Es war eine regennasse Winternacht, in der Wolken die Sterne bedeckten und Einsamkeit in die Letzten Nester kroch, Schneestürme hatten gewütet und vernichtet, was geblieben war, und bitterer Frost fegte über das Land in der Nacht, in der aus Glutpfote unser Anführer wurde.
Eiseskälte kroch durch den Boden in seine Pfoten, durchströmte ihn mit Dunkelheit und ließ den Kater in seinem tiefsten Inneren erzittern. Wie ein gewaltiger Schlund öffnete sich die Höhle vor ihm, bereut, alles zu verschlingen, das es wagte, sich ihr zu nähern. Verdorrte Zweige streckten ihre dürren Finger daraus hervor, von der Decke ragten Eiszapfen hinab wie gierige Zähne. Es lag keine Schönheit in dem Eis, keine Klarheit, wie er es aus den früheren Wintern seiner Heimat gewohnt war. Nur Dunkelheit. Dunkelheit und Finsternis und Schlamm. Im matten, halb verschwundenen Mondlicht bleckte der Abgrund seine Zähne.
Furchtsam schritt Glutpfote voran. Zu lange hatte er auf diesen Moment gewartet, zu weit war er gegangen, um jetzt noch umdrehen zu können – ein Zurück gab es nicht mehr, nur ein Voran, ein Hinein, hinein in den Abgrund vor ihm.
Sternenhöhle. Ihren Namen hatte sie nicht verdient, und doch hatte er keinen Zweifel daran, hier richtig zu sein. Seine Pfoten kannten den Weg. Bis hierher hatten sie ihn geführt, und über Feld, Stein, durch Wald und Wiese, Flüsse und Dörfer war er ihnen gefolgt, ohne danach zu fragen – ohne zu zögern, ohne zu zaudern, ohne zu warten. Den ganzen Weg, von den Feldern zum See über die Berge bis hierher hatten unsere Pfoten die seinen geführt, und den ganzen Weg, von den Feldern zum See über die Berge bis hierher war er ihnen gefolgt, ohne innezuhalten.
Bis hierher. Und nun blieb er stehen und starrte in das Dunkel hinein.
Das Dunkel starrte zurück.
Dann schoss es ihm entgegen – Glutpfote warf sich zu Boden, spürte noch den scharfen Luftzug des Wesens, ehe er sich in Sicherheit bringen konnte, einen Sprung beiseite, in die Schatten. In der Ferne krächzte es und verschwand im Nichts.
Eine Sekunde später war die Luft erfüllt von ihnen. Fledermäuse. Hunderte, vielleicht gar tausende von ihnen schossen aus dem Schlund, der sie in einem gewaltigen, schier unendlichen Strom in die Nacht hinausspuckte. Mit hellen Schreien flatterten sie an ihm vorbei, glitten in den Himmel und so plötzlich, wie sie gekommen waren, waren sie auch wieder verschwunden, hinterließen eine sonderbare Stille, erwartungsvoll, lauernd, angriffslustig, während der gewaltige Schwarm in der Luft schwebte, scheinbar schwerelos.
Die Jagd begann.
Die ersten Adler kreisten bereits über den Kronen – schossen herab, sobald sie die ersten schwarzen Vögel sahen. Doch der Schwarm wich ihnen aus; teilte sich wie eine dicke schwarze Masse entzwei und ließ den Adler in der Dunkelheit allein zurück. Wieder und wieder versuchten sie es – doch immer teilte sich der Schwarm, und ihre Angriffe führten ins Leere.
Bis sich ein einzelner Schatten aus dem Dunkel schälte – eine einzelne Fledermaus, vom Rest des Schwarms getrennt. Blitzschnell wich sie dem ersten aus, geschickt dem zweiten und mit einer flinken Kehrtwende auf dem Weg zurück dem dritten; direkt in die Fänge des letzten hinein. Ihr Schrei hallte noch kurz durch die Nacht, dann verstummte der Wald, und der Schwarm war fort und mit ihm die Jäger.
Schaudernd hatte Glutpfote dem Schauspiel zugesehen, auf den Boden gekauert, zwischen die Schatten des Farns gedrückt. Erst, als er sich der Stille sicher war, erhob er sich, langsam, und schritt voran, unseren Schatten nach.
Der schwarze Schnee reichte einige Schritte in die Höhle, danach folgte glatter grauer Stein, danach raue Gänge, deren Wände mit Eis bedeckt waren, demselben matschig-schwarzen Eis, das bereits den Eingang umsäumte. Seine Schritte hallten in den Gängen wieder, und sie waren ihm wie Gefährten – wie eine letzte Erinnerung an eine Welt jenseits der endlosen Nacht. Mit Bedacht wählte er jeden Schritt, jede Bewegung so leise wie möglich, doch laut genug, noch von ihm selbst gehört zu werden. Um nicht allein zu sein mit dem lautlosen Echo der Angst.
Und wieder wiesen ihm seine Pfoten den Weg – als wäre er ihn schon einmal gegangen, in einem anderen Leben, einer anderen Zeit, einer anderen Welt.
Bis der Weg endete. Die Gänge hatten sich zu einer Höhle geweitet, das Eis war geschwunden und legte die schwarzglänzenden Wände frei, und ganz oben, viele Längen über ihm, war selbst die Decke verschwunden, und durch ein kleines Loch strömte kaltes, aber klares Mondlicht, erleuchtete die Halle, ließ die winzigen Kristalle in den Wänden glitzern und erstrahlen wie den Frühlingstau einer Morgenwiese. In ungezählten Farben glänzten sie und glitzerten wie tausend Sterne.
Glutpfote schritt voran. Zögernder denn je – und kam langsam, fröstelnd vor Kälte und Wind, in der Mitte der Halle zum Stehen.
Seit Weizenflugs Tod hatte er nicht mehr innegehalten als nötig, seit sie am Abend des Weißen Sturms einfach aufgehört hatte zu atmen – sie waren die letzten gewesen, doch das hatte Glutpfote damals noch nicht gewusst, er hatte nicht gewusst, dass Falkenfells Patrouille nicht mehr zurückkehren würde, dass Aschenpfote verschüttet, Regenfeder im eiskalten Wasser ertrunken und Falkenfell selbst erfroren war. Als Weizenflug starb, brach er auf – tagelang suchte er nach ihnen, bis er sie fand, einen nach dem anderen. Und seitdem hatte er nicht mehr innegehalten.
Sein Clan war gestorben. Bis auf ihn – bis auf eine einzige Katze.
Der Letzte, der diesen furchtbaren Winter überstanden hatte, der Letzte, der jenen Sonnenaufgang sah, der Letzte von ihnen, der noch unter den Sternen wandelte und nicht zwischen ihnen. Das war er. Glutpfote.
Die Geschichten hatte er gehört, vom Mondstein und seiner Höhle, in den Zeiten des Sommers erzählte man sie sich, Lieder von Helden und die Sagen ihrer Taten.
Der letzte Ort, an dem ein Krieger Zuflucht fand. Der letzte Ort, an den er gehen konnte. Ein Sterbender Krieger hatte ihn geschaffen, sein lichtloser Körper lag inmitten der Schwärze, friedlich fast, umgeben von Schatten, und warf Sprenkel des Mondlichts in alle Richtungen.
Und als Sterbender Schüler kniete er nieder.
Schloss die Augen.
Ergab sich uns.
Und wurde zum Stern.
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Geschichten aus einer anderen Welt
FantasyKurzgeschichten über Katzen. Darüber hinaus haben sie keine Gemeinsamkeiten.