Kapitel 2

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𝐻𝑎𝑟𝑝𝑒𝑟.

"Wer ist dieser Mann?" meine Stimme klingt leise, kein Wunder bei dem Gegröle all der schaulustigen, widerlichen Männern hier.

"Nazar?" Wladimir dreht sich auf seinen Stuhl, auf dem er so gut wie alles, was in diesem Keller passiert, beobachtet, zu mir. Mein Vater ist um die Vierzig. Groß, kräftig gebaut, kahlköpfig und hat dieselben, grün-blauen Augen, wie ich. Unsere Verwandtschaft scheint so ziemlich offensichtlich nicht übersehbar. Wohl ein Grund, warum sich die meisten Kerle nichtmals in die Nähe der einzigen, weiblichen Gestalt trauen, die sich in diesem Fightclub befindet. Nach draußen protzig und innerlich Schiss, typisch. "Der Typ könnte unser bester Mann werden, würde er sich nicht immer weigern einzusteigen." In seiner Stimme schwingt ein griesgrämiger Unterton mit und es ist mehr als offensiv, dass ihn diese Tatsache mehr als nur nervt. "Aber er kämpft auf eigene Faust und ist wohl bislang erfolgreich damit." Leicht schüttelt er mit dem Kopf, beugt sich vor und greift nach einer weiteren Flasche Bier, gleich aus der Kiste, die sich neben seinem Stuhl befindet. Von diesem kleinen Podest aus bekommt er alles mit, jeden Schlag und so auch jeden Sieg, jede Niederlage.

"Auf eigene Faust kämpfen.. das ist gefährlich." Er lallt. Mit zusammengekniffenen Augen zähle ich die leeren Dosen und Flaschen, die sich neben ihm auf den staubigen Betonboden ausgebreitet haben. Wie viele sind das wohl gewesen? 5? 6? Genug um einen Haufen Scheiße zu labern. Ich kenne Nazar nicht. Doch bewundere ich diesen Mann für seine Selbstständigkeit. Zwar weiß Vater es noch nicht, aber ich werde sicherlich nicht bei seinem kleinen Verein mitmachen und mir die Finger blutig schlagen. Sobald sich die Möglichkeit ergibt, werde ich auswandern und Medizin studieren, so wie ich es schon immer wollte, so wie Mum es wollte. Sie würde sich im Grab umdrehen, würde sie wissen, zu was Dad sich entwickelt hat. Was aus unserer kleinen Bilderbuchfamilie geworden ist. Nachdem Buddy, unser Hund, gestorben ist, da er Nachts vor ein Auto lief, kurz nach dem tödlichen Unfall bei dem ich Mum verlor, war nichts mehr so wie es mal war. Dad und ich waren allein und mit Erica schien auch sein Anker verschieden zu sein. Sein Anker, der ihn hielt und ihm immer wieder zuflüsterte, dass seine Familie es wert war nicht wieder in die illegale Schiene zu rücken, in der er sich zuvor befand. Doch das tat er. Zurückrutschen. Fünf Monate nach ihrem Tod und nun sitzt er da, säuft ein Bier nach dem Anderen und grölt wie ein Höhlenmensch, sobald Marko seine rechte Hand in die Luft reißt und seinen Sieg lautstark verkündet. Ein Augenverdrehen kann ich mir beim besten Willen nicht verkneifen, ich hasse diesen Kerl. Eingebildet, arrogant und vorlaut. Außerdem steht er laut Vater auf mich und wäre doch ein idealer Lebenspartner. Wir könnten zusammen trainieren und ein Power-Pärchen abgeben. Würg. Nein. Nein, danke.

Der Abend vergeht wie im Flug und zeigte mir, dass die Entscheidung, heimlich auszuwandern um Medizin zu studieren, die einzig richtige ist. In der kleinen Küche greife ich nach einem Glas. Nach Mums Tod sind wir nach Colorado gezogen, laut Dad eine Art Neuanfang. Neue High-School, neue Freunde, neue Umgebung, neues Leben. Sicherlich. Es dauerte nicht allzu lang, bis ich herausgefunden habe, dass Colorado der Hotspot ist, was illegale Boxwettkämpfe betrifft. Fightclubs in all den Kellern vielerlei Casinos, Bars und etc. Anfangs tat er mir leid. Ich wusste, dass er trauerte. Trauerte um Erica, unsere Mum. Trauerte um unser altes Leben und realisierte, dass es niemals wieder wie früher sein wird. Die Mitglieder seines Vereins wurden wohl zu seiner neuen Familie und mich schleppte er bislang überall mithin, prahlend darüber ein Statement zu setzen. Allen versichernd, er würde die Frauenqoute im Boxwettkampf in die Höhe treiben, ich sei der Anfang. Dabei wusste er die ganze Zeit über nur nicht wohin mit mir. Seitdem ich meinen Abschluss habe und versuche, mit Kellnern ein fixes Einkommen zu erzielen, brabbelt er mich jeden Abend damit zu, dass ich doch lieber trainieren solle. Wenn ich erstmals groß rauskäme, würde ich meinen eigenen Verein starten und dafür sorgen, dass sich Frauen, deren Traum es schon immer mal war, bei illegalen Boxwettkämpfen teilzunehmen, nicht scheuen. Absurd nicht? Anfangs empfand ich die Idee als nicht schlecht, doch sobald ich realiserte, und das geschah zeimlich schnell, dass in dieser Idee noch immer das Wort "illegal" mit drinsteckt und aus ihm nur sein neues, süchtiges Ich spricht und sein altes schon längst im Rausch des Adrenalins ertrunken ist, plante ich meine Auswanderung nach Europa. Klar, ich liebe Dad, und ich will ihn nicht sich selbst überlassen, doch nach all den Monaten, in welchem wir zwecks Miete bezahlen im Rückstand gewesen sind, da seine Leute schlecht in den Kämpfen waren und ich mit meinem geringfügigen Einkommen als Kellnerin dafür sorgen musste, dass wir gerade noch so unsere 50 m² Wohnung bezahlen konnten, realisierte ich, dass ich an mich denken muss. Zeitgleich verabschiedete ich mich von meinem alten Leben, von Colorado und von Dad, wobei er das nichtmals mitbekam.

"Wollen wir uns einen Film ansehen?" Mein Glas fülle ich mit Orangensaft, sehe zu ihm rüber und betrachte sein aufgeregtes Lächeln, was mir sofort einen Stich verpasst. "Klar." krächze ich, mich sofort räuspernd. "Ich mache uns Popcorn." Aus einem Schrank fische ich die letzten Microwellenpopcorn, die wir hier haben, bereite sie zu und lehen mich an den Tresen, wobei ich dem ständigen Aufpopen der Maiskörner zuhöre. Plop. Plop. Plop.

"Nazar gefällt dir, was? Denk nicht, ich habe nicht gesehen, wie du ihn heute beobachtet hast:"

"Was?" Beinahe hätte ich mich an meinem Organensaft verschluckt.

Er lacht und switcht zwischen den Kanälen hin und her. Bei einem mir vertrauten Actionfil stoppt er.

"Ach Harp. Immer noch so durchschaubar. Wie damals, als du uns weismachen wolletst, dass Buddy Ericas Geburtstagskuchen aufgefressen hat und nicht du." er lächelt. Wehmütig.

Mit großen Augen sehe ich ihn an, diese plötzlichen Erinnerungsfetzen, welche nun durch meinen Kopf schießen, obwohl ich mir jeden Abend einrede, mit alldem schon länsgt abgeschlossen zu haben, überfordern mich sichtlich.

"Tut mir Leid, Schätzchen." brummt er und nimmt ein Schluck von seinem Bier. Dabei wird er wieder leiser. Einige Minuten schweigen wir beide.

Die Popcorn in die Schüssel leerend bringe ich auch Dad ein Glas Saft mit, setze mich zu ihm und kuschle mich in die weiße, flauschige Decke die auf dem Sofa liegt. Dabei lehne ich meinen Kopf an seine Schulter. An solchen Momenten hinterfrage ich meinen Plan, im Ausland zu studieren. Ohne sein wissen. Ich weiß, dass er um mich trauern wird, genauso sehr weiß ich, dass er spätestens am nächste Morgen im Keller eines Casinos sitzt und seine Männer anfeuert, haufenweise Geld setzt und höchstwahrscheinlich verliert. Ich weiß, dass mein komplettes Gehalt für die Miete draufgehen wird und ich mich anhören kann, dass es nächsten Monat besser läuft. Ich weiß, dass er mich davon abhalten würden, würde ich ihm von meinem Plan erzählen und aus diesem Grund, werde ich es ohne sein Wissen tun und erst zurückkehren, wenn ich mein Studium beendet habe, um uns beiden ein besseres Leben zu bieten.

"Er könnte dir sicher was zeigen, was verschiedene Techniken betrifft." Inzwischen wurde ich schon völlig vertieft in den Film, über den fremden Mann im Fightclub dachte ich gar nicht mehr nach. Doch jetzt, wo Dad es anspricht, kommen mir seine markanten Züge, sein braunes Haar und der leichte Bartschatten in den Sinn. Er ist attraktiv, ja. Nichts, was ich freiwillig zugeben würde. Dennoch genau so illegal wie die meisten anderen in dieser Nische unterwegs.

"Schließlich steht nächstes Jahr schon dein erster Kampf bevor." Murmelt er, den Mund zum Rand mit salzigen Popcorn gefüllt. Dabei wirft er mir einen stolzen Blick zu. Wieder dieser berühmt berüchtigte Stich in meiner Magengrube. Ich hasse es.

"Ich habe Marko nach seiner Nummer gefragt. Hier. Er ist zurzeit der beste in der Branche. Wenn jemand dir das Kämpfen beibringen kann, dann ist er es." Ehe ich mich versehe, halte ich ein Post-It mit einer Nummer darauf in meinen Händen. Ungläubig starre ich auf die Buchstaben, jene den Namen Nazar Makris formen, direkt neben den Zahlen.

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