1. Lückenhaft

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SkarAiwara

„Sam Holdorf.", tönt die monoton genervte Männerstimme, kratzig aus dem Lautsprecher, weshalb ich mein Notizbuch weglege und zu dem Schalter auf dem Flur gehe. Der Mann wartet bis ich angekommen bin bevor er anfängt zu sprechen. „Wissen Sie wieso sie gerufen wurden?" Kurz überlege ich, doch es fällt mir nicht ein also zucke ich bloß mit den Schultern. „Ihr Mittagsblick hat vor einer Viertelstunde angefangen." tadelnd sieht er mich an. „Tut mir leid ich hab's vergessen." stammle ich Schuldbewusst.

„Ihr Bezugspfleger, ist so freundlich und würde den Mittagsblick jetzt noch mit Ihnen durchführen.", fährt der mir unbekannte Pfleger fort. Obwohl wahrscheinlich ist er gar nicht fremd sondern ich hab einfach nur vergessen wer er ist und das ich ihn kenne. Das passiert mir öfters.
Scheinbar auf eine Antwort meinerseits wartend, durchbohren mich seine Laubbraunen Augen. „Ähm ja klar, einen Moment ich komme."Schnell drehe ich mich um und hole das in schwarzes Leder gebundene Buch, bevor ich wieder an den Schalter trete.

Dort, vor dem Schalter, steht jetzt auch mein Bezugspfleger, ich glaube er heißt Heiko. Bin mir aber nicht ganz sicher. „Also wollen wir?", fragt er mich. zaghaft nicke ich und folge ihm in den kleinen Raum mit nichts weiter als einem Tisch und zwei Stühlen, sowie einer Lampe sollte mal nicht genug Licht durch das große Fenster kommen. „Also beginnen wir mit dem Mittagsblick.", beginnt er freundlich lächelnd und blickt mich aufmunternd an. „An was von heute erinnerst du dich noch?" Pfleger Heiko sieht erwartungsvoll zu mir rüber während ich überlege.

Schon seit einiger Zeit habe ich Gedächtnisprobleme, die immer schlimmer werden. Mir fehlen teilweise ganze Stunden bis hin zu einem ganzen Tag an Erinnerungen. Selbst an guten Tagen weiß ich Abends grade mal so 1/3 des Tages. Das ist auch der Grund warum ich in einem Krankenhaus bin das auf Gedächtnisschwund spezialisiert ist. Gemeinsam mit den Ärzten und der Pflege beobachte ich den Verlauf und finde hoffentlich die Ursache dafür raus.

Seit ich hier bin mache ich mir Notizen, was ich wann mache, sofern ich es nicht vergesse. Aber beim Mittags- und Abendblick soll ich versuchen soviel vom Tag wie möglich zu erzählen ohne die Notizen zu verwenden. „Heute habe ich gefrühstückt. Das weiß ich noch." Pfleger Heiko hat meine Notizen an sich genommen um zu kontrollieren ob ich mich richtig Erinnere. „Ich glaube ein Käsebrot und einen Apfel. Getrunken habe ich einen Tee da bin ich mir sicher, ich glaube es war Kamillentee. Nein, es war Pfefferminztee.", beginne ich meine Erzählung, „dann war ich spazieren. Ich bin zum See gegangen und dort auf den Baum geklettert. Weil man von dort oben so viel sieht. Fast den ganzen See und den halben Klinikpark." Bestätigend nickt mein Bezugspfleger. „Und dann was hast du dann gemacht?", hakt er nach. „Ich hatte Therapie. Aber ich weiß nicht mehr welche."

Ich liege im Bett und starre die Decke an. Schon wieder fehlt, fast der ganze Tag. Verzweiflung überkommt mich und ich drohe mich in meinem Selbsthass zu verlieren. Entschlossen stehe ich von dem unbequemen Bett auf, ziehe mir Jacke und Schuhe an und laufe in Richtung Schalter. Die Nachtschwester, eine kleine mollige Frau mit braunen Haaren und einem herzlichen Lächeln fragt mich was los ist. Ich erzähle ihr das ich unzufrieden mit mir selbst bin und frage ob ich mal kurz in das Atrium darf um einen klaren Kopf zu kriegen. Verständnisvoll lächelt sie: „Aber natürlich, Herr Holdorf"  im Atrium setze ich mich auf die kleine Bank neben dem Teich mit den Kois.

„...und deshalb sind wir der Meinung dass eine betreute Wohngruppe das beste für Sie wäre.", schließt der Oberarzt, Dr Jacobsen denke ich, seinen Satz. Langsam schüttele ich meinen Kopf. Ich kann es nicht fassen. Keiner weiß was es mit dem Gedächtnisverlust auf sich hat und jetzt soll ich in eine Wohngruppe. Ich soll nicht mehr alleine wohnen. „Herr Holdorf, ich kann verstehen dass das schwer zu akzeptieren für Sie ist. Aber es muss ja auch nicht auf Dauer sein." Nein, es muss gar nicht sein. Fluchtartig verlasse ich den Raum.

Ich renne durch irgendein Feld, volle Kanne durch den Matsch. Der Schlamm spritzt bis in mein Gesicht, doch das ist mir egal, ich will einfach nur weg. Aber wovor fliehe ich überhaupt? Egal, ich muss weiter rennen. In meinen Augenwinkeln sehe ich Blaulicht und instinktiv renne ich noch schneller als davor.

Ich lehne den mit Schlamm beschmierten Kopf gegen das Fenster. Die Handschellen in meinem Rücken tuen mir weh aber wehren kann ich mich dagegen auch nicht. Langsam hält der Wagen vor einem großen weißem Gebäude. Plötzlich geht die Tür auf und ein Polizist zieht mich grob aus dem Auto, bevor er mich nicht weniger unsanft in das Gebäude führt.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 22, 2022 ⏰

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