesetzt! 200 Kröten! Der Wahnsinn." "Er ist wirklich ein Gerät, der hat Potenzial, Wladimir." Letzteren Satz hört Nazar ganz besonders hervor. Das war Marko, sein "Kollege", solange es um den Kampfsport geht. Außerhalb dieser vier Wände würde der Kerl kein Wort mit ihm wechseln. Nicht mehr. Er ist es gewesen. Der Grund, warum Nazars Gegner gerade blutend am Boden liegt und um einen Krankenhausaufenthalt bittet, während die Stimmen um ihn herum lauter werden und sich auch nur keine einzige Menschenseele um sein Gejammer schärt. Marko mischte sich erst als Stammkunde in seine Bar, jene er seit einigen Jahren selbstständig führt. Die beiden haben geredet, gelacht, harmoniert und sich wahnsinnig gut verstanden. Als er ihm schließlich von diesen Wettkämpfen erzählt, wollte er nichts davon hören. Je mehr er an diesem Abend, ein Montag, 18 Uhr, daran kann er sich noch recht gut erinnern, getrunken hatte, desto mehr gefiel ihm die Idee des Nervenkitzels. Er könne ja nur zusehen, es nur einmal ausprobieren. Nazars Miene verzieht sich, als er das Blut, das sich während des Kampfes eben sich in seiner Mundhöhle angesammelt hat, auf den Boden spuckt. Marko steht unter Vertrag bei Wladimirs kleinen Club, erhält eine monatliche Gage. Ein Job, ein äußerst illegaler Beruf mit enormen Summen an Geld welche Kommen und genauso schnell wieder Verschwinden. Schon seit Monaten versucht Marko ihn dazu zu überreden mit ins Business zu steigen. Die Antwort: Bislang war es nur ein Hobby, das wird es auch bleiben. "Ein Hobby". Sicherlich Nazar, ein Hobby. Ein bloßes Hobby.

Durch die Hintertür gelangt er an die frische Luft. Der Sauerstoff brennt an seinen Wunden, als er sich in seinen Jeep setzt und den Wagen startet. Sobald er sich an die Stirn greift, verzieht sich sein Gesicht. Auch sein weißes Hemd, gleicht keinem Kleidungsstück mehr. Hier und da einige Schnitte. Es wurde unfair gekämpft, schon wieder. Wie viele Male genau, kann man an der Anzahl seiner Narben abzählen. Kurz sieht er sich um, als er bemerkt, dass er sein Jackett drin vergessen haben muss. Bei all den blutigen Flecken wäre es sicherlich nicht schade drum gewesen, hätte er es einfach zurückgelassen, dennoch zieht ihn irgendetwas zurück in den Keller. Drin angekommen beachtet ihn kaum jemand, all die Augen der wettlustigen Zuschauer sind auf den aktuellen Kampf gerichtet. Außer ein Paar. Ein Paar grüner, meerblau gesprenkelter Augen, welche ihn geradewegs mustern. Eine junge Frau, um die 22, rotes, langes Haar, welches ihr in leichten Wellen um ihre zarte Schultern fällt. Sie trägt ein sportliches, weißes Top. Dazu schwarze Leggings und schlichte Turnschuhe. So als würde sie ebenfalls hier antreten, sich es zumindest wünschen. Etwas, das Nazar nicht versteht. "Hey, man. Du hast dein Jackett liegenlassen. Warst gut heute." Marko zwinkert ihm grinsend zu, drückt ihm den blutigen Lappen in die Hand, alles was von diesem ziemlich teuren Kleidungsstück übriggeblieben ist, und grinst über beide Ohren. So, als hätte er in gewisser Weise nicht Nazars Leben ruiniert, in dem er ihn in einen Teufelskreis zog, aus welchem er leben ganz bestimmt nicht mehr rauskommt. Einmal im Fightclub, immer im Fightclub. Was ein Idiot. Sein Blick wandert zu ihr.

"Harper ist heiß, was? Wär sie nicht die Tochter meines Chefs, hätte ich sie mir schon längst aufgerissen."

"Seine Tochter?"

"Ja man. Wusstest du das nicht? Sie ist so gut wie jeden Tag hier, seit den letzten paar Wochen. Gefühlt jeder hier ist scharf auf sie."

"Was macht sie hier? Sie sieht nicht so aus, als würde sie wetten wollen." Was konkurrenztechnisch auch nicht sehr viel Sinn ergeben würde.

Marko zuckt mit seinen Schultern. "Sie will wohl ins Business mit einsteigen." Mit diesen Worten wendet er sich ab, wohl um einen Freund anzufeuern, der in Ring gegen jemand kämpft und derzeit weit voraus scheint. Zumindest liegt sein Gegner gerade am Boden. Wenigstens ging dieser Kampf fair zustande.

Harper Kuznetsow. Als sie mir in die Augen sah, so direkt und ohne Furcht. Wusste ich nicht so recht, ob sie mit mir schlafen oder mich im Kampf besiegen wollte.

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