Kapitel 1

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Kapitel 1


„Why are we afraid of darkness?"


Schweißgebadet wache ich auf. Immer derselbe Traum. Jede verdammte Nacht. Wieso muss ich den schlimmsten tag meines Lebens immer wieder erleben? Ich fühle mich zu erschöpft um auf zu stehen. Dennoch möchte ich weg. Weg aus meinem Leben. Doch ich muss stark bleiben. Für meinen Vater. Er hat nur noch mich. Ich schaue auf die Uhr: 4.30. Stöhnend richte ich mich auf. An schlafen ist nicht mehr zu denken. Ich schlüpfe in ein paar Kuschelsocken und trete raus in den Flur. Bedacht darauf, meinen Vater nicht zu wecken, schleiche ich leise in die Küche. Nach dem Tod meiner Mutter waren wir umgezogen. Früher hatten wir an der Küste von Florida ein Haus. Meine Eltern hatten einen kleinen Surfershop betrieben, der ziemlich gut lief. Das war bevor mein Leben zu einem großen Chaos wurde. Und das nicht im guten Sinne. Nun lebe ich mit meinem Vater in einem kleinen Strandhaus in New Haven /Connecticut. Wenigstens ist mir das Meer erhalten geblieben. Mein Vater hat nun einen Bürojob. Und es tat ihm gut etwas komplett anderes zu machen. Außerdem hat er immer zu viel im Kopf um über Mom nachzudenken. Das hatte ich nicht. Seit wir vor 1 Monat hier hin kamen waren Ferien gewesen. Ich hatte den Kontakt zu meinen Freunden aus Florida abgebrochen. Lediglich mit meiner besten Freundin Dallas schrieb ich noch regelmäßig. Sie war die einzige die mich verstand. Sie war immer für mich da, egal was passiert ist und dafür liebe ich sie. Nachdem mich die Feuerwehrmänner gerettet hatten, lag ich mit einer Rauchvergiftung im Krankenhaus. Ich bekam Besuch von allen möglichen Leuten, die mir ihr Beileid wünschten und Blumen vorbei brachten. Doch ich wollte das alles nicht. Ich wollte mich einfach in mein Krankenhausbett verziehen und nie wieder hinaus kommen. Nach einer Woche Krankenhaus wurde ich wieder entlassen. Mein Vater hatte in dieser Zeit schon den kompletten Umzug geplant. Wir waren uns einig, dass wir nicht bleiben konnten. Nicht wegen unserem Haus, das nach dem Brand nur noch halb stand. Nein, wir brauchten einfach Abstand. Dallas verstand mich, auch wenn sie mich nur unter der Bedingung, dass wir jedem Tag schrieben, gehen ließ. Sonst hatte ich nicht viel zu verlieren.

Ein wenig planlos stehe ich in der Küche und starre an die Wand. Vielleicht hatte Dad ja Recht und ich sollte mal unter Leute gehen. Die einzige Bekanntschaft, die ich einem Monat Connecticut gemacht hatte, war die der Nachbarskatze, die aus irgendeinem Grund mehr Zeit in meinem Zimmer verbrachte als bei ihren Besitzern. Mir fällt auf, dass ich gar nicht weiß, wer unsere Nachbarn eigentlich sind. Ich habe eigentlich keine Lust, auf andere Menschen zu treffen, deren größte Probleme waren, was sie am nächsten Tag anziehen, oder wie sie den Urlaub nicht mit ihrer Familie verbringen müssen. Ich habe generell keine Lust auf Menschen und schon gar nicht darauf, ihnen zu erzählen wieso ich mitten im Schuljahr ungezogen bin. Das würde nur wieder diese mitleids-blicke auf mich ziehen und Aufmerksamkeit schaffen. Das letzte was ich wollte war Aufmerksamkeit. Ich hasste es schon immer, im Mittelpunkt zu stehen oder einfach nur gemustert zu werden. Das erklärte wahrscheinlich auch, warum ich Farben bei Kleidung und Makeup generell mied. Ich werfe einen Blick durch das Küchenfenster nach draußen. Es ist noch dunkel, aber die Sonne müsste in etwa einer  Stunde aufgehen. Das Meer ist ruhig und der Strand liegt unberührt da. Ich fühle mich heute Morgen irgendwie seltsam motiviert. Vielleicht sollte ich diesen Tag nicht mit Netflix und einer Packung Müsli im Bett verbringen, sondern mal nach draußen gehen. Zu dieser Zeit ist bestimmt noch niemand draußen also brauch ich auch keine Angst haben, jemandem zu begegnen. Fest entschlossen gehe ich ins Bad um erst mal eine heiße Dusche zu nehmen. Das Wasser entspannt meine Muskeln und meine Nervosität legt sich langsam. Vielleicht kling es seltsam, aber nachdem ich mich so lange Zeit in meinem Zimmer verschanzt hatte, war es wie ein kleiner Neuanfang, jetzt zum ersten Mal für einen Strandspaziergang vor die Tür zu treten.


Nach dem Duschen gehe ich mit einem Handtuch bekleidet in mein Zimmer. In der Früh ist es selbst im Sommer noch etwas kühler, deshalb entscheide ich mich für eine schwarze ripped Jeans, ein einfaches weißes Shirt und meine schwarzen Docs. Ich werfe mir noch einen grauen Cardigan über und betrachte mich im Spiegel. Meine langen, hellbraunen Haare fallen leicht gewellt über meine Schultern und mein Blick ist noch etwas verschlafen. Ich mochte meine Haare, sie gaben mir das Gefühl unsichtbar zu sein, wenn ich sie in mein Gesicht fallen ließ. Da ich den ganzen letzten Monat keine Schminke aufgetragen hatte, ließ ich es an diesem Morgen auch bleiben, mich wird sowieso niemand sehen. Ich überlege ob ich meine Kamera mitnehmen soll. Fotografieren war meine Leidenschaft, doch seit das alles passiert ist, habe ich den Sinn dahinter nicht mehr verstanden. Eigentlich hatte ich den Sinn in gar nichts mehr verstanden, geschweige denn ihn gesucht. Abermals fällt mein Blick auf die Kamera und meine Finger schließen sich wie von selbst um sie. Anscheinend ist heute wirklich Zeit für einen kleinen Neuanfang. Ich hinterlasse einen kleinen Zettel für meinen Dad mit der Aufschrift „bin gleich wieder da, mache nur einen kleinen Strandspaziergang -Thalia"  und verlasse mit der Kamera in der Hand mein Zimmer. Auf dem Weg nach draußen, werfe ich noch einen Blick auf die Küchenuhr, inzwischen ist es 6.00. Hatte ich wirklich so lange gebraucht um mich fertig zu machen?


Ich mache die große Tür auf und trete nach draußen. Die Luft ist schwül jedoch noch kühl, heute wird ein schöner Sommertag werden. Ich blicke auf das Meer, das direkt hinter  dem kleinen Stück Strand vor unserer Haustür beginnt. Die ersten Sonnenstrahlen kommen am Horizont zum Vorscheinen und ich freue mich, dass ich den Sonnenaufgang noch nicht verpasst hatte. Ich drehe mich um, um unser Haus zu betrachten. Es war nicht groß, aber es hatte eine gemütliche Atmosphäre. Die Außenverkleidung war aus dunklem Holz und vor dem Eingang befand sich eine Art Wintergarten, an dem sich Blumenranken hochwanden. Fast jedes Haus in dieser Straße war in diesem Stil gebaut, mit vielen Erkern und Dächern aus Dunkelroten Ziegeln. Es war aber keine dicht bewohnte Gegend. Laut meinem Vater befanden sich viele Strandhäuser der reichen in der Straße, aber auch Fischershäuser. Der Strand, der sich über die ganze Bucht zog, war zwar Öffentlich, wurde allerdings hauptsächlich von den Bewohnern besucht. Mein Vater hatte erzählt, dass die Häuser der reichen fast nie bewohnt waren, da die meisten der Besitzer ca. eine Stunde entfernt ihr eigenes Grundstück in der Stadt besaßen und die Häuser nur für ein paar Strandgänge im Sommer gedacht waren. Damit waren wir wieder bei den Problemen normaler Menschen, die sich den ganzen Tag nur um ihr Geld kümmerten.


Mit einem letzten Blick auf das Haus drehe ich mich um und laufe auf das Meer zu. Schon nach ein paar Schritten ziehe ich meine Docs aus und lasse den kalten Sand durch meine Zehen rieseln. Der Himmel leuchtet in den schönsten rottönen, die ich je gesehen hatte. Ich bleibe stehen und beobachte wie die Sonne sich immer weiter nach oben bewegt und die Farben von rot zu rosa und shließlich orange wechsel. Mein Blick fällt auf die Kamera in meinen Händen. Mit der Linse vor den Augen laufe ich am Strand herum.  Als ich den perfekten Platz für ein Foto gefunden habe, das den Sonnenaufgang und das langsam immer blauer werdende Meer einfängt, schieße ich ein paar Fotos und setze mich in den Sand. Erst jetzt merke ich wie sehr ich den Strand und vor allem das Meer vermisst hatte. Neben dem fotografieren hatte ich das free diving geliebt, ebenso wie das surfen und eigentlich alles was mit Wasser zu tun hat. Ich sehne mich so sehr danach, in das kühle Wasser zu springen und ein bisschen zu tauchen, das es mich selbst erschreckt. Vielleicht könnte ich.... Nein, das ist gar keine gute Idee. Ich laufe weiter im Sand herum und schieße ein paar fotos. Ich laufe in Richtung Wasser, male Linien in den feuchten Sand und lasse das Wasser meine Zehen umspülen. Wieder kommt mir der Gedanke jetzt zu schwimmen. Okay, es ist etwa 6.15 am und ich denke nicht, dass irgendwer zu dieser Uhrzeit schon an den Strand geht, vor allem weil es ein Samstag Morgen in den Ferien ist. Kurz entschlossen und doch mit einem etwas mulmigen Gefühl schlüpfe ich aus meinen Sachen, sodass ich nur noch mit Unterwäsche und dem weißen Shirt, das glücklicherweise meinen Hintern bedeckt dastehe. Ein paar Sekunden später springe ich ins Meer. Das Wasser ist kühl aber nicht kalt, es tut so gut endlich mal wieder die Wellen  und den weichen Sand unter meinen Füßen zu spüren. Das Wasser geht mir bis zur Brust und da es nun wieder fast vollständig hell ist, schimmert es türkis. Es hat die Augenfarbe meiner Mom. Ich sehe ihr Gesicht vor mir und muss schlucken. Ich habe braun-grüne Augen, wie mein Vater. Auch die Haarfarbe  habe ich von meinem Dad. Allerdings war ich sonst das Ebenbild meiner Mutter. Plötzlich tropft etwas auf die Wasseroberfläche. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich weine. Schnell verdränge ich das Bild meiner Mom und wische die Tränen weg. Nun tauche ich komplett unter Wasser. Ich öffne meine Augen und sehe die Unterwasserwelt in ihrer ganzen Schönheit. Durch das Morgenlicht schimmert alles und die Fische und Meerespflanzen haben die schönsten Farben, die man sich nur vorstellen kann. Das Meer hier war zwar nicht ganz so schön wie an meinen Lieblingsstellen in Florida, aber es reichte aus. Mit großen Zügen tauche ich ein Korallenriff entlang. Ich schließe die Augen, stelle mir vor, ich würde Eins mit dem Wasser werden. Es fühlt sich so an als würde ein Teil in meinem Herzen, der seit dem Tod meiner Mom leer war, anfangen zu heilen. Unter Wasser fühle ich mich stark, so als könnte niemand mir etwas antun. Die Wellen legen sich wie ein Schutzschild um mich und lassen mich alles um mich herum vergessen. Es zählt nur das hier und jetzt.


Jetzt endlich das erste längere Kapitel  :) Ich hoffe es gefällt euch !

WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt