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Aoi
Und die Kunst des Glücklichseins.



Kapitel 1
Schon wieder.

Unruhig biss ich mir auf die Unterlippe, um nicht nervös auf dem Stuhl hin und her zu rutschen.
Konnte Ruki nicht langsam mit seiner Rede fertig werden? Ich wollte hier raus. Luft schnappen, eine rauchen, meine Ruhe haben und Wunden lecken - irgendetwas davon oder am besten alles auf einmal. Aber vor allem Ruhe haben und Abstand gewinnen. Ja, besonders das. Diese intensiven Blicke durchbohrten mich regelrecht. Mein verräterisches Herz schlug viel zu schnell. Ich wurde hier noch irre.
Heute war definitiv nicht mein Tag, dabei hätte es so einfach sein können. Ein ganz normales Meeting nach zwei Wochen Pause, das Finale der letzten Tour lag einen halben Monat zurück. Zeit für neue Pläne, Ablenkung. Also alles wie immer.
Theoretisch.

Nun rutschte ich doch auf meinem Stuhl herum, versuchte eine bequemere Position zu finden und gleichzeitig für meine Verhältnisse wenig elegant die Beine übereinander zu schlagen. Wirklich nicht mein Tag, aber das war schon beim Aufwachen klar gewesen.
Um etwas zur Ruhe zu kommen, griff ich nach meinem Wasserglas und trank einen großen Schluck daraus, während ich mich zwang, endlich Rukis Ausführungen zu folgen. Kai hatte sich vorhin wenigstens kurz gehalten und die restliche Planung auf die nächsten Treffen verschoben. Nur Ruki hatte anscheinend während unseres kurzen Urlaubs wieder eine besonders kreative Phase gehabt und wollte jetzt alles auf einmal und so schnell wie möglich erledigen. Er gönnte sich nie eine Pause. Das Ende vom Lied war: Er hatte Unmengen an Ideen für neue Bandshirtdesigns und konnte sich für keins von ihnen entscheiden. Wenigstens hatten wir in der vergangenen halben Stunde die hundert Entwürfe auf drei reduziert. Den Rest würde er ja wohl alleine schaffen, wie sonst auch. Mir war es gleich, ob die Schrift auf den Shirts auf die linke oder rechte Seite gedruckt wurde. Sah beides nett aus und die Fanclub-Mitglieder freuten sich immer über neues Merch.
„Was spricht denn gegen mehrere Designs?", warf ich schließlich ein. „Gekauft wird es so oder so."
Einen Moment lang herrschte Stille, alle Augenpaare lagen verwundert auf mir. Anscheinend hatte keiner von ihnen damit gerechnet, dass ich überhaupt zuhörte, da ich heute noch nichts Konstruktives von mir gegeben hatte. Ich unterdrückte den Drang, die Schultern hochzuziehen und den Blick unangenehm berührt abzuwenden. Stattdessen sah ich möglichst gelassen und abwartend zu unserem Sänger, hinter dessen Stirn es sichtbar angefangen hatte zu arbeiten. Plötzlich erhellte sich sein Gesicht.
„Stimmt, du hast recht. Dann haben wir eben dieses Mal drei verschiedene Designs statt zwei." Er griff schnell nach Block und Stift und machte sich einige Notizen. „Und am besten, wir bringen gleich eine Frauen- und Männerversion der Shirts raus. Hatten wir in der Art schon lange nicht mehr. Super Idee, Uruha. Dass ich nicht selbst drauf gekommen bin." Begeistert lächelte er mich an, ehe er sich wieder seinen Notizen widmete. „Fehlen nur noch die Farben."
War das sein Ernst? Er entschied doch sonst alles auf eigene Faust, was in diese Richtung ging, selbst wenn es mal ein paar Tage länger dauerte, und stellte uns dann vor vollendete Tatsachen. Das hatte immer gut funktioniert. Warum musste er sich ausgerechnet heute an die semi-demokratischen Anwandlungen der Band erinnern?
Hilfesuchend blickte ich zu den anderen. Ich wollte doch nur, dass das Meeting endlich zu Ende war, ich hier raus- und zu meiner Zigarette kam - oder wahlweise nach Hause auf mein Sofa, wo ich den dumpfen Druck in meinem Kopf bekämpfen und endlich wieder klarkommen konnte. Doch meine übrigen Kollegen wirkten nicht so, als würden sie mein Leid teilen.
Kai schien sich über die Situation köstlich zu amüsieren. Er versteckte sein Lachen erfolgreich hinter der Hand, während er hinter Ruki stand und über dessen Schulter hinweg, auf die Notizen linste. Ich fing Reitas Blick auf, der breit grinste und mir mit einem kleinen Nicken zu verstehen gab, dass wenigstens er meinen Gedanken teilte, den ersten Tag nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Verdammt, warum sah er so frisch aus, während ich das Gefühl hatte, dass mir die Liste der alkoholischen Getränke von gestern immer noch auf der Stirn stand? Unfair war das. Ich war einfach nur noch bereit für mein Sofa.

Resigniert seufzend lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück. Blieb nur zu hoffen, dass Ruki zeitnah Erbarmen mit uns hatte. Ich war im Moment einfach wehleidig und nicht aufnahmefähig.
Unbewusst wanderte mein Blick weiter, zu demjenigen, der teilweise schuld an meiner Verfassung war. Insgeheim hatte ich gehofft, dass seine Aufmerksamkeit mittlerweile auf den anderen lag, doch nein. Entspannt saß er neben Ruki auf dem Sofa, aber statt dessen Ausführungen zu folgen, musterten mich seine dunklen Augen intensiv. Ein leises Lächeln umspielte seine Mundwinkel, rief Erinnerungen in mir hoch, die ich nicht haben wollte. Und nicht gebrauchen konnte. Besonders nicht jetzt.
Mir wurde warm.

Wieso musste alles plötzlich wieder so kompliziert sein?

AoiWhere stories live. Discover now