8.Schönheit liegt im Auge des Betrachters

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Als Sarana ihre saphirblauen Augen öffnete, spürte sie eine angenehme Wärme an ihrem Kopf und ihrer Seite. Blonde, verwuschelte Haare kitzelten sanft ihre kleine Nase. Wage erinnerte sie sich an die Zeit, bevor die zu Bett gegangen war. Sie war in Aido's Zimmer gegangen, wollte nicht allein sein. Nachdem sein Cousin sie ziemlich rau angefahren hatte, war ihr Retter mit ihr auf ihr Zimmer gekommen. Er war für sie da gewesen. Nur durch seine bloße Anwesenheit hatte sie sich so entspannt, dass sie schnell eingeschlafen war. Ja, der Schlaf hatte ihr gut getan, so lange hatte sie nicht mehr so entspannt schlafen können. Sanft hob die kleine ihren Kopf von der leicht muskulösen Schulter an und betrachtete den Jungen genauer. So, wie er da lag, mit geschlossenen Augen und einen entspannten Blick glich er einem Engel, der nur für sie aus dem Himmel gekommen war. Seine Haut war hell, wies keinen einzigen Makel auf.Vorsichtig streckte Sarana ihre kleine, zierliche Hand nach Aido's schlafenden Körper aus. Sie wollte ihn berühren, seine Haut unter ihren Fingern spüren. Ihr kam es entgegen, dass er noch nicht erwacht war, wenn er es wäre, wäre sie viel zu schüchtern gewesen.

Ihre feinen Fingerspitzen berührten seinen Arm, fuhren sanft über seine Muskeln, über seine straffe Haut. Diese Art von Berührung war neu für die Blonde, fühlte sich so gut an. Sanft zogen ihre schlanken Finger Kreise auf seiner Haut, während ihre Augen verträumt die Linien ihrer Finger nachfuhren.

Aido erwachte, da sein Arm kitzelte. Etwas berührte ihn, glitt sanft über seine Haut. Schnell erinnerte sich der Mädchenschwarm, dass er gestern zu Sarana ins Bett gestiegen war. Er konnte ihren Körper spüren, fühlte die Wärme, die von ihrem zarten Körper ausgegangen war.

Vorsichtig öffnete er seine Augen einen kleinen Spalt, nur so, dass er einen kurzen, flüchtigen Blick auf die Blonde erhaschen konnte. Er sah ihre Finger, wie sie über seinen Arm fuhren, seine erhitzte Haut berührten. Jetzt, wo er wusste, dass sie ihn berührte, trieb ihm dieses Gefühl wohlige Schauer über den Rücken.

Er blieb still, versuchte  nicht, sich zu bewegen. Zu groß war die Angst, dass sie diese wunderbare, liebkosende Berührung unterbrechen würde. So schloss er seine Augen erneut und genoss.

Sarana kam gar nicht auf die Idee, ihre Berührung zu unterbrechen, im Gegenteil. Immer mutiger wurde die kleine, fuhr nun nicht mehr nur mit ihren Fingerspitzen, sondern mit den kompletten Fingern über Aido's Haut. Schon vor einigen Minuten hatte sie seine Gänsehaut bemerkt, die sich auf dem Körper des wunderschönen Jungen ausgebreitet hatte, doch die kleine ließ sich nicht irritieren.

Ihre Finger fuhren mittlerweile vorsichtig über den Saum seines Shirts, welches den oberen Teil seiner Oberarme verdeckte. Ein Kribbeln durchzog ihren Körper, so wunderschön fühlte es sich an, jemanden liebevoll zu Berühren. Sie kannte sich mit so etwas nicht aus, nein, sie hatte keinerlei Erfahrung. Wenn ihr Peiniger gekommen war, war sie mit ihren Gedanken in eine andere Welt geflohen, weit weg von dem Schmerz und dem Leid, welches sie sonst hätte spüren müssen.

Umso mehr genoss sie nun, Aido's Körper auf solch liebevolle Art berühren zu dürfen...obwohl...durfte sie? Sie wusste nicht, wie es um ihn stand, nein, eigentlich wusste sie gar nichts über ihn. Vielleicht...vielleicht war sein Herz ja schon vergeben? Vielleicht würde er es nicht wollen, so von ihr, einer doch eigentlich Fremden berührt zu werden. Wieso auch? Wieso sollte er von ihr berührt werden wollen? Sie war Dreck, Abschaum, beschmutzt. Sicher war es nur Mitleid, was ihn zu ihr getrieben hatte, ja, das musste es sein. Anders konnte sich die Blonde nicht erklären, wieso er hier, bei ihr war.

Unter urplötzlicher Trauer, die sich in ihren blauen Augen wiederspiegelte, entzog sie ihre Finger Aido's Haut. Diese Nähe, die die beiden Blonden teilten, schmerzte Sarana ungemein.

Aido, dem die schöne Berührung der zierlichen Finger Sarana's fehlte, öffnete seine Augen und sah in das schmerzliche Gesicht der kleinen. Feine Tränen zierten ihre Augen, suchten sich den Weg über ihre rosigen Wangen. Trauer, Verletzlichkeit lagen in ihren Augen, hatten alles andere verdrängt. Stumm begann sie zu schluchzen, wendete ihren Blick von Aido ab.

„Wieso weinst du?", Aido's heisere Stimme drang in ihr Ohr, wollte ihre Sinne benebeln, doch entschlossen behielt sie die Kontrolle. Er hatte nur Mitleid, da war sich die Kleine sicher.

„Hey...du brauchst doch nicht-", begann Aido, unterbrach aber, als er bemerkte, dass sich die Blonde aufgesetzt hatte und aufstehen wollte.

„Sarana..."stieß er aus, verstand ihre Reaktion nicht. Er war überfordert, was hatte er falsch gemacht? Wieso mussten Frauen so unglaublich kompliziert sein? Obwohl, nein, wieso musste sie so unglaublich kompliziert sein? Die Mädchen der Dayclass waren es nicht, er konnte absehen, wie sie sich verhalten würden, sie waren so berechenbar...doch Sarana? Sie war das komplette Gegenteil! Er verstand nicht, wieso sie sich so verhielt, wie sie sich verhielt!

Sarana war bei Aido's Ruf abrupt stehen geblieben. Sarana, den Namen hatte er ihr gegeben, er, der sie doch nur bemitleidete. Es war nicht ihr Name, nein. Es war ein Produkt dieser absurden Situation, in der sie sich seit ihrer Rettung befand. Ein Produkt der Fantasiewelt, die hier für sie geschaffen wurde, einer Welt, die sie die Qualen der vergangenen Jahre vergessen lassen sollte. Sie hatte es durchschaut.

Schmerzerfüllt sah sie zu Aido herab, der sich mittlerweile aufgesetzt hatte. Aido erkannte ihren Schmerz, ihr Leiden, doch er verstand einfach nicht, wieso! Natürlich, ihr bisheriges Leben war eine einzige Qual gewesen, doch nun war sie hier, bei ihm! Und er wollte dies ändern, wollte sie auf Händen tragen, sie zum Lächeln bringen, irgendwann sogar Lachen hören!

Seine hellblauen Augen erkannten, dass sich die Blonde zum Drehen wendete. Er reagierte schnell, ehe er sich versah, war er aufgesprungen und hatte seine starken Arme und das kleine, traurige Geschöpf geschlungen.

Perplex stand sie da, spürte ihn überall, seine Wärme drang durch ihre Haut in ihren Körper, füllte sie aus. Sie sog die Luft ein, erkannte seinen Duft, sog ihn in sich auf, so betörend roch er! Vergessen waren die Zweifel, die Angst. Wie könnte er es nicht gut mit ihr meinen? Es gab so viele böse Menschen auf dieser Welt, doch er... er war nicht böse, nein! Er war für sie da, für sie...nur für sie.Die Kleine vergrub ihren Kopf an seiner Brust, schmiegte sich an ihn. Diese Berührung tat so gut, so neu war es. Noch nie wurde sie so liebevoll gehalten, wie in dieser Sekunde. So geborgen fühlte sie sich bei ihm.

„Alles ist okay", Aido wiederholte diese Worte wie ein Mantra, strich ihr behutsam über ihren Kopf, verfolgte die langen, blonden Haare „Alles ist okay, ich bin für dich da."

Sarana-Träne des LeidensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt