Red Dahlia (2016)

RABEA, Dienstag 9. November

»Die Schule kann das nicht schon vorher geplant haben, das wäre schon ein ziemlicher Zufall.« Rabea und Dahlia hatten gerade in der vorherigen Stunde von ihrem Lehrer erfahren, dass heute Nachmittag eine Veranstaltung über sexuelle Gewalt stattfinden würde. Es sollte ein einstündiger Vortrag werden und diese Information war überraschend gekommen.

»Ich war gerade dabei, mich zu erholen.«, murrte Dahlia.

»Ist sowas schlimm für dich?«, fragte Rabea besorgt. Dahlia zuckte die Schultern.

»Ich werd's aushalten, aber Lust darauf hab ich nicht.« Rabea nickte.

»Ist irgendwie verständlich.« Sie überlegte.

»Wir müssen ja nicht hingehen.« Dahlia sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

»Müssen wir schon, es herrscht Anwesenheitspflicht.« Rabea begann zu grinsen.

»Du könntest behaupten, dass du dich noch nicht erholt hast und so einen Vortrag nicht erträgst.«

»Nein!« Dahlia schüttelte entschieden den Kopf.

»Die halten mich für das letzte Weichei, außerdem musst du wahrscheinlich trotzdem hin, wenn ich das sage.« Rabea wackelte mit dem Kopf, aber sie schüttelte ihn nicht.

»Vielleicht bist du ja wirklich ein Weichei.«

»Von was redest du?«

»Na ja, wenn du wirklich mutig wärst, würdest du nicht hingehen.« Dahlia räusperte sich.

»Schwänzen ist kein Zeichen von Mut.«

»Aber eins von Widerstand.« Dahlia verdrehte die Augen.

»Was hast du gegen eine Stunde frei einzuwenden?« Rabea rüttelte sie an der Schulter.

»Wir könnten erwischt werden?«, wandte Dahlia ein.

»Nicht, wenn uns jemand deckt.« Dahlia stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Du willst da wirklich nicht hin, oder?« Rabea schüttelte den Kopf.

»Du etwa?«

»Nein.«

»Na also. Wir haben einen guten Grund, nicht hinzugehen.«

»Wenn du meinst...«

»Ja, meine ich!« Kurz bevor die Veranstaltung begann, fing Rabea Blair ab. Diese war die einzige, der sie in dieser Hinsicht traute.

»Sollte es jemandem auffallen, dass Dahlia und ich nicht da sind, kannst du behaupten, Dahlia ist schlecht geworden und ich musste mit ihr raus?« Blair blickte überaus skeptisch drein.

»Ihr wollt euch drücken?« Rabea nickte.

»Ihr wollt nicht lernen, wie man richtig ja sagt?«, fragte Blair spöttisch. Rabea schüttelte den Kopf.

»Okay.«, seufzte Blair. »Aber nur weil ihr es seid.«

»Danke Blair!« Rabea hielt sich zurück, ihr um den Hals zu fallen.

»Erzähl uns später, was wir verpasst haben!«, rief Dahlia ihr hinterher, als Blair sich auf den Weg in die Aula machte.

»Schnell weg, bevor uns jemand sieht.« Rabea versicherte sich, dass keiner ihnen dabei zusah, wie sie das Schulgelände verließen. Die beiden lachten schadenfroh, als sie draußen waren. Sie blieben in der Nähe der Schule, um zur Stunde nach dem Vortrag nicht zu spät zu kommen. Das wäre etwas zu auffällig. Da der Novemberwind ihnen etwas zu kalt war, setzten sich die Freundinnen in ein Café, wo sie die nächste halbe Stunde verbrachten. Sie beobachteten die hereinkommenden und wieder gehenden Leute und hatten definitiv mehr Spaß als die anderen, die in einem Vortrag saßen in denen ihnen erklärt wurde, dass Vergewaltigung schlecht war. Diese Informationen brauchten sie nicht mehr, das wussten sie längst. Sie kehrten fünf Minuten vor Stundenwechsel in die Schule zurück und waren stolz darauf, dass sie so einfach davongekommen waren. Leider verging ihnen der Hochmut, als sie das Schulgebäude betraten. Hinter der Tür stand der Schuldirektor mit verschränkten Armen und schaute die beiden hinter seinen dicken Brillengläsern streng an. Rabea mochte Herrn Meitner wirklich gern, sie hatte ihn noch nie wütend oder sogar gestresst erlebt.

»Wo kommt ihr denn her?«, wollte er wissen. Alles was Rabea wusste war, dass es keine Ausreden mehr gab.

»Das ist nicht die Richtung aus der Aula.«

»Aber...« Rabea wollte ihn fragen, ob Blair ihn informiert hatte, aber sie hatte Angst, die Gastschülerin in unnötigen Schlamassel zu ziehen, also hielt sie die Klappe.

»Auch wenn es nur ein Vortrag ist, ihr könnt nicht einfach wegbleiben, ohne einen Lehrer zu informieren.«, erklärte der Direktor ihnen mit Nachdruck.

»Tut uns leid.«, nuschelte Dahlia.

»Das bringt dir leider nichts. Rabea und Dahlia, ich muss euch verwarnen. Wenn ihr noch einmal vom Unterricht fern bleibt, wird es dabei nicht bleiben. Dann gibt es einen Verweis.« Rabea nickte.

»Okay.« Herr Meitner drehte sich um und ging ohne ein Wort die Treppen nach oben.

»Das hast du davon.«, schimpfte Dahlia.

»Na ja, solange es...«

»Ach, halt die Klappe!« Dahlia rannte die Treppen hinauf in den Unterricht und ließ Rabea ratlos vor der Tür stehen.