Kapitel 1: Der Neue

21 0 0
                                    

Der kleine strahlend weiße Raum, in dem ich mich befand, roch nach den Kartoffeln, die ich gestern kurz vor dem Schlafen aß. Dieser Geruch, den ich immer noch in mir einsaugte und wieder in den stickigen Raum überlass, von dem mir plötzlich Übel wurde verschwand nicht. Hätte ich doch nur ein kleines Fenster oder eine Abzugshaube, um den Geruch loszuwerden. Das passierte anscheinend, wenn man vergaß die Zähne einen Abend zuvor zu putzen. Wenn ich einen Waschbecken im Zimmer hätte, würde ich sie mir putzen, aber ich musste nach dem Frühstück warten. Egal, was sie mir gleich zu Essen anbieten, ich werde alles essen, aber bloß keine Kartoffeln. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass es keine Kartoffeln zum Frühstück gab. Normalerweise waren es immer frisch belegte Brötchen, die immer einen merkwürdigen Nachgeschmack im Mund hinterließen, als ob es Aufschnitte waren, die nur so aussahen als ob sie Salamis oder Käse wären. Immerhin war ich auf diese Nahrung angewiesen, um zu überleben. Die Aufseher hier werden keine Sonderwürstchen wie mich bevorzugen und mir ein anderes Gericht erstellen, wenn ich mich weigern sollte das Essen zu essen. Ich schaute auf die Uhr, die über der schwarzen rostigen Metalltür hängt. Es war 06:55 Uhr. Noch fünf Minuten bis mein Aufseher erschien und mich in die Kantine begleitete. Ich stand auf eine ungewisse Zeit in der Mitte meines Zimmers, sodass meine Füße vom langen Stehen schmerzten. Der Wunsch mich auf meinem Bett links neben mir hinzusetzen war da, aber wäre ich dem nachgegangen, reichte nicht mal eine Minute aus, mein Bett erneut zu machen und mich aufrecht mittig im Raum zu stellen. Daher blieb ich weiterhin stehen und bevor ich die letzten Minuten dafür nutzte Platon's Höhlengleichnis weiterzulesen, überprüfte ich mein Zimmer ein letztes Mal auf Unregelmäßigkeiten. Das Bett war ordentlich. Mein Bücherregal am Fuße des Bettes war ebenfalls nach dem Alphabet sortiert, dessen drittes Brett von unten bis auf ein Buch vollständig war. Dieses fehlende Buch hielt ich bereits in der rechten Hand, darauf wartend gelesen zu werden. Die Bücher waren allesamt dick und schwer, sodass die abgenutzten dunkelbraunen Bretter sich bis zu den unten liegenden Büchern biegten. Diese Abhängigkeit war bewundernswert. Die Bücher brauchten das Regal, damit das Zimmer ordentlich erschien und das Regal brauchte die Bücher, um nicht durchzubrechen. Theoretisch könnte ich die Bücher der Anstalts-Bibliothek zurückgeben, aber ich hatte noch nicht alle zu Ende gelesen und die meisten waren meine Lieblingsbücher, die über verschiedene philosophischen Weltansichten diskutierten. Ich wusste nicht, dass der Mensch frei handeln konnte. Wenn es nach mir ginge, würde ich das ständige Aufräumen mal ab und zu unterlassen, aber die Regeln hier untersagten mir dies, weil es mich davon abhielt meine Eltern besuchen zu dürfen. Es war ein besonderes Privileg eines jeden ersten Sonntag im Monat seine Eltern besuchen zu dürfen, das mich anspornte einhunderteins Prozent zu geben, aber es war bis jetzt nie genug. Meine Eltern hatten bis jetzt zwei Stunden vorher eine Ausrede parat, weswegen sie keine Zeit für mich hätten. Es wäre die Arbeit, die sie sehr belasten: Spontane Meetings, Geschäftsreisen und mangelnde Zufriedenheit, wie ich mich verhielt. Des Öfteren hatte ich das Gefühl, dass sie mich gar nicht haben wollten und mich meinem Schicksal, alleine klarzukommen, überließen. Daher laß ich sehr viele fiktionale Geschichten, um mich nicht alleine zu fühlen oder verrückt zu werden. Was meine Eltern jetzt wohl machten?
Ich schaute zur gegenüberliegenden Wand, an dem sich mein fast sterbender und knarrender Schreibtisch befand und den Holzstuhl mit großer Anstrengung trug. Aus diesem Grund saß ich ungerne am Tisch, um meine Tagebücher zu führen, aus Angst, dass es zusammenfiel. So bekam ich ebenfalls einen Einblick unter dem Tisch. Nichts außer Schimmel an der rauen kalten Wand. Niemand würde sich darum kümmern und niemand wusste, ob sich der Schimmel bis unter den weißen, schwarz-gepunkteten Gummi-Boden fortbewegte, der die ganze Anstalt durchzog. Je länger ich den Schimmel-Fleck begutachtete, kam es mir für einen Moment so vor, als hätte die Mischung von schwarz und lila pulsiert und sich mir genährt. Ich rieb meine Augen und schaute erneut. Es war eine Einbildung. Wahrscheinlich lag es am kalten flackernden Licht an der Decke, dessen Röhrenlampe allmählich aus der Fassung geriet.
Erneut schaute ich auf die Uhr und mir blieben drei Minuten. In drei Minuten könnte ich die Paideia zu Ende lesen.
Um genau Punkt sieben Uhr klopfte es an der Tür, was mich aus dem Schlaf entriss. Der Aufseher, Anton, hatte einen neuen Aufseher im Schlepptau, aber bevor er mir ihn vorstellte, schrie er mich an „Heb das Buch sofort auf, Cari! Das werde ich deinen Eltern erzählen, dass du den heiligen Boden nicht respektierst. Es lief so gut mit dir und du hättest in zwei Wochen bei deinen Eltern sein können!", er atmete tief ein, wollte etwas sagen, ließ es aber doch sein. Ich bückte mich, hebte das Buch auf. „Guten Morgen, es tut mir wirklich sehr leid, ich wollte-", fing ich an, aber Anton unterbrach mich „Erspar dir deine Ausrede, ich habe einen neuen Aufseher für dich". Er nickte zu den Neuen und dieser fing an sich mit Felix vorzustellen „Nenn mich Herr Angus, Cari". Er sah sehr nett aus, aber ich sollte mich nicht davon beeinflussen lassen. Warum bekam ich denn einen neuen Aufseher? Carlo war mein Lieblings-Aufseher! Wo war er? So sehr in Gedanken vertieft, hatte ich gar nicht mitbekommen, dass Anton gegangen war und mir Herr Angus eine verpackte Box entgegenhielt. „Wie du siehst, habe ich was für dich Cari. Eine Art Willkommensgeschenk von mir als Zeichen des Vertrauens. Willst du es haben?"

Entscheidungsfrage: Soll Cari das Geschenk annehmen oder nicht?

RI-TurnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt