𝐻𝑎𝑟𝑝𝑒𝑟.
Nachdem der Film ein akzeptables Ende nahm und ich mich mit dem Post-It in mein Zimmer verschanzt hatte, wurde mir schlagartig der Boden unter den Füßen weggezogen, als ich realisierte, was Dad zwecks Nazar Makris wirklich vorhat. Ich starre auf den gelben Zettel. Im Schneidersitz fahre ich mit meinem Finger über die in Bleistift geschriebenen Buchstaben. Nazar Makris. Bislang hatte ich ihn nie wirklich bemerkt, geschweige den mit ihm gesprochen, nur recht viel von ihm gehört.
Der beste im Zweikampf.
Immer fair geblieben.
Selbstständiger Fighter.
Der Kerl befindet sich nicht in Vaters Verein und er möchte dennoch, dass ich mit der Konkurrenz trainiere? Das ergibt keinen Sinn. Außerdem brachte immerzu Dad mir das Kämpfen bei, warum also plötzlich jemand anderes? Es dauerte ein bisschen, jedoch war mir schon nach wenigen Minuten klar, dass er ihn mit ins Boot holen möchte. Nazar in seinem Verein. Bei den ganzen Schwärmereien über den Mann hätte ich mir das auch gleich denken können. Wie dumm ich nur gewesen bin, als ich glaubte, er würde ein einziges Mal nicht an die Wettkämpfe denken.
Ich weiß nicht recht, warum genau mir Tränen heiß über die Wangen fließen, sobald ich realisiere, dass er mit seiner "netten Geste" im Grunde genommen nur vor hatte mich auszunutzen, um sein Team aufzustocken. Was ich weiß, ist, dass ich mehr als nur enttäuscht von ihm bin und dass seine Hingabe für illegale Wettkämpfe weit über die Grenze des Akzeptablen hinausreicht. So weit, dass ich meine Entscheidung, den Plan, welchen ich mir zurechtgelegt habe, durchzuziehen, nicht bereue. Zumindest in solchen Momenten nicht. Zeitgleich würde ich Tage dazugewinnen, würde ich mich mit diesem Fremden treffen. Tage, um meine Auswanderung zu planen. Schließlich könnte ich behaupten, mich mit Nazar zu treffen und stattdessen ein kuscheliges Internetcafé wählen, in welchem ich potenzielle Bewerbungen für vielerlei Studentenwohnungen schreibe. Klingt nicht schlecht. Zwar müsste ich zwischendurch auch wirklich Zeit mit diesem Kerl verbringen, jedoch sieht er zumindest nicht schlecht aus. Auch wenn Vater denkt, ich würde ihn in sein Team holen, indem wir uns verlieben und Nazar so unsterblich in mich verschossen sein wird, dass er seine Selbstständigkeit aufgibt um mit mir Seite an Seite in Carlos Verein zu kämpfen, was rein nebensächlich erwähnt nicht passieren wird, ich gewinne Zeit. Zeit, die ich brauche um alles zu planen, um uns beiden ein besseres Leben bieten zu können. Das alles würde mit einem Studium in Frankreich beginnen und mit dem enden, was ich vor einigen Monaten aufgab. Ein glückliches Leben, mit Familie. Auch, wenn sie um zwei Mitglieder geschrumpft ist.
"Hey." Diese Nachricht tippe ich in mein Smartphone Nazars Telefonnummer bereits korrekt eingegeben. Mit gerunzelter Stirn lösche ich die Silben, nur um zwei weitere y hinterherzuhängen. "Heyyy." Mit weit aufgerissenen Augen lasse ich mein Handy auf die graue-weiß karierte Bettdecke fallen. Heyyy? Hast du den Verstand verloren, Harper? Ich klinge wie ein aufgedrehtes, kleines Mädchen, das nur darauf wartet von ihm durchgenommen zu werden. Auf keinen Fall. Nazars Ego ist bei seinem Erfolg und dem ganzen Ansehen vermutlich schon groß genug. Außerdem kennt er mich nichtmals, weshalb es keine allzu schlechte Idee wäre, meinen Namen dazuzuschreiben. Vielleicht Hey, ich bin Harper. Die, die du heute so angestarrt hast. Zumindest entspricht das der Wahrheit. Der Grund dafür schwebt in den Sternen, dennoch habe ich seine Aufmerksamkeit erregt. Kopfschüttelnd nehme ich einen Schluck von einem Glas Wasser, was auf meinem kleinen, weißen Nachtkästchen gleich neben dem Bett steht. Vermutlich mit der Intention einen klaren Kopf zu bekommen, jedoch hilft auch eiskalte Flüssigkeit nicht gegen meine heißen Wangen. Ich kenne ihn nicht. Ich werde ihn nicht kennenlernen, er ist nur ein schlechtes Alibi um meine geheime Auswanderung zu planen um ihn Frankreich zu studieren, dafür muss noch einiges geregelt werden und das werde ich auch tun, während ich Dad erzähle, dass ich mich mit Nazar treffe, was ich auch vorhabe, manchmal, manchmal eben nicht. Bevor ich mir länger den Kopf zerbrechen kann, tippe ich schneller als zuvor eine Nachricht. Um meinem kleinen Nervenbündel, jenes diese Nachricht in den nächsten Sekunden ganz sicherlich bereuen wird, keine Zeit zu lassen, drücke ich auf senden.
"Hey. Wir kennen uns noch nicht, ich bin Harper. Wir haben uns heute im Fightclub gesehen, falls du dich daran erinnern kannst."
Zwei blaue Hacken. Ich starre auf mein Smartphone. Für eine Minute, Zwei, Drei, Fünf. Nach Zehn knalle ich es gegen die Bettdecke und rühre mich erst wieder, als nach einer Viertel Stunde mein Handy verdächtig vibriert.
"Das kann ich. Hey." Er kann sich an mich erinnern. Gut, das macht die Situation nicht allzu seltsam.
"Bist du morgen wieder dort?"
Blaue Hacken. Verwunderlicherweise zur selben Sekunde, zu der ich diese Nachricht abgeschickt habe. Verdächtig. Dennoch keine Antwort. Arschloch. Bin ich etwa zu voreilig gewesen? Mit sehr großer Sicherheit. Schließlich kennen wir uns nichtmals. Ich sehe ihn an einen einzigen Abend, schreibe ihn direkt an und klinge so, als würde ich mir bereits unsere nächsten vier Dates ausmalen. Stöhnend presse ich ein Kissen auf mein Gesicht und wünsche mir, den Post-It gleich zu Beginn einfach weggeschmissen zu haben.
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Burn Together
RomanceAls ein zwielichtiger Freund dem bislang selbstständigen Barkeeper, Nazar Makris, von illegalen Boxwettkämpfen erzählt, wirkt er vorerst vorsichtig. Zwar kam er noch nie zuvor mit rechtswidrigen Aktivitäten in Berührung, dennoch lässt er sich eines...