Am nächsten Morgen wurde Cyana von ihrem Wecker geweckt. Es war Samstag, sieben Uhr morgens und eigentlich viel zu früh zum aufstehen, jedoch würde bald jemand vom Jugendamt kommen und sie abholen.
So weit sie wusste, wohnte ihre neue Pflegefamilie in der Nähe von München und nahm regelmäßig Pflegekinder auf, sie würden also mit ihr zurechtkommen. Die Mutter hatte Psychologie studiert und war Therapeutin, ihr Mann arbeitete seit einigen Jahren in einem Kinderheim, so hatte es jedenfalls eine Frau vom Jugendamt erzählt. Sie hießen Engel mit Nachnamen. Sollte das Ironie sein und würde sie sich vielleicht sogar gut mit ihnen verstehen?
Nach einem letzten Blick auf die Uhr ihres Weckers seufzte sie und rollte sich aus dem Bett. Sie konnte es wirklich nicht gebrauchen, dass ihre Noch- Pflegemutter sie am letzten Tag zur Beeilung drängte. Es tat verdammt weh, so weggeschickt zu werden und es gab Uhr das Gefühl, von niemandem gewollt zu werden. Obwohl sie dieses Gefühl bei den Buchheims (abgesehen vom Luk) nicht gehabt hatte, wusste sie, dass sich die Situation in den letzten Wochen verändert hatte. Ermahnungen und Verweise von den Lehrern, sowie auch Konflikte und kleinere Prügeleien beim Leichtathletik führten schließlich dazu, dass sie hier nicht mehr erwünscht war. In München würde sie wöchentlich zur Therapie müssen um ihren Aggressionsproblemen entgegen zu wirken. Bei dem Gedanken stiegen ihr Tränen in die Augen, die sie wütend beiseite wischte.
Cyana musste wieder an ihre Mitschüler denken. Aus irgendeinem Grund hatten sie etwas gegen sie. War es ihre Schuld? Es würde sicherlich nicht schaden, manchmal freundlicher und offener zu sein, aber sie versuchte ihr Bestes. Doch ihre Klassenkameraden beleidigten sie, wurden manchmal sogar handgreiflich, wogegen sie sich wehrte, jedoch wurde ihre Verteidigungsversuche nicht als solche angesehen. Einmal klauten ihre Klassenkameraden sogar ihre Halskette, ein Erbstück ihrer Mutter und als sie das beim Direktor melden wollte, tauchte ihre Halskette seltsamerweise in ihrem Rucksack wieder auf, wo sie doch angeblich immer schon gewesen sei. Am Ende wurde sie der Verleumdung beschuldigt und erhielt eine Verwarnung. Bei dieser Erinnerung kamen ihr schon wieder die Tränen, und schnell verdrängte sie alle schlechte Erinnerungen, von denen es ziemlich viele gab.
Genervt von ihren eigenen Gefühlsduseleien, zog sie sich an und versuchte ihre Haare zu einem Zopf zusammenzubringen. In der Nacht war er aufgegangen und nun standen ihre widerspenstigen Locken wirr vom Kopf ab. Prüfend sah sie sich ihre Frisur im Wandspiegel an und zog dann die Nase kraus. Model für Haarpflege konnte sie als späteren Beruf wohl ausschließen.
Unten in der Küche entdeckte sie Alina. Sie stand an den Bartresen gelehnt mit einer Tasse Kaffee in der Hand, den Blick auf ihre gepunkteten Kuschelsocken gerichtet. Als sie Cyanas tapsende Schritte hörte, blickte sie auf.
„Hey“, murmelte sie verschlafen, ein kleines Lächeln im Gesicht. Alina gehörte definitiv zu den Langschläfern, um diese Uhrzeit lag sie normalerweise schnarchend neben ihrem Mann im Bett und träumte wahrscheinlich von den ganzen Klausuren, die sie als Lehrerin kontrollieren durfte.Alina war extra wegen Cyana so früh aufgestanden, um mit ihr darauf zu warten, dass sie abgeholt wurde, und sie noch die restlichen Formulare unterschreiben konnte, aber von Luk und Manuel hatte sich Cyana schon gestern verabschiedet. Sie würden um nichts in der Welt an einem Samstag so früh aufstehen.
Cyana grüßte Alina mit einem Nicken und nahm sich ebenfalls eine Tasse Kaffe.
Schweigend starrten sie beide auf ihre Füße und die Stille zog sich in die Länge. Es war eine peinliche Stille, sie beide wussten offensichtlich nicht, was sie sagen sollten.Normalerweise hatten sie sich immer ganz gut verstanden, kein Mutter – Tochter Verhältnis aber es hatte sie eine Art Freundschaft entwickelt, auch wenn nur dünn und zerbrechlich. Doch über was sollten Sie jetzt reden? Sie würden sich nach heute wahrscheinlich nie wieder sehen.
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Cyana
Fantasy...ihr sorgloses Peifen, bei dem selbst die Vögel aufhörten zu singen, um ihr zuzuhören, verstummte auf einmal und wich einem erschrockenem Schrei. Und dann war alles still...