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Kapitel 3

Vermissen


„Hallo, ich wollte euch Ayako vorstellen."
Sie lächelte bezaubernd in die Runde und ich lächelte mit ihr. Ihr langes, schwarzes Haar fiel ihr glatt auf den Rücken und in ihrem hellen Kleid wirkte sie geradezu elfenhaft. Ich konnte nicht anders als zu lächeln, als mich ihr Blick traf und ich ihr wohlwollend zunickte, während Kai ganz Leader-like auf sie zutrat, um sie zu begrüßen. Auch die anderen erhoben sich.
Reita trat neben mich und beugte sich zu mir: „Hübsch ist sie ja, das muss ich dir lassen."
Der Blick, den er mir dabei zuwarf, sagte noch etwas anderes.
Wie lange hält es diesmal?
Am liebsten hätte ich ihn in den Magen geboxt. Ja, in den letzten Monaten hatte ich einige Dates gehabt und auch mal mit in den Proberaum gebracht, doch diesmal war ich mir sicher, dass sie die Richtige war.
Ich spürte Aois stechenden Blick auf mir ruhen. Nur kurz streifte ich ihn, als er auf sie zutrat und sie mit einer knappen Verbeugung begrüßte.
Mein Lächeln hielt sich.
Mit Ayako würde es funktionieren.
Bestimmt.

*

Ein dumpfes Geräusch holte mich aus dem Tiefschlaf. Verwirrt versuchte ich mich zu orientieren, doch ich konnte mich nicht rühren. Mein Körper fühlte sich bleischwer an, alles schmerzte. Die Lider ließen sich nicht heben.
Unbeweglich lag ich da, bekam nur am Rande mit, wie die Schlafzimmertür geöffnet wurde. Ich hörte leise Schritte, die vor meinem Bett stehen blieben, ein Gewicht, das sich auf der Bettkante niederließ und die Matratze leicht in Bewegung versetzte.
Ich war so unglaublich müde.
Gleichzeitig war mir warm, fast schon heiß.
Es fühlte sich alles so surreal an, als wäre ich überhaupt nicht hier. Wie in Watte gepackt.
Eine kühle Hand legte sich auf meine Stirn und strich mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Wer war das?
Die Hand wanderte über meine Wange weiter zu meinem Nacken. Dieser Kontrast zwischen der Kühle und meiner erhitzten Haut entlockte mir ein wohliges Seufzen. So angenehm.
„Mann, Uruha, was machst du nur? Warum redest du nicht mit mir?"
Diese sanfte Stimme, nach der ich mich so sehr sehnte und sie doch fürchtete.
Aoi.
Es wurde still um mich herum.

*

Das nächste Mal, als ich erwachte, hing ein angenehm würziger Geruch in der Luft und kitzelte meine Nase. Für einen kurzen Moment war ich versucht, alles zu ignorieren und mich einfach wieder umzudrehen, um weiterschlafen, doch es half nichts. Meine Kehle war ausgedörrt, mein Körper schrie nach Wasser.
Schwankend kroch ich aus dem Bett, immer in Erwartung, dass augenblicklich die hämmernden Kopfschmerzen zurückkehrten. Doch es blieb nur ein schwacher Nachhall von dem, was mich in den letzten Tagen so konstant begleitet hatte. Mit einer Hand bereits an der Türklinke blieb ich ruckartig stehen, als ein Klacken aus meinem Wohnzimmer erklang. Jemand war in meiner Wohnung.
Mein Herz machte schlagartig einen Satz und jagte meinen Puls nach oben. Augenblicklich war ich vollständig wach. Also hatte ich nicht geträumt.
Aoi... War er wirklich hier?
Vorsichtig öffnete ich die Tür einen Spalt breit, das angrenzende Wohnzimmer wirkte verwaist. Ich war nervös. Wenn er wirklich hier war, wie sollte ich reagieren, nachdem ich bisher versucht hatte, ihm aus dem Weg zu gehen?
Auf leisen Sohlen schlich ich in die Küche, immer mit der Angst im Nacken, im nächsten Moment Aoi gegenüber zu stehen.
Doch da war niemand. Auf dem Herd köchelte zischend etwas in einem Topf, das ich bei genauerer Betrachtung als Hühnersuppe identifizierte. Ein kleines Lächeln hob meine Mundwinkel, während ich mir ein Glas Wasser einschenkte und in einem Zug leer trank. Die Quittung dafür erhielt ich sofort, als mein Körper auf die plötzliche Flüssigkeitszufuhr mit Schwindel reagierte, sodass ich mich an der Anrichte festhalten musste. Mein Hals brannte. Dennoch zwängte ich mir ein weiteres Glas hinein und schließlich sogar noch ein drittes. Mir wurde kurzzeitig schlecht.
Erst nach einigen tiefen Atemzügen traute ich mich, den sicheren Halt wieder loszulassen und mich auf wackligen Beinen Richtung Wohnzimmer zu begeben. Zwar war das Fieber gesunken, schwach fühlte ich mich nach wie vor.

Eine hauchzarte Brise streifte meine bloßen Arme und brachte den Geruch von schwüler Luft und einem Hauch von Zigarette mit sich. Verwundert sah ich auf. Die Balkontür stand offen. Und dahinter, geradezu entspannt an der Brüstung lehnend, Aoi. Die halblangen, schwarzen Haare wehten im Wind, sein Gesicht zeigte keine Regung, während er mir schweigend entgegensah. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren.
Er war wirklich hier.
Erst jetzt wurde ich mir meines Aufzuges bewusst und erneute Unsicherheit überfiel mich. Ich musste furchtbar aussehen, nachdem ich die letzten Tage fiebernd im Bett verbracht hatte. Fahrig strich ich mir durch die Haare, die sich zwischen meinen Fingern wie Schafwolle anfühlten. Als würde das irgendetwas besser machen. Am liebsten hätte ich mich zurück ins Bett verkrochen, doch Aois dunkle Augen hielten mich fest. Er machte mich nervös, ließ mich flacher atmen.
Ich musste irgendetwas sagen.
„Was machst du hier?"
Rau war gar kein Ausdruck. Unauffällig räusperte ich mich, während Aoi gelassen seine Zigarette ausdrückte. Ich konnte meine Augen nicht von ihm lösen, beobachtete, wie er geschmeidig die Tür hinter sich zudrückte und saugte jede noch so kleine Bewegung in mich auf, ehe er nur wenige Schritte vor mir stehen blieb. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Erneut wurde mir flau im Magen, sodass ich unbewusst die Unterlippe zwischen die Zähne zog, um wenigstens etwas ruhiger zu werden.
„Ich habe den Schlüssel von Reita bekommen." Mehr sagte er nicht. Statt zu erklären, warum er hier in meinem Wohnzimmer stand, Suppe für mich kochte, nachdem ich ihm in letzter Zeit kein sonderlich guter Freund gewesen war, ihn geradezu ignoriert hatte, sah er mich nur mit diesem undeutbaren Blick an, der meine Knie in Wackelpudding verwandelte.
Ich fühlte mich nicht nur schwach, ich war es auch.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der er keinerlei Anstalten machte, irgendetwas zu sagen oder mich in irgendeiner Art und Weise zu berühren, sondern in der er mich einfach nur ansah, glitten seine dunklen Augen weiter, an mir vorbei, zu irgendeinem Punkt in meinem Rücken. Kurz war ich verwirrt, dann schoss es mir siedend heiß durch den Kopf.
Die Bilder.
Ich schluckte schwer, als mir bewusst wurde, wie intensiv er die Fotowand betrachtete, an der immer noch große Löcher klafften, die davon zeugten, dass sich mein Leben in den letzten Wochen zum wiederholten Male verändert hatte.
Shit.
Und ich hatte ihm immer noch nichts von der Trennung gesagt. Wenn ich ehrlich war, hatte ich es nicht mehr für wichtig genug befunden. Mein Hirn war zu sehr mit anderen Dingen - Personen - beschäftigt gewesen.
„Aoi, ich -"
Ein zielgerichteter Blick aus leicht verengten Augen unterbrach meinen Versuch einer Erklärung. Nicht die Spur eines Lächelns war auf seinem Gesicht zu entdecken.
War er sauer?
„Uruha, geh wieder ins Bett und schlaf dich aus. Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen. Wir reden später."
Vielleicht war es sein Tonfall, vielleicht die daraufhin in mir aufsteigende,schmerzliche Enttäuschung oder vielleicht doch seine Hand, die, ganz im Gegensatz zu seinem Auftreten, überraschend sanft durch meine Haare fuhr, nur um sich gleich darauf auf meine Schulter zu legen und mich bestimmt Richtung Schlafzimmer zu dirigieren - ich spürte nur schmerzliche Erschöpfung in mir. Und dieses unangenehm, brennende Ziehen in meiner Brust.

AoiWhere stories live. Discover now