Prolog

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„Und welche Hexe meinst du jetzt genau?", fragt Felix, der neue Aufseher, mit seiner frisch gewaschenen schwarzen Uniform. Während er den weißen, langen, schallenden, in sich reflektierenden Flur durchquert, lässt Felix sein Schrittorakel entscheiden, ob es eine gute oder schlechte Idee war sich hierauf einzulassen. Wer würde denn freiwillig in einem Komplex arbeiten, der vor der Außenwelt verborgen bleiben muss? Türrahmen-Metalldetektor im Empfang und totale Überwachung durch Kameras in jeder Ecke. Stets einsatzbereit sein, ums Überleben kämpfen und kein Urlaub haben. Was soll ich mit all dem Geld machen, wenn ich nicht länger als zwei Tage den Ort verlassen darf? Stop, ich bin auf den Job angewiesen! Felix taumelt gegen eine andere Person. Zu sehr in seinen Gedanken vertieft, geht er ohne Entschuldigung weiter. Ein tauber Mensch würde behaupten, dass dieser Morgen besonders laut wäre, mit allen ihren Aufsehern, die hektisch von einem bis zum anderem Ende laufen, aber es ist ruhig. Sowie ein blinder Mensch behaupten mag, es wären viele unterschiedliche Menschen auf dem Flur, wenn er sich nur auf den Schweiß, Zigarettengeruch und den gut riechenden Parfüms verlässt. Schließlich sind es aber gleich gekleidete autoritäre Personen mit denselben Intentionen und Zielen. „Sag mal, hörst du mir eigentlich zu, Grünschnabel?", fragt der Kaugummi kauende Blonde zurück. Seit zwanzig Minuten, sogar länger, kaut Anton darauf, obwohl sich der Pfefferminz Geschmack aufgelöst hat.
„Die Hexe von Cassandra und Jonathan, die sie vor acht Jahren hergebracht haben", sagt Anton, während er abrupt stehen bleibt und Felix eindringlich in die Augen schaut. „Die vermeintlich stärkste Hexe, die du heute ab sieben Uhr betreuen sollst. Den Letzten hat sie getötet", flüstert er und Felix betrachtet ihn mit ungläubigen Augen. Seit Jahren wurden keine Todesfälle berichtet, schon gar nicht Kinder, die töten. Wie konnte mir das entgehen? Macht eventuell Sinn, nichts dringt nach außen vor, was hier vor sich geht, denkt Felix, während er die Gerüche der Umgebung in seine Lunge einatmet und zu Husten anfängt. Anton schnattert „Du brauchst doch nicht vor Ungläubigkeit husten", und schlägt Felix auf den Rücken. „Keine Sorge, so wie ich dich bis jetzt einschätzen kann, wirst du keine Probleme mit ihr haben". Anton beruhigt sich wieder und beendet sein Lachen mit einem Grunzen, hebt seine Hand und sucht die Buchstaben an den Wänden, die die Bereiche des Komplexes kennzeichnen. Unzählige Schilder, unter anderem auch Kameras, hängen in allen Fluren an den Wänden, Decken und Türen: Schilder für Fluchtwege, Räume, Flure, WC, Feuerlöscher, Erste-Hilfe und vieles mehr, was der Sicherheit dient. An jeder Kreuzung findet man einen Rettungsplan, der sowohl als Karte fungiert, aber da Felix und Anton an keiner Kreuzung sind, müssen sie sich auf ihr Gedächtnis verlassen. Anton dreht sich wieder um „Hier lang, wir haben noch ein Stück vor uns bis wir bei Cari sind", und geht weiter, ohne zu bemerken, dass Felix im Besitz eines illegalen Gegenstandes ist.

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