"Dann lass mal hören, was du so über Glühwürmchen weißt." Alexander lächelte immer noch - langsam mussten ihm doch mal die Mundwinkel wehtun?! - und wippte schon wieder auf seinem Stuhl vor und zurück. Diesmal allerdings in der Bibliothek. Herr Mäusler hatte uns freigestellt, wo wir arbeiten wollten. Als ich ihn mit einem beziehungsreichen Blick zu den pferdeverrückten Kampfzicken gebeten hatte, hierher zu gehen, hatte er selbige ebenfalls mit einem angewiderten Blick bedacht und mir zugestimmt. Den ganzen Weg durchs Schulhaus über hatte er mir strahlend lächelnd versichert, wie dankbar er mir wäre. "Glühwürmchen sind einfach meine ABSOLUTEN Lieblingstiere!!"
"Nadja?" "Was? Oh, ähm...ja. Also. Glühwürmchen. Sie, äh, man sieht sie nur nachts... und nur die Weibchen leuchten, weil... weil... achso, wenn sie auf Partnersuche sind." Ich blickte auf und bemerkte, dass Alexanders Lächeln jetzt sehr bemüht aussah und von skeptisch gehobenen Augenbrauen untermalt wurde. Er räusperte sich. "Ich glaub, du solltest zuallererst den Freund und Helfer Google konsultieren. Vorher können wir nicht arbeiten. " "Mein Gott", fauchte ich, "nicht jeder steht auf Flatterviecher! Und könntest du vielleicht das Blendadentlächeln ausknipsen?! Es nervt! DU nervst! Hätte ich bloß nie gesagt der Platz wär frei!!!!" Alexanders Augen wurden groß und er sah leicht entsetzt aus. Ich raffte meine Sachen zusammen und suchte mir einen neuen Platz. Dort holte ich mir einen französischen Roman heraus. Vielleicht konnte ich den ganzen Schlamassel einfach ausblenden, wenn ich mich aufs Übersetzen konzentrieren musste.
Fünf Minuten später legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich schüttelte sie sofort ab. Alexander setzte sich trotzdem. "Tut mir leid... ich wirke glaube ich oft zu arrogant...?" Er schien ehrlich zerknirscht. "Du glaubst richtig." "Also... ich erzähl dir was ich weiß?" Ich musterte ihn. Dabei fielen mir zum ersten Mal die tiefgrünen Augen auf. "Wie ich dich einschätze, könnte es dauern, aber okay. Schieß los." "Glühwürmchen werden auch Leuchtkäfer genannt. Es gibt über 2.000 Arten, doch nur drei leben in Mitteleuropa: Der Große Leuchtkäfer, der Kleine Leuchtkäfer und der Kurzflügelleuchtkäfer. Der wissenschaftliche Name lautet Lampyridae." "Danke, das reicht schon völlig. Wie wir darüber einen umfangreichen Vortrag halten sollen, ist mir schleierhaft. Aber die Stunde ist sowieso vorbei." Ich stand auf und packte zum zweiten Mal meine Sachen. "Wenn du willst, kann ich ja mal meine Ideen zum Vortrag aufschreiben. Ich glaube, du hast nicht wirklich welche", sagte Alexander und musterte mich noch einmal prüfend. Im ersten Moment wollte ich ihn gereizt anfahren, weil ich seinen Ton nicht mochte und weil ich es hasste, so angeschaut zu werden und ich hasste es auch... Eigentlich hasste ich zurzeit alles. DArum ließ ich meinen Ausbruch einfach bleiben und zwang mir ein leichtes Lächeln auf. Er hatte ja recht. "Tut mir leid, dass ich grad keine große Hilfe bin. Ich schau mal, ob mir auch was einfällt, ok?" "Klar, gerne." "Gut, dann sieht man sich." Ich schob mich an ihm vorbei aus der Tür und ging zu Deutsch.
Als ich nach Hause kam, war wie üblich keiner da. Ich rannte hoch in mein Zimmer und legte mich erstmal hin. Ich war so müde, doch ich konnte einfach nicht schlafen. Zum hundertmillionsten Mal innerhalb der letzten drei Monate nahm ich mein Handy und öffnete den Chat mit Lucie.
Lucie,23.13: "Sehen wir uns morgen? Wir wollten doch noch zusammen ins Schwimmbad?" Nadja, 23.15: "Klar, um wieviel Uhr? " Lucie, 23.16: "So um zwölf am Eingang?" Nadja, 23.17: "Abgemacht. Bis morgen :*" Lucie, 23.19: " Bis morgen :*" Nadja, 12.12: "Lucie, wo bist du? Ich steh hier schon seit ner Viertelstunde?" Nadja, 12.31: "Lucie?" Nadja, 12.54: "Lucieeee???" Nadja, 13.04: " Bin jetzt wieder nach Hause gegangen. Meld dich!" Nadja, 21.56: "Lucie? :("
Seit diesem Tag war Lucie verschwunden, mitsamt ihren Eltern, der gesamten Einrichtung ihres Hauses und ohne irgendeinen Hinweis auf ihr Ziel zu hinterlassen. Einfach weg. Anfangs hatte ich täglch stundenlang nach ihr gesucht. War zu ihrem Haus, zu unserem Lieblingscafé, in ihren geliebten Antiquariat- Buchladen gegangen und hatte wildfremden Leuten ihr Foto gezeigt. Ich hatte sogar zur Polizei gehen wollen, aber meine Eltern hatten es mir ausgeredet. Meine Geschwister hatten ab und zu nach dem Stand meiner nachforschungen gefragt, ansonsten schien es sie kaum zu interessieren. Und ich, ich lief seitdem herum wie abgekoppelt. Meine aneren Freunde hatten sich zuerst Sorgen gemacht, aber jetzt waren sie nur noch genervt. Ich ging ihnen aus dem Weg. Sie vrstanden mich einfach nicht: Ohne Lucie ging für mich nichts.
Ob ich sie jemals wiedersehen würde?
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Firefly
Teen Fiction"Du bist wie mein Glühwürmchen. Überall war Schatten, und dann kommst du und da ist ein winziges Pünktchen Licht, und egal wohin du gehst, ich gehe mit, damit ich das Licht nicht verliere." Nadja ist 16. Sie hat vier Geschwister, die sie nicht beach...