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Aurelia

"Ach, so einer hübschen Dame muss man einfach Trinkgeld geben", sagte ein Mann um die 50 und klatschte eklig lächelnd einen zwanzig Euro Schein auf den Tisch. Er ließ seinen Blick langsam über meinen Körper gleiten und leckte sich über die Lippen. Plötzlich überkam mich das Gefühl, dass meine zwei Tassen Cappuccino, die mich gerade noch am Leben hielten, gleich wieder hochkommen würden.

Die meiste Zeit liebte ich es im Café Hope zu arbeiten. So kitschig wie der Name, war es auch im Inneren eingerichtet. Viele Pflanzen, Kerzen und gemütliche Sessel waren quer im Raum verteilt. Es machte mir Spaß die Leute zu bedienen und mich mit den verschiedensten Menschen zu unterhalten, denn das konnte ich gut. Reden und Kaffee trinken waren meine zwei Stärken.
Seit zwei Monaten arbeitete ich mehrmals die Woche hier, um meine kleine aber gemütliche Wohnung finanzieren zu können. Ich hatte alles genauestens geplant. Ich wollte so schnell wie möglich von Zuhause weg und neu anfangen. Jahre lang hatte ich das Ziel Jura zu studieren und in wenigen Tagen war es endlich soweit. Mein erstes Semester.

Dass ab und an eklige Kunden da waren konnte ich nicht vermeiden, aber ich machte das beste draus.
"Dankeschön", sagte ich, lächelte einmal kurz und stopfte hastig die zwanzig Euro ein und verschwand hinter den Tresen. Das letzte was ich jetzt wollte, war mich mit einem 50 jährigen ekligen Mann zu unterhalten.

Mein Blick schweifte zur Eingangstür, hinter der ein Gewitter tobte und Bäume ihre bunten Blätter im Wind verloren. Der Herbst, meine absolut liebste Jahreszeit, erinnerte an unbeschwerte Kindheitstage. Damals ging mein Vater es oft im Herbst mit mir spazieren und sein fröhliches Lachen begleitete mich, während ich vergeblich versuchte, die herabfallenden Blätter zu fangen. Ich war Grund für sein Lächeln, ein komischer Gedanke, denn heute erwidern mich nur noch seine eisigen Augen.

 
Ich verbannte diese Gedanken schnell, denn jetzt war meine wohlverdiente Pause angebrochen, und ich überlegte gerade mir einen dritten Cappuccino zu gönnen, als Talins Stimme mich aus meinen Gedanken riss.
Schade...

"Lia kannst du bitte Tisch 5 bedienen? Ich schaffe es gerade leider nicht", sagte sie entschuldigend, während sie gerade die Kaffeebohnen nachfüllte. Also doch kein Kaffee.
"Natürlich Tal", sagte ich und schaute lächelnd zu, wie sie erleichtert ausatmete. Heute war wirklich viel los.
Ich kannte sie zwar erst seit zwei Monaten, aber seit Tag 1 war sie an meiner Seite. Talin hat mir alle schönen Seiten der Stadt gezeigt ist mir in der kurzen Zeit schon sehr ans Herz gewachsen. Seit drei Jahren arbeitete sie in dem Café ihrer Eltern und brachte mir geduldig alles bei. Sie lachte, wenn ich mal wieder eine Tasse fallen ließ, denn meine Tollpatschigkeit schien sie eher zu amüsieren, als zu stören. Obwohl sie Architektur studierte, würden wir uns bald auf dem Campus sehen und hoffentlich zusammen unsere Pausen verbringen.

Glücklich über diesen Gedanken lief ich summend zu Tisch 5, wo ein völlig durchnässter Mann gerade Platz nahm. Er trug einen schwarzen Anzug, was mich schlucken ließ. Ich sah ihn nur von hinten, aber sein muskulöser Körperbau ließ mein Herz ein bisschen schneller schlagen. Nachdem er Platz genommen hatte, tippte er auf seinem Handy herum und schaute nicht hoch. Der braunhaarige Unbekannte strich sich über das nasse Haar und fuhr dann einmal kurz über den drei tage Bart. Verdammt, war der Typ attraktiv.

Bevor ich nach seiner Bestellung fragen konnte, ertönte schon seine tiefe Stimme.
"Nur ein Espresso bitte", sagte er und schaute nachdenklich auf sein Handy, als würde er jeden Moment einen wichtigen Anruf erwarten. Na immerhin hat er wahrgenommen, dass ich hier stehe.

"Wir haben gerade auch Schokokuchen-"

"Nur ein Espresso", unterbrach er mich mit Nachdruck und diesmal weniger freundlich.
"Alles klar Sonnenschein", platzte es genervt aus mir heraus.
Oh verdammt, das habe ich jetzt nicht laut gesagt. Er ließ sein Handy sinken und musterte mich mit einem Stirnrunzeln, was mich extrem nervös machte. Diese Augen. Diese verdammten Augen. Ein helles Braun, das so unglaublich kalt war. Habe ich den gerade wirklich Sonnenschein genannt? Ziemlich ironisch, wenn man bedenkt, dass der Typ alles außer Wärme ausstrahlt.

"Ihr Espresso ist bereits unterwegs", sagte ich schnell und strich mir eine braune Strähne hinters Ohr. Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte ich mich um und lief zur Kaffeemaschine. Der Weg zum Tresen kam mir plötzlich endlos lange vor, und die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, seinen Blick auf meinem Rücken zu spüren.

Schnell bereitete ich den Espresso zu und schnappte mir eine kleine Schokokugel, die ich dazu legte. Er schien schlechte Laune zu haben und gestresst zu sein, deshalb konnte ich es nicht lassen, die Schokolade beizulegen. Aus einer Schublade kramte ich einen kleinen Zettel heraus und schrieb:"Schokolade macht glücklich!"Ich kritzelte eine lächelnde Sonne in die Ecke, was so gar nicht zum Wetter draußen passte, aber vielleicht würde es ihn ein bisschen aufmuntern.
Wieder summend lief ich zum Tisch, stellte den Espresso samt Schokokugel und Zettel ab und verschwand so schnell, wie ich gekommen war.

Irgendwie traute ich mich nicht, zu Tisch 5 zu schauen, also bediente ich die Kunden weiterhin und wurde von Talin abgelöst. Gerade als ich meinen zweiten Versuch wagen wollte, in die Pause zu gehen, stand er plötzlich vor mir. Er war groß, und sein männlicher Geruch stieg mir in die Nase. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und schaute ihn an. Er war nah. Viel zu nah, aber ich konnte – oder wollte – keinen Schritt zurücktreten.

"Ich wollte zahlen", sagte er, ohne den Augenkontakt zu unterbrechen, und reichte mir einen Schein.
"Stimmt so", fügte er knapp hinzu, nickte ohne jegliche Emotion und verschwand aus dem Café. Ich blickte mich um und stellte fest, dass so gut wie jede Frau im Café den Fremden förmlich mit ihren Blicken auszog, aber verübeln konnte ich es ihnen nicht.

Noch völlig benebelt schaute ich den Schein an und fragte mich, warum er mir so viel Trinkgeld gab. Vielleicht hatte ihn die Schokolade ja wirklich glücklich gemacht.

Plötzlich stand Talin neben mir und starrte ebenfalls kopfschüttelnd dem Fremden hinterher.

"Schau mal, wer da ist", sagte sie trocken. "Rylan Wellington, mein Lieblingskunde."

"Rylan Wellington?"

"Ja, so ein reicher Schnösel. Ziemlich gutaussehend, aber mit einem Charakter so kalt wie Eis. Ein ziemliches Arschloch, wenn du's genau wissen willst", erklärte sie mit einem Hauch von Verachtung.

Rylan Wellington also.

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