Kapitel 2

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Die riesige Tür war mir schon immer ein Rätsel gewesen. Wozu dieses monströse Haus? Wir taten alles daran, nicht aufzufallen und uns den Menschen anzupassen. Gleichzeitig wohnten wir in dieser Villa, die vor allem eines war: auffällig riesig.

Die Tür fiel ins Schloss und alles, was meine Beine taten, war es, die Treppe so schnell es ging, emporzusteigen und in Richtung Schlafzimmer zu gehen. Ich wollte niemanden sehen. Elinor war mein Idol und ich fragte mich, warum. Alles an ihr war wenig erstrebenswert.

Oben angekommen hielt ich kurz inne. Ich blickte in Richtung Schlafzimmer meiner Eltern. Vielleicht die leise Hoffnung, dass dieser Ort, der das Unheil ins Rollen brachte, nur ein Traum war. Damals, als Mum mich erwischt hatte und fälschlicherweise annahm, dass ich jemanden getötet hatte. Das Blut auf meinen Lippen war das von Cal. Der Gedanke daran trieb die Tränen erneut hoch. Für einen kleinen Moment hatten wir die Welt um uns vergessen, als wir in der Vorratskammer standen. Ich wollte sie lediglich küssen, sie mich pfählen.

Mit gesengtem Kopf schlich ich in mein Zimmer. Mein Körper fiel vornüber auf das Bett. Ich griff nach einem der vielen Kissen, presste mein Gesicht darin und entließ einen Schrei, dessen Schall das Kissen größtenteils auffing.

Ein Knarzen.

Ich schreckte auf. War ich nicht allein?

„Sweetie?"

Dad. Er betrat das Zimmer und ich richtete mich auf. Zumindest wollte ich es. Stattdessen rutschte ich von der Kante ab und polterte auf den Boden.

„Jules! Alles okay?"

Okay? Nichts war mehr okay, Dad. Nichts.

„I-ich ...", begann ich, ehe der Druck in meinem Brustkorb wieder einsetzte und meine Tränen wie ein Sturzbach ihre Wege suchten.

„Sie hatten Recht. Alle hatten Recht."

Dad kam auf mich zu. Er kniete sich zu mir. Ich spürte, dass er etwas sagen wollte, aber nicht wusste, was. Derweil begann mein Schluchzen, während die Feuchtigkeit aus meinen Augen meine Wangen kühlten. Meine Arme umschlossen seinen Körper. Er erwiderte die Umarmung. Wir mussten uns nichts sagen. Er verstand sofort. Wie immer. Das war der Dad, wie ich ihn kannte. Die Menschlichkeit, die ich von ihm geerbt hatte.

„Sweetie, was ist passiert", fragte er mich schließlich.

Meine Arme lösten die Umarmung. Ich sah seine Augen. Sie waren menschlich. Kein Anzeichen von dem Monster, welches vor wenigen Tagen noch Angst in mir auslöste. Seine Hand näherte sich meinem Gesicht. Der Daumen wischte die übrigen Tränen von meiner Wange.

„Ich bin ein Monster", brachte ich mit brüchiger Stimme hervor.

Dad strich mir sanft über den Scheitel.

„Du bist kein Monster."

„Ich hab ihn verwandelt."

„Wen", fragte er. „Wen hast du verwandelt?"

Ich drehte meinen Kopf weg und sah die Kommode an der Wand an.

„Nicht wichtig."

Seine Hand senkte sich, doch ich konnte ihn nicht anschauen. Es tat so weh.

„Wichtig genug, dass du tränenüberströmt in deine Kissen schreist. Du musst es mir nicht sagen. Falls doch: ich bin hier."

Stille.

Innerlich focht ich den Kampf, ob ich es ihm sagen sollte. In der Familie war er vermutlich die einzige Person, der ich trauen konnte; die mich verstand. Ich drehte meinen Kopf zurück und sah nach unten.

„Elinor. Sie hatte ihn getötet. Denke ich zumindest."

Ich stockte. Was genau war da eigentlich? Gefunden hatte ich lediglich ihren Lippenstift, ehe Theos Herz erneut zu schlagen begann.

„Wir-"

Ich stockte, schluckte und setzte neu an.

„Ich dachte, er sei tot. Dann begann sein Herz schwach zu schlagen. Also kehrte ich zurück. Er lag dort und wollte, dass ich ihm half. In meiner Naivität wollte ich genau das tun und ihn von den Schmerzen befreien. Ihm seinen Frieden geben. Die Blutlust in mir war stark genug, also biss ich ihn und trank."

Die Erinnerung an das süßliche Blut ließ mein Herz schneller schlagen. Mein Körper wollte mehr. Doch meine Seele verabscheute diesen Teil in mir.

„Ich wusste nicht, dass ich ihn verwandeln würde. Oder es überhaupt konnte."

Ich musste Dad nicht anschauen, um zu wissen, dass er meiner Geschichte nur bedingt folgen konnte.

„Der Bruder von Cal, Dad."

„Den Monster Huntern?"

Ich sah ihn durch meine verheulten Augen an. Er verstand.

„Ich nehme an, dass das nicht der Grund für deine Tränen ist."

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein."

Ein Seufzen entrann meinen Lippen.

„Ich wollte zu Cal. Warum, weiß ich gar nicht mehr. Es passierte so schnell. Ich sah ihren Bruder und wusste, dass es meine Schuld war. Also gab ich ihm meinen Arm, um seinen Blutdurst zu stillen."

Die Erinnerung brannte in mir, wie ein Feuerinferno. Ich kämpfte gegen die Tränen.

„Ich wollte es Cal erklären. Doch sie brach ihr Verspre-"

Den Satz konnte ich nicht mehr beenden, denn meine Trauer überrollte mich.

„Sebastian? Sebast-", hörte ich meine Mum durch den Flur rufen.

An ihrem festen Schritt konnte ich ihre Wut hören. Sie betrat mein Zimmer.

„Oliver war bei Elinor! Diese Zwillinge sind verrückt! Was-"

Mitten im Satz brach sie ab. Warum, wusste ich nicht. Einzig ihre Atmung beruhigte sich. Sie musste näher gekommen sein, denn ich spürte, wie meine beiden Eltern mich in den Arm nahmen. Ich ließ der Traurigkeit freien Lauf und steigerte mich hinein, wohl wissend, dass meine Eltern in diesem Moment da waren, und mich im Zweifel auffangen würden.

So fühlte es sich wohl an, ein gebrochenes Herz zu haben.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 11, 2022 ⏰

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Tale of a broken heart - First Kill FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt