3. Kapitel

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Als Cyana das Haus der Engels zum ersten Mal sah, wusste sie zuerst nicht, was sie davon halten sollte. Es war sehr modern und groß, allerdings machte es einen ziemlich kalten Eindruck auf sie.

Die Wände waren allesamt grau und das gesamte Erdgeschoss wurde von einer massiven Mauer mit einem ebenfalls grauen Tor verdeckt. Es sah aus wie ein Gefängnis. Oben auf dem Tor war eine Kamera befestigt, welche sich immer wieder hin und her drehte und Cyana wusste schon jetzt, dass es verdammt schwer werden würde an der ungesehen vorbeizukommen, sollte sie sich mal rausschleichen wollen. Um dieses Bedürfnis zu verspüren, musste sie nur das riesige Tor anstarren, und sie waren noch nicht mal drinnen. Die Wände sahen so glatt aus, dass es einem unmöglich erschien darüber klettern zu können.

Frau Skaletz fuhr mit ihrem weißen BMW ganz nah an das Tor heran und wartete. Es dauerte eine Weile, bis es von drinnen entriegelt wurde und rollte dann mit einem leisen Surren auf. Zum Vorschein kam nun auch das Erdgeschoss mit… grauen Wänden. Das Haus hatte große Fenster ohne sichtbare Vorhänge oder Rollläden und man konnte einige wenige Möbel sehen, alle in Weiß. Sie sahen aus, als wären sie alle auf einmal im selben Katalog bestellt worden, genau genommen bemerkte man kaum einen Unterschied zu einer Mustereinrichtung in einem Möbelkatalog.  Es lagen keine Magazine oder lose Blätter auf dem Tisch in der Küche am Kühlschrank hingen keine Magnete, es hing nicht ein Bild an den Wänden und sie konnte auch keine einzige Pflanze erkennen. Alles war leer. Draußen war es nicht anders. Es gab keinen Rasen nicht mal Unkraut zwischen den grauen Steinplatten war zu erkennen. In der Mitte direkt vor dem Haus war ein Pool in den Boden eingelassen. Er sah aus, als wäre er noch nie benutzt worden.

Das gesamte Anwesen wirkte kalt und Cyana war sich sicher, dass sie sich niemals freiwillig hierher getraut hätte. Selbst der Wind schien diesen Ort zu meiden, denn sie sah kein einziges Mal, wie sich das stille Wasser kräuselte. Langsam drehte Cyana ihren Kopf und blickte Frau Skaletz in die Augen. Doch die schien Cyana gar nicht zu bemerken, sondern starrte nur die absolut langweilig aussehenden grauen Wände an. Nach einer gefühlten Ewigkeit riss sie den Blick los und räusperte sich.

„Deine neue Familie ist sicher netter, als das Haus den Anschein machen mag.“ Ihrer Stimme hörte man jedoch deutlich an, dass sie sich selbst kein Wort glaubte.
Geistesabwesend strich Cyana über das blaue Spielzeugauto in ihrer Hand. Bei den Buchheims hatte sie in einem kleinem Einfamilienhaus mit Thujenhecken gewohnt und ringsum hatten große Blumentöpfe mit knallbunten Blumen gestanden. Das hier war der absolute Gegensatz dazu.

Lieber hätte sie in einer winzigen Wohnung ohne funktionierende Toilette oder Heizung gelebt. Und auch wenn es reingeregnet hätte, wäre ihr das tausendmal lieber gewesen, als in einem Haus ohne Seele zu leben.
Aber ihr blieb keine andere Wahl , also nickte sie Frau Skaletz zu und ging dann Richtung Haustür. Die Sozialarbeiterin folgte Cyana zögernd. Cyana klingelte und es dauerte einige Zeit bis die Tür geöffnet wurde. Ihr blickte ein schmales Gesicht entgegen, welches sie erst streng, man könnte fast meinen ausdruckslos, anschaute und dann für Frau Skaletz ein höfliches Lächeln ins Gesicht zauberte.

„Guten  Morgen. Ich bin Dorothea Engel. Kommen Sie doch rein.“ Mit einer einladenden Handbewegung trat sie zur Seite.
Diese Frau war dann wohl ihre Pflegemutter. Sie sah ungefähr so aus wie das Haus. Nicht grau, das nicht, schließlich trug sie einen knallroten Lippenstift, aber ihre Miene war genauso ausdruckslos. Ihre Haare trug sie so glatt, wie stundenlang geglättet, mit einem Mittelscheitel, bei dem kein einziges Haar auf der falschen Seite lag. Obwohl Samstag war, trug sie ein Kostüm auf ihrem eigenen Grundstück. Sogar Schuhe trug sie unter ihrem grauen Bleistiftrock. Aber in Socken und Kostüm rumzulaufen, wäre ja wohl noch seltsamer gewesen. Langsam ließ Cyana den Blick von ihrem schwarzen Lackschuhen hoch bis zu ihren Augen wandern. Braune Augen, wie ihre Haare. Schnell blickte Cyana woanders hin, denn sie konnte die Skepsis in den Augen der Frau nicht länger ertragen. Wie sollte sie bei jemandem leben, der sie die ganze Zeit so ansah?

CyanaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt